Dass von Foersters Begriff
der Physik vor keinem Problem Halt macht, verrät bereits die
Jugendanekdote. Seine Tante kommentierte seine Formel zu den möglichen
Varianten der Zwölfton-Musik mit dem Verweis: "Jetzt zieht er gar
das Geniale, das Künstlerische, hinunter in die Banalität der
Formeln." Dass es keinen Widerspruch zwischen Künstlertum und
Mathematik, Physik und Imagination gibt, dafür steht Heinz von Foersters
Leben - ein Leben als radikal konstruktivistisches Gesamtkunstwerk. Nach
dem Studium in Wien machte er seinen Abschluss in Physik 1944 an der
Universität in Breslau. Promoviert wurde er nicht, da er den "Ariernachweis"
nicht erbringen konnte. Bereits als Student lernte er die Philosophen des
"Wiener Kreises" kennen.
Später an der Universität
von Illinois wurde er Mitorganisator und Mitherausgeber der legendären
Tagungen der Macy Foundation, um die sich solche aufstrebenden Berühmtheiten
wie Gregory Bateson, Warren McCulloch, Margaret Mead, John von Neumann
oder Norbert Wiener scharten. Als Kybernetiker der frühesten Stunde gab
er mit diesen eine fünfbändige "Kybernetik" (1949 - 1953)
heraus und nicht nur dieses Werk verrät den höchst produktiven
Wissenschaftler mit ungezählten Publikationen (Einstiegslektüre).
1958 gründete von
Foerster das Biologische Computer Labor (BCL, das mit seinem "transdisziplinären" Ansatz aus Logik,
Epistemologie, Mathematik, Informatik, Neurophysiologie, Psychologie und
Sozialwissenschaften den Denkprozess neu und kühn erfassen wollte:
"Ich
will Verstehen verstehen."
Heinz von Foersters "Trademark"
ist die Kybernetik zweiter Ordnung. Das heißt: Wenn der Kybernetiker sein
eigenes Gebiet betritt, wird die Kybernetik zur Kybernetik der Kybernetik
(Second Order Cybernetics). Der Steuerungskünstler und Beobachter wird
selbst zum Teil des Geschehens und bewegt sich fortan in seltsamen
Schlaufen, die es zu ertragen und zu entwirren gilt. Oder mit Humberto
Maturana (Die Ohnmacht der Macht), der auch im BCL von Foersters mitarbeitete, gesprochen: "Alles
Gesagte wird von einem Beobachter gesagt." Für von Foerster führte
dieses Wissen aus dem begrenzten Feld wissenschaftlicher Welterschließung
hinaus zu konkreten Fragen der Ethik und Pädagogik. So erklärte er den
Unterschied zur Kybernetik erster Ordnung als den Unterschied zwischen überlieferten
moralischen Prinzipien "Du sollst, Du sollst nicht" zu einer
selbstaufgeklärten Ethik, die mit "Ich soll, Ich soll nicht"
beginnt.
Gegen die
professionellen Vereinfacher
Mit der Unterscheidung von
trivialen zu nichttrivialen Maschinen machte von Foerster deutlich, dass
unsere Weltsicht sehr stark von Komplexitätsverweigerungen beherrscht
ist, die das Wirklichkeitsprogramm folgenschwer verfehlen. Scheinlösungen
in der Politik und bei Problemen gesellschaftlicher Gestaltung sind
vielleicht der höchste Preis, den wir bis in die aktuelle Gegenwart
hinein dafür zahlen. Kühlschränke oder Kaffeemaschinen, die auf
Knopfdruck gehorchen, sind nicht mit nicht-trivialen Maschinen zu
vergleichen, die von ihren eigenen inneren Zuständen abhängig sind.
Menschen und ihre Gesellschaften können nicht nach den Lehren der
Mechanik begriffen werden, wenngleich der Ruf nach "professionellen
Trivialisateuren" unsere Kultur bestimmt. Eine Erkenntnis, der grundsätzlich
jeder zustimmen mag, die aber gerade auf die Begrenztheit von
wissenschaftlicher Analytik und Sprachmustern verweist, die wir längst
nicht abgestreift haben.
Historisch betrachtet
stellte die Theorie der Selbstreferenzialität einen Bruch mit dem
wissenschaftlichen Hauptstrom der 1960er und frühen 1970er dar. Diese Brüche
erlebte von Foerster nicht lediglich als Paradigmenwechsel im engen Zirkel
der Wissenschaft. Von Foerster bot etwa auf Wunsch der Studierenden einen
Kurs in "Heuristics" an, der eine koproduktive Atmosphäre von
Lehrenden und selbstverantwortlich Lernenden suchte. Schließlich wurde er
für das Arbeitsergebnis, den "Whole University Catalogue",
beschuldigt, Obszönitäten und unangemessene Themen wie Drogenkonsum zu
behandeln.
Inzwischen entstand im
imperialen Siegeszug selbstreferenziellen Denkens in Mathematik, Physik,
Medizin, Biologie, Biochemie, technischen Disziplinen wie den
Computerwissenschaften, aber auch Philosophie, Logik,
Sprachwissenschaften, Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaften,
Pädagogik und Sozialwissenschaften selbst ein modischer Mainstream. Die
Systemtheorie des verstorbenen Soziologen Niklas Luhmann etwa wäre ohne
einige Ansätze von Foersters zur Beobachtung höherer Ordnung und
Selbstorganisation gar nicht denkbar. Von Foersters später Kultstatus
widerlegt ihn wohl so fundamental wie historisch ironisch in einem seiner
eigener Theoreme ("Heinz von Foersters Theorem Nr. 1"):
"Je
tiefer das Problem, das ignoriert wird, desto größer die Chancen für
Ruhm und Erfolg."
So wurde von Foerster zum
mitunter aphoristischen Stichwortgeber selbstreferenzieller und
transdisziplinärer Ansätze, die gegenwärtige Diskurse beherrschen:
"Handle
stets so, dass sich die Zahl deiner Möglichkeiten erweitern."
Oder das vielleicht berühmteste
Scheinparadox:
"Nur
die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir
entscheiden."
Auch wenn von Foerster ein
Hang zu inversiven Formeln und Wortspielen mit tradierten philosophischen
Grundannahmen nachgesagt wurde, ging es ihm dabei immer um den alltäglichen
Erkenntnisnährwert seiner Imperative. Dabei fokussierte er den Prozess
der Globalisierung hin zu einer Weltgesellschaft, die nicht für die
Kybernetik da sei, sondern kybernetisch bzw. konstruktivistisch
funktioniert:
"Was
wir als Wirklichkeit wahrnehmen, ist unsere Erfindung."
Wissen und Gewissen sind
daher zwei untrennbare Momente kybernetischer Welterschließung, der von
Foerster im Anschluss an Dennis Gabor den Ruf "Kybernetiker dieser
Welt, vereinigt Euch" folgen ließ. Aus der Kybernetik müsse eine
"KybernEthik" werde, weil die Kunst der Steuerung dem Menschen
diene und nicht, wie es die Geburt dieses Denkens aus militärischen
Aufgabenstellungen heraus nahe legen mag, umgekehrt.
Auch der Tod ist möglicherweise
ein Wechsel von einer ersten zu einer zweiten Ordnung. Der Tod beendet
jedenfalls die irdischen Wahlmöglichkeiten des Beobachters, aber
vielleicht hätte von Foerster die Abwandlung einer seiner
radikalkonstruktiven Provokationen akzeptiert: "Der Tod, so wie wir
ihn wahrnehmen, ist unsere Erfindung."
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