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Virtuelle Textbaustelle Goedart Palm

 

Email-Kommentar (30.11.1999) von Claudia Klinger

zu

"Aporien des Cyberspace"


Hallo liebe Listige, hi GP, Zaza, Werner....

seit ein paar Tagen hab' ich hier nicht reingesehen und lese jetzt, wie hier die Post abgeht!

Alle Threads kann ich at one sitting nicht verdauen, so beziehe ich mich nur auf "Aporien des Cyberspace" und die engagierten Kommentare von Zaza.

http://members.aol.com/zazablitz/private/netzlit/apocyber1.htm

(Werners "Verbale Kompositions-Tabelle" kann ich durchaus genießen, köstlich! - im Ganzen gesehen ist der GP-Text damit aber nicht "erschlagen").

Wenn ich die "Aporien" ernsthaft lese, rezipiere ich den Text in Sprache und Gedanken als ein Werk in der Tradition philosophischer Schreibe der Franzosen/Postmodernen (Lacan bis Baudrillard, auch Sloterdijk u.a.) und kann mich daran erfreuen. Ich verlange nicht von einem solchen Text, dass er einfache klare Sätze, schlichte Gedanken und humanes Allerweltsdenk zum Ausdruck bringt - er ist für mich in hohem Maße Kunst. Was nicht meint "irrelevant" oder "unverständlich" - sondern komplex, schillernd in den Bedeutungen, kunstvoll im Bau der Begriffsgewitter, zum Nachdenken anregend, durchaus ab und an mit Hilfe der Methode: Was meint er jetzt eigentlich genau? (Wenn ich schlecht gelaunt bin, kann ich mich darüber auch aufregen...)

So einen Text in der Art auseinanderzunehmen, wie es Zaza tut (tolle Arbeit! Super als Diskussionsbeitrag), kommt mir ähnlich vor, als würde man ein dekonstruktivistisches Gebäude als simplen Büroturm entlarven, weil da doch auch "nur Leute vor Monitoren auf Stühlen sitzen, die in der Pause Kaffee trinken und auf die Toilette gehen - wie überall!".

Typischerweise hat Zaza in der Hälfte keine Lust mehr, so analysierend/kritisch fortzufahren. Ist für mich völlig verständlich, denn aus der "Gegnerschaft" zu einem solchen Text läßt sich wenig konstruktiv schöpfen, man ignoriert ihn dann lieber ganz. Denn: es ist ja kein Text mehr, der im Problembewältigungsstil Thesen aufrichtet und Vorschläge macht, damit man darüber befinde, um zu gemeinsamem Handeln zu kommen. Gerade in DIESER Tradition stehen solche Texte nicht - und eigentlich versteh ich nicht, warum das so viele aufregt!

Es sind vielmehr Texte, die eine bestimmte Wahrnehmung, eine versuchsweise Sicht der Dinge ausformulieren, Texte, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben, die eigentlich eher den Vorschlag, mal durch diese Brille zu gucken, enthalten und nicht behaupten, zu wissen, was "da draußen" ist.

Die meisten Gedanken aus GPs Text sind für mich nicht entlegen, auch nicht unverständlich:

>Findet die humane >Evolution im cyberspace ihre (über)natürliche, >postbiologische Fortsetzung oder ist der >Mensch nur eine vorläufige "Synapse" >in der Autopoiesis einer fremden Subjektivität.

Es entspricht z.B. meiner täglichen Erfahrung, dass ich der Welt kaum mehr auf die alte Weise (analysieren, diskutieren, Kompromisse finden, planen und beschließen) begegne. Weder "real" noch "virtuell". Die Welt, das große Ganze, nimmt mehr und mehr Formen an, die das nicht mehr nötig haben, um zu *funktionieren* (wesentlich durch Technik und Vernetzung).

