Vorrede
Die
Synode von Hieraia dekretierte 754 n. Chr. das Verbot, Bilder von
Heiligen in der Kirche darzustellen und zu verehren. 787 n. Chr., im
Konzil von Nizäa, wurden Bilder wieder in der Kirche zugelassen. Selbst
die Überzeugung, dass Bilder Wunder wirken können, war wieder erlaubt.
Was machen wir inzwischen mit dieser alten, immer seltener genutzten
Freiheit? Hat diese Freiheit noch einen Wert in Zeiten, in denen
Bildwelten wuchern und sich die Wahrnehmung ihnen entziehen will – und
das einzelne Bild vergeblich eine Bedeutung reklamieren will, die im
Meer gleich-gültiger Bilder lächerlich anmutet? Sollte sich die von
Bildverlusten geschüttelte Kunst auf ihre magischen Ursprünge zurückbesinnen,
auf die Zeiten des Kults vor der Kunstgeschichte? Denn immer wenn wir über
Kunst nachdenken, stellt sich die Frage, welche Funktion sie überhaupt
noch besitzt. Die selbstbezüglichen Maschinen des Kunstbetriebs sind
kaum mehr trennscharf vom Kunstmarkt zu unterscheiden. Der Kunstmarkt
allein ist ohnehin kein Argument gegen künstlerische Selbstsetzungen.
Denn ginge es nur um Objekte, wäre es dem Künstler ja gerade überlassen,
wie er sie gestaltet. Die in die Jahre gekommene Unterscheidung
„Autonomie versus Heteronomie“ beantwortet sich weder im Blick auf
die Faktoren des Kunstmarkts noch auf die unakkreditierten Selbstentwürfe
des Künstlers. Vielleicht sollten wir diese Differenz aufgeben, um
wieder auf den Urgrund der Malerei zu stoßen, die durch Sinne
vermittelte Sinnlichkeit. Hat die Kunst noch originäre Anlässe und
eigene Funktionen, die tatsächlich nicht von anderen gesellschaftlichen
Agenturen erbracht werden können? Antwort darauf geben die Kunst, ihre
Macher und ihre Rezipienten. Wenn Kunst mehr als evolutionäres Geröll
ist, das niemand mehr wirklich benötigt, muss sich ihre Funktion in den
Selbstbezeugungen des Kunstsystems erweisen. Man kann das auch
klassischer formulieren: Brauchen Menschen Kunst?
Kann
man heute noch Madonnen malen?
„Maria,
die Mutter Gottes“ ist neben dem variantenreichen Motiv der Kreuzigung
ihres Sohnes eines der beherrschenden, obsessiven Bildthemen der abendländischen
Kunstgeschichte. Diese Obsession rührt nicht nur von der Beschwörung
des Heiligen her. Es war praktisch und geboten, zudem ökonomisch
unausweichlich, das zahlreiche Himmelspersonal in allen vorteilhaften
Bezügen darzustellen. Das mag für die Internet-Generation durch den
Umstand verschleiert werden, dass in der Suchmaschine die sich selbst
lasziv inaugurierende Sängerin „Madonna“ die „heilige Jungfrau“
verdrängt hat. Diese „Madonna“ säkularer Andacht inszeniert sich
auf der Schnittstelle zwischen Heiligkeit und Blasphemie, um
Aufmerksamkeitseffekte zu provozieren, die ihre Musik womöglich nicht
mehr garantiert. Das führt uns zum Paradox, dass ein Gegenstand höchster
Verehrung in seiner endlosen Wiederholung so leer wird, dass seine
Bedeutung sich nur noch als ein leidenschaftsloses Motiv, als ein leeres
Versatzstück der Kunstgeschichte erfüllt.
Hoffen
Maler jenseits des Lobs der Selbstreferenzen insgeheim auf die Fürsprache
der wahren Jungfrau, wenn letzte, irreversible Urteile gesprochen werden
oder wenigstens dann, wenn sie um ihre Bilder ringen? Das könnten
heimliche Gründe sein, die Madonna weiterhin darzustellen, so vordergründig
sich das Motiv auch als ästhetisches Spektakel vermitteln lässt.
Besonders schön, besonders einfühlsam, zum höheren Ruhme des Schöpfungsprojektes.
