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Billy the Kid lebt!
nacherzählt von Goedart Palm
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Warum mir zu LITTLETON, Colorado, den 20. April im Jahre
des Herrn 1999 nichts mehr einfällt...
Während Jugoslawien und das Kosovo lichterloh brennen, findet eines
der gruftig-schuftigsten Schul-Massaker der US-Geschichte anläßlich (?) des
Führer-Geburtstags" in Littleton, Colorado statt. Wo ist da die Satire? Frag´
ich mich auch.
Schul-Massaker haben in Amerika nicht nur eine cineastische, sondern
auch eine reiche Realtradition - dieses hier ist allerdings der unsatirischste High
Noon", den Uncle Sam je in seiner Geschichte der dauerrauchenden Colts erlebt hat. Da
ist die Westside-Story" der reinste Kindergeburtstag dagegen. Littleton klingt
friedlich-mickrig-provinziell gegenüber dem gnadenlosen Megagemetzel, aber die Geschichte
hat ja bekanntlich ihre eigenen Ironien im Umgang mit der Gewalt. Was uns sonst im
professionellen splatter-channel zu Herzen erfreut, wurde jetzt als kolumbinisches
Schultheater von zwei völlig uncoolen Fehlerziehungsprodukten uraufgeführt.
Die blutige Koinzidenz zwischen Littleton, Kosovo und
Führer-Geburtstag mag herbeigeredet sein, von denen, die Gefallen an apokalyptischen
Szenarien haben, weil sie sonst ohnehin nichts mehr in ihrem Reptiliengehirn so richtig
kitzelt. Und auf den Weltuntergang wartet man jetzt ja schon seit tausend Jahren
vergeblich, Behemoth und Leviathan werden langsam langweilig. Hat sich die Öffentlichkeit
an die Kosovo-Greuel gewöhnt - dauert nun immerhin schon fast einen ganzen Monat -
ereignet sich Littleton gerade rechtzeitig, um uns wieder mediales Paprika aufs laffe
Abendbrot und in die Haare zu schmieren. Wenn schon kein Bodenkrieg im Kosovo, dann eben
anderswo. In Zukunft also vielleicht zwei ARD-Brennpunkte", wenn
auch das unfreiwillige Wortspiel um eine Aufmerksamkeit, die mit dem Feuer spielt, alles
andere als asbesthaltige Nervenstärkung ist. Deutschland hat seine Neonazis und diese
Szene hat multiple, aber selektive Vernichtungsziele: Schwarzhemden verfolgen Schwarze,
zünden Asylbewerberheime an, marschieren im schwitzenden Gleichschritt der
Menschenverachtung über deutschen Asphalt.
Die schwarze Trenchcoat-Mafia aber hatte - Amerika atmet schon ein
wenig auf (wegen der political correctness) - keine Minoritäten vor den Mündungen.
Gleicher Tod für alle, Selbstmord inklusive" lautete die irrwitzige Parole von
Billy the Kid and Young Doc Holliday, denen man nicht rechtzeitig einen
playground" in der Klapse eingerichtet hatte, weil Lehrer mehr von Orthographie
als von Paranoikern verstehen. Die Killer-Classmates" spielten
Totenkopf-Division und wir wissen inzwischen ja, wie sicher man ist, wenn diese
Schutzstaffel schützt. Hier wurde nicht aus Spiel blutiger Ernst, sondern hier
gehts um den Ernst von Kindern bei Spielen, die eben Mordspielen gegenüber
langweiligem Lego und konstruktiver Fischer-Technik den tödlichen Vorrang geben. Wenn das
der Schulrat gewusst hätte! Hat er aber nicht.
Allerdings zeigen die letalen Treffer diesmal öffentliche Wirkung.
Die National Rifle Association hat ihr Jahrestreffen in Denver nächste Woche von drei
Tagen auf einen Tag reduziert. Na, das ist doch was! Ein kühner Schritt in die richtige
Richtung. Jetzt muss der Vorsitzende des mächtigen Knarrenvereins Charlton Heston nur
noch seinen abgelederten römischen Streitwagen durch den TÜV bringen und die heroische
Nation kann wieder durchatmen: Altrömische Gladiatorenkämpfe statt neoamerikanische
Schulmassaker. Und Arnold Schwarzenegger wird demnächst auf pädagogisch wertvollem,
immersauberem Zelluloid zeigen, wie man Jungnazipflanzen vom unfriedlichen Campus jätet.
Über die Frage, wie man Gewalt erfolgreich mit Gewalt bekämpft, wollen wir uns in der
Hitze des Augenblicks nicht weiter bekümmern. Kindergarten-Cop Schwarzenegger weiß
jedenfalls immer wo´s langgeht - ein Wink mit der Wumme in Richtung jüngstes
Schnellgericht genügt, um auch die widerlichsten Kleinsten zur Besinnung zu bringen.
Weiterreichende Lehren? Ganz bestimmt: Etwa ein Gesetz, daß in
Zukunft keine Maschinenpistolen an Minderjährige mehr verkauft werden dürfen, allenfalls
Steinschleudern, Schlagringe, Butterfly-Stechwerkzeuge, Nun-Chakus, Morgensterne,
Kettensägen, Wasserpistolen (hoffentlich habe ich beim Blättern im Waffengesetz nichts
ausgelassen). Auch in Deutschland verlassen sich die Nachwuchsninjas ja längst nicht mehr
auf Mikado, wenn Knochen knacken sollen. Nur etwas schärfere Jagd- und Sportwaffen, St.
Hubertus sei´s geklagt, müssen weiterhin im Land der Pioniere, Apatschen (Apaches!) und
deer-hunters" erlaubt sein. Fröhliche Jagdzeit! Was noch? Auch die
Nanny-software" muss von Papa und Mama jetzt upgedatet werden, um die
Bombenbastelanleitungen im Netz nur für Volljährige downloadbar zu machen. Volljährigen
vertrauen wir eher im sozialverantwortlichen Umgang mit Sprengstoffen. Das wird Pädagogen
nach dem ersten Schrecken beruhigen.
Danach folgen noch einige von Oprah Winfrey vorgestellte Bestseller
über die Bekämpfung juveniler Gewalt, kollektive Friedenserziehung schon im Babyalter
und einige Essays über die unerträgliche Leichtigkeit des
Gewalttätigkeitseins" in Amerika. But that´s not all: Governor Bill Owens erklärte
ein state disaster". Das läßt sich schlecht übersetzen und noch schlechter
verstehen, weil nicht der Staat, sondern willkürlich gewählte Opfer angegriffen wurden.
Allein die Provinzgesellschaft Littleton muss das in ihrer Kollektivpsyche jetzt ausbaden.
Immerhin: Eine Million Dollar Schadensersatzmittel wurden schon bereitgestellt. Man
verdient als amerikanisches Opfer zwar erheblich mehr, wenn man sich bei McDonalds die
Lippen an heißem Kaffee verbrennt und das Schmerzensgeld lässig jeden Jackpot
überbietet, aber Tote haben ja keine Schmerzen mehr und die Hinterbliebenen gehen zum
Psychoanalytiker next door". Vermutlich reicht das Geld also aus - bis zum
nächsten Massaker. Auf Wiedertöten!
Goedart Palm |
(Erstveröffentlichung: Das einzige
Satiremagazin "zyn" 1999)
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