Und: Schon nach wenigen Wochen Internet fühlte ich mich als "Knoten im Netz", (Synapse eines Größeren Anderen), wenn ich z.B. eine Info an einer Stelle bemerkte und ich wußte, an welcher anderen Stelle sie gebraucht wird. Ich spürte einen Handlungsdruck, eine Ethik des Informationen-Weiterleiten-Sollens, was mich wunderte, denn es handelte sich dabei um Dinge, die mich gar nicht interessierten.

Menschlich kaum verstehbar! Das ist doch eine Überlegung wert?

Zazas Widerrede:

>Der Standpunkt, von dem aus Du da sprichst, ist >irrwitzig.

Wenn die ganze Welt schon irrwitzig ist (für uns Auslaufmodelle ;-), kann man nicht erwarten, daß ein Beobachter 'vernüftig' bleibt!

>Grundsätzlich: Was das Menschliche angeht, so sind wir unserer >Herkunft nach Herdentiere, so dass die >Gleichrichtung/Harmonisierung in der Gruppe/im höheren Verbund >sicherlich unter die urmenschlichen Überlebensstrategien zählen >darf.

Wenn sich das Microsoft-Universum um mich ausbreitet, empfinde ich das zwar auch als "Harmonisierung der Gruppe" - und die Netze sind durchaus ein "höherer Verbund" - allerdings ist da doch ein gewaltiger Unterschied zu dem, was Zaza als Menschenmaß anspricht! WAS? Das ist schwer auszudrücken, deshalb sind diese Texte so eigenartig! Das "Wesen der Maschine", "Autopoiesis einer fremden Subjektivität", "posthumanes Dasein" - alles hilflose Versuche, in Worte zu fassen, dass da etwas diametral ANDERS ist als zu Zeiten, als wir uns noch in eigener Wahl zusammentun konnten, um etwas Konkretes (in unserer damals räumlich-beschränkten realen Umwelt) zu erreichen.

Dieses ANDERE hat wiederum Leute dazu angeregt, allerlei Utopie- und Gottesprojektionen in den Cyberspace zu legen - auch das eine bemerkenswerte Sache, deren Scheitern man beobachten kann. Selbst diese GROSSARTIGEN Visionen liegen offenbar voll daneben - dennoch ist da was....???

Zaza:

>Bliebe die Frage, welche Funktion die/der Einzelne im Verbund >übernimmt? Nun, die Entscheidung liegt zum Glück hier doch noch >bei jeder/m selbst. Der Überformung durch Ansprüche und Regeln >anderer als der mir eigenen Instanzen, kann ich nur entgegen >treten indem *ich* meine Instanzen schaffe. Wo dies nicht >geschieht regiert der Mainstream und das mit und ohne >Cyberspace.

Zaza, wer bist denn DU?

Wird uns nicht gerade duch das vielfältige Netlife, in dem wir viele Seiten und Varianten denken und (teils) leben können ohne durch Materie gehindert zu sein - immer erfahrbarer, dass es kein FESTES Ich gibt? Niemals gab? (Heute beschließe ich, abzunehmen - doch schon 2 Stunden später nehme ich die Einladung zum Käsefondue an..:-)

>Wo dies nicht >geschieht regiert der Mainstream und das mit und ohne >Cyberspace.

Weisst du nicht, dass es heute Mainstream ist, etwas BESONDERES zu sein???

GP:

>Noch hat die deterritoriale Herrlichkeit >omnipräsenten Seins aber keine Kondition gefunden, die >sich aus der Schizophrenie des interface und alter >Körperfron löst. Eine virtuelle Kompensation des >Körpers aus dem ubiquitären Geist vom cyberspace ist >noch nicht zu besorgen, weil die uns begreifbare >Virtualität auf den erdgebundenen Hybrid des >Körper-Geistes und seiner künstlichen Ausstülpungen >angewiesen ist.