Kann man also heute noch Madonnen malen, wie sie seinerzeit für öffentliche
Zwecke der Devotion und klerikaler Machtpolitik gemalt wurden? Öffentliche
Zwecke, soviel wissen wir, reichen nicht aus, die Motive des Malers und
seine Lüste auszufüllen. Die Veranlassungen des Glaubens werden trotz
einiger unverzagter Devotionalien-Industrien an Wallfahrtsorten –
statistisch betrachtet – immer schwächer, Madonnen zu malen. Die
(rhetorische) Frage nach dem zulässigen Bildsujet lässt sich jedoch
einmütig beantworten, unabhängig davon, ob nun der Glaube danach
verlangt oder die Madonna zur abstrakten Fläche werden soll. Es hat
sich auch jenseits der Ateliers herumgesprochen: Man kann heute alles
malen!
Die
Freiheit der Bindung
Florian
Schneider malt Madonnen in der Spannung einer autonomen Kunst, die sich
ihrer nichtautonomen Tradition bewusst ist und mit den Zwängen der
Freiheit zu leben gelernt hat. Die Freiheit hat ihre Präzedenzen in
Bindungen, die mit unterschiedlicher Hartnäckigkeit Bildkonzepte
vorgegeben haben. Es könnte sein, dass Künstler wehmütig auf diese
verlorenen Bindungen schauen, die Themen und Formen kanonisierten, die
heute nicht mehr zu finden sind und wenn sie gefunden werden gegen ein
aufmerksamkeitsflüchtiges Publikum behauptet werden müssen. Die
Madonna ist ein herausragendes Objekt der Kunstgeschichte, das für
jeden beteiligten Künstler ein selbstreferentielles Gespräch mit
seinen Vorgängern über die Jahrhunderte hinweg eröffnet. Zugleich ist
sie für Schneider eine Projektionsfigur für diverse Zustände, die von
der Erfahrung des Heiligen bis hin zur persönlich imaginären
Konfiguration einer eigenen, besseren Geschichte reichen.
Schneiders
Madonnen erscheinen formal in der weit verzweigten Tradition liebenswürdiger
Kindfrauen. Für den Maler liegt der Reiz der historischen „Matrix“
oder mehr noch: die Provokation darin, dass dieses Thema sich aus
zahllosen Bedeutungslasuren und historischen Rezeptionsanlässen bildet.
Die Madonna war bereits ein idealischer Gegenstand, ein Objekt des
Kultes, bevor sie die Malerei dazu endgültig machte – was indes die
Entscheidung des Künstlers für diese oder jene (reale) Figur als
Vorwurf der mütterlichen Heiligkeit keineswegs erleichtert. Die
Geschichte der Mariendarstellung ist eine Geschichte des Frauenbildes.
Historisch gibt es in diesen Ikonen jenseits ihrer künstlerischen
Kontur das zu entdecken, was die Rolle der Frau real und idealisch prägte.
Es gibt Madonnen in diversen Altern, reif, jugendlich, gütig bis mädchenhaft.
Diese Bildtradition präsentiert alles andere als eine kanonisierte
Exegese heiliger Schriften oder gar biografischer Gewissheiten, die nur
noch illustriert werden müssten, um den Glauben durch Anschauung zu stärken.
Es gibt gerade keine Spannung zwischen einer realen und idealen, auf überhistorische
Wirklichkeit hin konstruierten Madonna. Die Madonna als Schutzheilige
der Familie ist spätestens seit Ende des 19 Jahrhunderts in
ikonologische Bewegung geraten, als Edvard Munch eine laszive, juvenile
Maria präsentierte, die eine mehr als anderthalb Jahrtausende währende
Bildtradition mit schlimmsten Versuchungen aufbrach. Doch es kam für
kanonische Glaubensgewissheiten noch schlimmer: Nachdem Max Ernst die
Madonna „vor Zeugen“ 1926 das Jesukindlein verprügeln lässt,
schien der blasphemische Reiz eines komplexen Themenclusters endgültig
erschöpft. Max Ernst wurde angeblich vom Kölner Erzbischof
exkommuniziert, während Anfang des 21. Jahrhunderts eine deutsche Erzdiözese
auf ihren Webseiten das Bild als neutralen Gegenstand der
Kunstgeschichte glaubt präsentieren zu können und längst nicht mehr
jenem ubiquitären Höllenfeuer übergibt, das Max Ernst in seinen
anderen, verwandten Bilddiskursen recht geläufig war. Die Madonna
bleibt ein Reizthema. Chris Ofili legte 1999 in New York nach. Seine
Madonna gestaltete er mit einer Brust aus Elefantendung und
Pornoschnipseln, was neben der Aufnahme eines alten blasphemischen
Diskurses auch die Frage nach der ethnisch einseitigen Orientierung des
tradierten Marienbildes aufwarf. Von wegen unbefleckt … Aber auch
diese Veranstaltung erinnert zu sehr an die atheistischen Wüstlinge de
Sades, die ohne das Paradox der Blasphemie nicht auszukommen scheinen.
