Zum Handwerk des
geistigen Diebstahls
Goedart
Palm 20.11.2002 - Original
unter Telepolis
Von Wissensherrschern,
studentischen Klaubrüdern und -schwestern im Geiste des Plagiats und Spürhunden
im Netz
Die Geschichte des
Geistes ist eine verschlungene Geschichte der Plagiate, der kunstvollen
Paraphrasierungen fremder Ideen oder ihrer schnöden Abschriften.
Josef Karner
versucht diesen Tatbestand sogar soziobiologisch zu untermauern, demnach
nicht nur Affen nachäffen: "Und wir sind die Krönung dieser
Entwicklung, wir sind geradezu Kopiermaschinen und Virtuosen der
Anpassung." Doch die Gesellschaft lässt sich von diesem Stil der
Wissensaneignung zum wenigsten beeindrucken.
Seit der
Erfindung des Geistesblitzes, der
Geburt der Originalgenies
gegen Ende des 18. Jahrhunderts, vor allem aber dem erfindungsabhängigen,
kapitalistischen Erwerbsstreben, wird das geistige Eigentum ebenso sorgsam
gehütet wie der sprichwörtliche Geldstrumpf.
J. Pierre Proudhon
haderte indes mit diesem Wesen gesellschaftlicher Herrschaft:
"Eigentum ist Diebstahl." Diese anarchische Kampfansage an die
Eigentum hortenden Gesellschaften verhallte mehr oder minder ungehört,
obwohl auch der originelle Umgang mit fremden geistigem Hab und Gut hier
seine bündige Formel finden könnte.
Dass auch
die kommenden Hirnarbeiter, Studenten und höhere Schüler dieses
wertkonservierende Prinzip nie vergessen mögen, dafür sind jetzt
universitäre Plagiatsforscher angetreten. Ein vormaliger Standard der
kulturellen Welterschließung lautet, dass Papier geduldig ist und die
mehr oder weniger bewusste Ausleihen fremder Federn oft genug ein
unentdecktes Geheimnis bleiben.
Klauen will
gelernt sein
Das soll
nach dem Willen universitärer Spürnasen, die sich mit Google-Basics oder
mit raffinierter Software
aufrüsten, jetzt gründlich anders werden. Suchmaschinen machen dann das
möglich, was der eigene biologische Speicher den (Hoch)Schulüberwachern
nicht eingibt (Originalität und Plagiat). Eine Ironie der Angelegenheit, die ein wenig Licht auf die Geistwahrer
wirft, die sich derselben Mittel wie die Plagiatoren bedienen. Die Spürhunde
von
www.turnitin.com
zerlegen gar einen Text in seine Moleküle und folgen gnadenlos seinen
plagiierten Netzspuren. Die Netzdetektive warten sogar mit "Research
resources for preemptive plagiarism education" auf. Auch im Bereich
der Pädagogik gilt also die neue Moral von Präventivschlägen gegen
potenzielle Übeltäter. Bereits einen Tag nach Auftragsvergabe apportiert
turnitin.com brav die Ideendiebstähle.
Schon eine
längere Phrase verrät den Abschreibtrottel. Eine etwas zu geniale
Textpassage outet den gemeinen Feld-, Wald- und Wiesenstudenten als einen
höchst durchschnittlichen Kopiekopf und weist den Weg in das Verderben:
Durchgerasselt! Insbesondere fremder Stil wird zur kognitiven Tretmine.
Alles nur geklaut, gepanscht und verschmiert, was sich da als eigener
Hirnschmalz vorstellt. Die Copy-and-Paste-Küchen unserer höheren
Lehranstalten laufen inzwischen auf Hochtouren, aber fremde Köche ohne
namentliche Nennung verderben den Brei. Klauen will gelernt sein, im Mix
muss alles gut verrührt sein, wenn es den Examinatoren auch munden soll.
Lernt von
euren wahren Meistern: Der beflissene deutsche Ordinarius verdaut zunächst,
was er so ausscheidet. "Wer von einem anderen abschreibt, ist ein
Plagiator; wer von vielen abschreibt, ist ein Gelehrter", wird
dagegen Ernest Hemingway zynisch in den Mund gelegt, aber selbst dieser
antiakademische Spruch hat viele Väter. Das sieht die professorale
Spurensucherin
Debora Weber-Wulff, Professorin für Medieninformatik an der Fachhochschule für Technik und
Wirtschaft/Berlin, wohl alles anders: "Wer schöne Worte mittels Copy
& Paste als eigene ausgibt, hat nicht verstanden, worum es geht."
Doch um was geht es eigentlich?
Revision
des Wissensbegriffs ist erforderlich
Wir sollen
den Fetisch "Geistiges Eigentum" achten. Eine Weltgesellschaft,
die sich einerseits als globale Wissensgesellschaft feiert, geriert sich
andererseits mächtig kleinlich, wenn es um ihre etikettierten Brosamen
geht. So wurden zwar die "Meme" entdeckt (Die Evolution der Meme), jene kulturellen Informationen, die in einen kollektiven
Wissensspeicher ungeachtet ihrer menschlichen Träger herumspazieren, aber
weiterhin gilt: Das ist mein Förmchen, meine Rassel, mein Aufsatz, mein
Buch. Mit diesem Anspruch wird das vielleicht zu euphorisch begrüßte
"Global Brain", das anonyme Weltnetz des allen zugänglichen
Wissens, auf den Boden kleinlicher Eigentumswahrer heruntergeholt.