Ja, das ist ein Fakt: Soviel, wie auf einmal in meiner Möglichkeit liegt, kann ich einfach nicht machen - nicht physisch (auf dem Stuhl sitzen), nicht psychisch (..mitfühlen..) und nicht mental (Info-Overflow).

Und das ist ein LEIDEN. Denn es ist sehr menschlich, nach Möglichkeiten zu suchen und zur Verwirklichung zu streben. Jetzt werde ich mit Möglichkeiten zugeschüttet! Deshalb versteh ich die Rede vom Auslaufmodell. Mein "Wissen" lagert zu großen Teilen auf Festplatten, ohne die ich mich kaum noch sinnvoll unterhalten kann....(außer über ganz einfache Dinge des täglichen Lebens - ich experimentiere ja damit im Digidiary, versuche, es festzuhalten...).

Zaza:

>Allerdings >empfinde ich dieses Streben nach Vergeistung als zutiefst >lebensfeindlich. Lebendig, das heißt ganz und gar, mit jeder >Faser am Leben teilzunehmen.

Das Leiden, das ich ansprach (und das in diesem Kontext immer gemeint ist), ist kein "Streben nach Vergeistigung"! Sondern ein schlichtes Kranken am Ist-Zustand, der sich weitgehend ohne mein "Ja" oder "Nein" entwickelt (sofern ich nicht versuche, "auszusteigen" - mit 45 erkennt man das allerdings als Illusion). Mit "jeder Faser am Leben teilnehmend" kann ich nur noch leidend meinen Alltag vor dem Computer in der globalisierten Infogesellschaft leben. Deshalb ziehen es viele vor, Teile der eigenen Leiblichkeit zu vergessen - soweit möglich! Doch das scheitert ebenso.

>Ein Mensch, der so ausser sich ist, dass er von sich als dem >erdgebundenen Hybrid des Körper-Geistes spricht, ist nicht bei >Sinnen und allerdings in großer Gefahr sich im Netz vollends zu >verlieren, denn was sollte ihn dort noch zu sich bringen?

Tja, was? In gewisser Weise sind wir alle so außer uns. Alle, die wir im kühlen Schein der Monitore in Mailinglisten schreiben, unsere Home-, Kultur- und Businesspages pflegen, auftauchende Fragen blitzgeschwind mittels Suchmaschinen beantworten, unser Einkommen mehr und mehr durch DIESE Aktivitäten 'generieren", und vor allem unsere Bestätigung, ein "nützliches Mitglied der Gesellschaft" zu sein, über die Netze beziehen. Wer ist denn da noch "bei Sinnen"? Gerade unser "sinnvollstes Agieren" entfernt uns zwangsläufig von den Sinnen - und das ist tragisch, katastrophal.

Ich wohne jetzt ja hier inmitten von Wiesen, Wäldchen, Feldern, Gärten in einem kleinen Dorf. Doch im Ernst: ein bißchen Gartenarbeit ist ja schön, es ist wunderbar, draußen zu sein und einen weiten Blick zu haben - aber: dies ist vollständig von meinem Netlife abhängig und ich habe nicht ernstlich die Wahl, das Zentrum meines Wünschens&Wollens etwa ins Gemüse-Anpflanzen oder Tiere-Züchten zu stecken. Obwohl das hundertmal besser für meinen physischen und psychischen Körper wäre.(Das tun hier auch nicht die "Unvernetzten" - STADT ist heute überall!)

DAS ist wiederum nicht die "Schuld" der Digitalisierung, bzw. des Netzes! Denn:

>Cyberspace simuliert nicht, sondern höhlt >eine Realität aus, die auch nicht mehr >als eine geronnene Virtualität repräsentiert.

Dem, was vor dem Netz war, geht nämlich das Gutenberg-Universum voraus. Keine "artgerechte" Existenz des Menschen in GANZER LEIBLICHKEIT, wie immer die aussehen könnte.

Genug für jetzt

Lieben Gruß


Claudia Klinger

 

Aporien des Cyberspace

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