„Like a virgin“ bezeichnet jedenfalls nach Quentin Tarantinos
Interpretationsansatz in „Reservoir Dogs“ etwas fundamental anderes
als eine Jungfrau, was dann die sakrosankte „Madonna I“ und die
infame „Madonna II“ so lüstern kurzschließt.
Ist
das auch ein Motiv Florian Schneiders, sich die paradoxe
Vexierbildeignung der Madonna zunutze zu machen?
Religiöse oder liturgische Kunst ist, horribile dictu: ein
Anathema. Als im April 2008 buddhistische Mönche die Exponate einer
Buddhismus-Ausstellung in der Bundeskunsthalle einsegneten, war für
eine kulturhistorisch unwahrscheinliche Sekunde die alte Allianz von
Kirche und Kunst wiederhergestellt, die die historisch reiche Semantik
zwischen Gotteshaus und Musentempel und die dem auch heute noch
zugeordneten Gesten der Verehrung, Kontemplation und Exklusion so eindrücklich
belegt. Kunst ist nach dem Bruch ihrer alten Allianz mit der Religion
eine Schöpfungs- wie Wahrnehmungskritik höherer Ordnung, indem sie
mehr oder minder haltbare Formen aus einem infiniten Reich von Eindrücken
schneidet. Die Kunst zeigt ohne die zahlreichen Bindungen der Religion,
wie man mit Kontingenzen umgeht. Das befreit uns wenigstens teilweise
von Zuständen der „Geworfenheit“, des Ausgeliefertseins an eine
Welt der unkategorisierbaren Eindrücke. Insofern ist Kunst eine Tätigkeit,
die auf einer semantischen Deutungsebene fortsetzt, was Wahrnehmung
ausmacht: Ordnung in ein Chaos bringen, was sie auch dann noch tut, wenn
sie Adornos Empfehlung folgt und Chaos in falsche Ordnungen trägt.
Folgt man dem Beobachtungsparadigma der Systemtheorie klingt das sehr ähnlich:
„Thema der Kunst ist die Beobachtung der Unbeobachtbarkeit der Welt“.
Florian
Schneiders Bilder zu diesem Thema belegen, dass Motive nicht mehr
einfach dargestellt werden können, um sie öffentlich verwendbar zu
machen. Die Madonna wird nun als Devotionalienbild des Kunstsystems
privatisiert und damit freigestellt, zu einer Projektionsfläche eigener
Sehnsüchte werden zu können. Gewiss wurden kanonische Themen immer mit
privaten Bildern überblendet, doch die Auftragsbindung endet an der
relativen Autonomie der Bildfindungen. Die „Caritas“, die Florian
Schneider thematisch auch entdeckt hat, wird heute nicht genuin von der
Religion besorgt, sodass hier ein altes Darstellungsinteresse zum höheren
Nutzen lernfähiger Menschen weiterzuführen wäre, sondern
entindividualisiert und dem Gemeinwesen anvertraut. Schneiders Allegorie
der „Caritas“ ist ein weiteres Objekt des Objektverlusts, weil neben
der Demontage der Idee der „Caritas“ auch die Allegorie als
rhetorische Figur ihre Plausibilität längst eingebüßt hat. Uns
leuchten keine metonymisch konstruierten Idealtypen für
Strukturbeschreibungen mehr ein, die Malerei hat sich längst
enttrivialisiert, um wieder ihren ursprünglichsten Anlässen zu folgen:
Ein Bild ist zunächst ein Wahrnehmungsanlass. Das „Objekt“ hat
seine Bildherrschaft dadurch nicht völlig verloren, aber es ist
verwaist: Auf dem Kopf stehend oder verschwindend, kurz erscheinend oder
doch ewig, so belanglos wie unersetzlich. Malt man Madonnen in diesem
transzendenten Sinne eines nichtigen Bildgegenstands, wie Georg Baselitz
Bildwelten als Gegenstandswelten auf den Kopf stellt? Wer also
„Caritas“ sagt, respektive malt, rekonstruiert Tugenden und Gefühle,
die uns nicht mehr ernsthaft abverlangt werden, die uns fremd geworden
sind, weil wir sie mit mehr oder weniger gutem Gewissen dem Sozialstaat
überlassen.