Gewiss,
wer im Schweiße seines Angesichts denkt, will belohnt werden. Der
ungehemmte Diebstahl fremder Werke ist nicht die ökonomische Lösung für
eine Urheberrechtsnovellierung in Zeiten des Netzes. Aber die wie Elstern
klauenden Studenten dürften da wohl die geringste Gefahr sein. Niemand
beginnt mehr "ex ovo", sondern "ex Google", wenn er
nicht den staubigen Weg in die inzwischen ausgedünnten, weil budgetarmen
Bibliotheken der Universitäten und Seminare antritt.
Die
unaufspürbare Paraphrase, der klammheimliche Diebstahl, der verschwiegene
Betrug wissenschaftlicher Selbstinszenierer mögen geistige Leistungen
sein. Aber wiegt diese Leistung mehr als das Wissen zu wissen, wo der
Geist den Weg längst breit getrampelt hat? Die ungeschickten
Copy-and-Paste-Jongleure trifft zuvörderst Oscar Wildes Klage über den
Verfall des Lügens. Denn ist es nicht so, dass der raffinierte Dieb, der
sich die fremden Früchte geschickt genug anverwandelt, belohnt wird, während
der ungehobelte Räuber, der sie sich kannibalistisch einverleibt,
bestraft wird? Dabei fördern Ballaststoffe doch eigentlich die Verdauung.
Erheblich
dringlicher als die Erbsenzählerei wäre es, den Wissensbegriff von
Didaktikern und Pädagogen einer gründlichen Revision zu unterziehen,
nicht weniger als die eitlen Selbstdarstellungen, die einen verknöcherten
Lehrbetrieb bestimmen. Motivierte Lernende, die nicht dem Druck
leistungsorientierter Wissensinszenierung ausgesetzt wären, würden
ohnehin die Lust am Diebstahl verlieren. Das Wissen entsubjektiviert sich.
Der Einzelne, der aus dem Elfenbeinturm oder Labor heraus in kühner
Forschungsarbeit sich seinen Weg ins unbekannte Gelände bannt, ist längst
Fiktion. Vier Augen sehen mehr als zwei und höchstpersönliche
Autorenschaften werden mit Beginn der neueren Literatur, mit Montagen,
Collagen, schließlich Autoren- und Forscherteams, immer
unwahrscheinlicher. Die deutschen Universitäten sind und waren keine
Zuchtanstalten des Originalgenies, dieses kulturellen Auslaufmodells
geistiger Aneignung, und werden in ihren späten Tagen auch nicht mehr
dazu.
Bürgerkrieg
zwischen Medienumwelten und der Welt des Drucks
Viel
spricht dafür, dass die durch das Netz surfenden Ordinarien und Lehrer,
die selbst ernannten Diebstahlsforscher im Auftrag der hehren
Wissenschaft, nicht sehr viel mehr leisten, als ihren eigenen kleinen
Wissensbegriff gegen dessen unaufhaltsame Demontage zu schützen. Die
Universitäten, zumal die deutschen, sind antiquiert, und die Angst geht
wohl um, die bequemen Pfründe der Universität an nichtinstitutionelle
Wissensagenturen und Netznomaden zu verlieren. Dagegen wären allein die
kooperativen Kompetenzen von Lernenden unter den Bedingungen von
Mediengesellschaften stärker zu fördern - eine Aufgabe, der sich unsere
Lehranstalten seit je - gut verdrängt durch das persönliche
Leistungsprinzip - verweigern.
Was hier
als wissenschaftliches Ethos (Debora Weber-Wulff) ausgegeben wird, ist
nicht viel mehr als der Anachronismus, den radikalen Umbau der
Wissensgesellschaft zu ignorieren. Marshall McLuhan sprach bereits vom Bürgerkrieg
zwischen Medienumwelten und der Welt des Drucks im mehrfachen Sinne des
Wortes, dem Lernende in antiquierten Institutionen ausgesetzt seien. Das
sei motivations- und kreativitätshemmend, baue auf Instruktion statt
Entdeckung. Universitäten und Schulen sollten an dieser Herausforderung
im eigenen Überlebensinteresse arbeiten, statt mit Methoden und
Curricula, die das Plagiat als Königsweg der wissenschaftlichen Aneignung
geradezu aufdrängen. Letztlich geht es um Förderung konzertierten
Wissens, das sich dem fossilen Wissenschaftsbetrieb und den egoistischen
Ritualen der universitären Duftmarkenpolitik entzieht.
Letztlich
besagt das vorgebliche Wissenschaftsethos also nicht viel mehr als: Klauen
will gelernt sein. Und damit wären wir endgültig in der jetzt gerade
"entdeckten"
Bluff-Gesellschaft
angelangt. Halten wir uns lieber an die Regel: "Originalität ist
meistens nichts anderes als ein noch nicht entdeckter Hyperlink." Ob
dieser Spruch wohl auch ein Plagiat ist?
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