Bei
Schneider heißt das konkret, dass sein Bildmotiv der idealischen Frau
auch ironisch-privativ auf das Antlitz der Madonna, die Gesichter von
Fotomodellen oder das eigene Gesicht projiziert werden kann.
Psychologisch sind das archetypische Verschmelzungsphantasien,
kunsthistorisch gründet das auf einer
breiten Tradition, das Heilige, Erhabene, Göttliche und
Unerreichbare auch und gerade im Alltäglichen zu finden. Bartolomé Estéban
Murillos „Sagrada familia del pajorito“ präsentiert eine Genreszene
im Handwerker-Milieu jenseits des devotionalen Glanzes, was die alltägliche
Anverwandlung des Heiligen förderte, zugleich aber die heiligen
Geschichten profanisierte. Die von Kunsthistorikern viel bewunderte
Madonna im Palazzo Corsini verweltlichte sich als „donna con bambino“,
weil diese irdische Authentizität so gar nicht himmlisch erscheinen
wollte. Während diese Tradition das Wirken Gottes in aller Kreatur, auf
dem einfachsten Rasenstück, im bescheidensten Gesicht fand, prägen die
Bilder Schneiders eigene Archetypen, Identitäten und Obsessionen.
Die
Paradoxien der Vermittlung
„Um
die Zukunft zu enthüllen, müssen wir die Trägheit der Farbe überwinden.
Farbe will immer bleiben, wie sie ist. Wir aber wollen Transformationen.
Dies ist also nicht so sehr ein Bild als vielmehr ein dialektisches
Argument.“
Medien
vermitteln zwischen zwei Zuständen, um sie aneinander anzunähern, was
als das Medienapriori jeder Medientheorie gelten kann. Entsprechend
unspezifisch ist dieses Aussage, was also danach fragen lässt, was die
Malerei denn noch vermittelt, nachdem stärkere Medien erschienen sind
und die Malerei in vielen vormaligen Potenzen aufheben. Joshua Reynolds
hat in seinen Kunstdiskursen die klassische Vermittlungsaufgabe in der
Malerei so charakterisiert: Da die Malerei, anders als etwa die
Literatur, nicht erzählen, keine Situationen entwickeln kann, ist ihre
Darstellung auf das gerichtet, was typisch ist, um die Wahrheit eines
historischen Charakters zu schildern. So könnten historische Figuren
nicht kleinwüchsig dargestellt werden, auch wenn sie es gewesen sind,
weil dieses Moment ihrer Physis der Darstellung ihrer historischen Größe
widerspricht. Es geht Reynolds um eine (über)historische Wahrheit, die
sich nicht von (für ihn) marginalen Fakten irritieren lassen darf, die
übergewichtig würden, wenn sie im Medium der Malerei auf ihrer
marginalen Wahrheit beharren. Die Malerei sagt also die Wahrheit, wenn
sie da lügt oder unscharf wird, wo es für ihre „höhere“ Wahrheit
unabdingbar ist. Das ist nicht mit Friedrich Nietzsches Perspektivismus
zu verwechseln, vielmehr nimmt der Schein der konkreten Leiblichkeit
nicht mehr an der Idee teil, sodass die Idee erst durch einen neu zu
schaffenden Schein wirklich wird.
Im
Verlauf der Kunstgeschichte, die in Schneiders Themenwelt eine große
Rolle spielt, präsentiert die Malerei das, was sie selbst als Malerei
typisch macht. Die Malerei wird sich selbst zum Thema, was die Frage
ihrer Autonomie mit sehr autistischen Spielarten beantwortet. Der
amerikanische Fotorealismus wählte oft das paradoxe Prinzip, die
Malerei in den perfektesten Darstellungen unkenntlich zu machen, um
gleichsam spöttisch bis ironisch die Identifikation mit dem aggressiven
Folgemedium „Fotografie“ zu wählen. Es gibt aber, dahin entführen
uns die Bilder von Florian Schneider, auch den umgekehrten Weg, der vom
Algorithmus, von der Selbstverfertigungstechnik zur „peinture“ zurückführt.
Es gibt Malerei, die keine ist und doch dafür gehalten wird, sodass ihr
schillernder phänomenologischer Status wenig über ihr Sein verrät.
Verlieren wir uns hier in alten Differenzgeschichten, die längst nicht
mehr mit der Digitalisierung von Bildwelten Schritt halten, wenn wir überhaupt
noch von „Malerei“ reden? Malerei nimmt im Kunstsystem eine Stellung
ein, die weit entfernt ist von dem, was sie im Wissenschaftssystem der
Renaissance dominant beanspruchen durfte. Die Malerei war eine der vorzüglichsten
Wissenschaften,
die nicht lediglich beanspruchte, Wirklichkeit abzubilden oder die
Fantasie anzuregen oder auszudrücken, sondern sie war eine
Erkenntnisquelle, die unmittelbar auf eine kognitiv und reflexiv
fortgeschrittene Welterschließung zielte. Die Malerei wurde davon
sukzessive im Austausch gegen neue Freiheiten entbunden. Freiheit
erweist sich aber auch hier als Risikogeschäft der „Selbstsetzung“,
was gerade darin liegt, das Risiko nur schwer zu sehen.
Das
Digitale als das gegenwärtige Wesen der Mittel
Mit
digitalen Grafikprogrammen und der potentiell unendlichen Berechnung von
Bildflächen, wie sie Florian Schneider verwendet, wird die Malerei von
den vormaligen Zwängen der Technik und den Bedingtheiten der Materie
befreit – freilich nicht ohne neue Widerstände kennen zu lernen.
Jenseits von „Photoshop“ und den anderen Magietechniken gibt es nur
Malerei, die ihrer eigenen Mittel noch nicht gewiss ist. Traditionell
geschulte Maler geben das nicht zu, weil die sinnliche Erfahrung des
Malprozesses als genuines Künstlererleben und die wahre Befruchtung des
jeweiligen Bildträgers gilt. Der sinnlichen Qualität des Kunstwerks
korrespondiert aber nicht die Phänomenologie des Entstehungsprozesses,
was die Aussage Bismarcks verallgemeinern mag, dass es besser ist, bei
Gesetzen und Würsten den Fabrikationsprozess nicht zu genau in
Augenschein zu nehmen. Idealisten blenden gerne aus, dass es eine
materialistische Kunstgeschichte gibt, die als fortschreitende
Materialbeherrschung und wachsendes Magazin von Darstellungstypen
geschrieben werden kann, ohne die Begrifflichkeit des Genies oder dessen
Derivate, das erhabene Pathos, die große Pose etc. zu bemühen.
Auch
Genies haben mal klein angefangen: So riet man den deutschen
Romantikern, und vielen wurde es zum Credo, von der Natur zu lernen und
nach ihr zu arbeiten, doch die grafischen Kürzel der infinitesimalen
Natur sind erst abstrakt zu erlernen, wenn ihre Materialität
authentisch geraten soll. Anselm Kiefer, um nur einen zu nennen, hat
dann die Natur wieder direkt auf den Bildträger fixiert – doch da
hatten wir uns schon so sehr an die semantische Raffinierung der Natur
gewöhnt, dass uns diese direkten Applikationen auch nur als Episode
erscheinen wollen. Die spätmoderne Malerei markiert in der
Materialgeschichte allenfalls eine fragile Zäsur, wenn doch erst die
digitalen Codes eine größere virtuelle Varietät gewähren, die jene Künstlichkeit
erst generiert, die Kunst zur Kunst macht. Florian Schneider hat (vorüber
gehend) die Leinwände und Pinsel weggeräumt, die aus Marderhaar, mit
Borsten und lackierten Stielen, um auf unermüdlichere Subsidien zu
setzen. Denn erst jetzt gibt es mit dem Rechner Instrumente,
die diesen Namen verdienen und mit Potenzen aufwarten, die den
Malprozess selbst verinnerlichen. Denn ein analoger Pinsel hat kein Gedächtnis.
Die neuen Malgeräte sind indes instruiert, speichern Informationen und
sind daher rekursiv anwendbar und morgen vielleicht schon lernfähig. So
kann, um nur ein Beispiel zu geben, das Malinstrument, vulgo: der
Pinsel, mit Erfahrungen aufgeladen werden, mit einer erprobten Textur,
einer eigens „gemischten“ Farbe mit zahlreichen Parametern wie
Transparenz, Helligkeit etc. Der Begriff des Instruments selbst wird
diffus, weil Pinsel, Texturen, Breite und andere Parameter so eng im
Prozess des Malens integriert werden, dass neue Begrifflichkeiten
opportun wären, um die zahlreichen Ebenenwechsel deutlich zu machen.
Diese
neue Autonomie des Materials empfinden Maler wie Florian Schneider, die
vormals klassisch malten, nicht nur als Bereicherung.
Die „Handschrift“ des Malers wird zum „simulacrum“, der Gestus
reduziert sich auf digitale Zeichenbretter oder verschwindet völlig.
„Das Gemälde zeigt in einem querformatigen, in klassischer Peinture
ausgeführten und von höchst differenzierten farblichen Valeurs
bestimmten, grünlich-braunen Feld mit rosa-gelblichen Akzenten eine annähernd
runde, in der Mitte vertikal geteilte rote Großform, die nicht nur als
monochromer Farbwert, sondern als teilweise hoch aufgeschichtetes,
vergleichsweise grob strukturiertes Relief aus Farbmaterial die untere
Malschicht überlagert.“
Dieser Beschreibungsaufwand zu dem Bild Emil Schumachers „Sodom“ führt
paradigmatisch vor Augen– bzw. genauer formuliert: gerade nicht vor
Augen, welches Chaos zur Ordnung drängt. In solchen Zitaten wird
deutlich, dass Material und Technik immer mit über das Bild
entscheiden, ohne zu beantworten, wie viel Kontrolle der Künstler in
diesem Prozess besitzt. Der schaffende Künstler als autonomer
Gestalter, der mindestens unbewusst den Prozess der Bildwerdung steuert,
ist auszutauschen gegen einen Werkprozess, der sich in einer Technik erfüllt,
die sich nicht lediglich klassisch instrumentell, sondern als Wissen von
der Darstellbarkeit der Dinge bestimmen lässt. So wie Friedrich
Nietzsche das für das Schreibgerät gesagt hat, so gilt mehr noch für
Malerei und Maler ihre Technikabhängigkeit. Die Technik – und dieser
Begriff ist zu entfalten – ist die Kunstfertigkeit des Malers und
zugleich die Hilfsmittel, mit denen er sich umgibt. Diese Differenz wird
inzwischen radikalisiert und demontiert die Geschichte des großen
Protagonisten: Es entstehen Produktionszusammenhänge,
Mensch-Maschinen-Ensembles, die weder im Geniebegriff noch mit Hilfe künstlicher
Intelligenz hinreichend abgebildet werden können. Diese Entgrenzungen
sind im Prinzip schon lange mit der Rollenauflösung der verschiedenen
Typen des an der Kunst Beteiligten zu beobachten. Das Material denkt
mit, ist also nicht, wie es eine vordergründige Beherrschungsfantasie
will, bloßes Material, sondern avanciert zu einem Agens der
bildnerischen Logik. Daran haben sich viele Konzepte abgearbeitet, wie
etwa das Informel, das den stochastischen Prozessen der Farben
und Erden auf sensiblen Malgründen besondere Beachtung schenkte. Wenn
die Farbe läuft, hat sie ein Ziel, das vielleicht über den Akt künstlerischer
Setzung ästhetisch-qualitativ hinausläuft. Muss der Künstler überhaupt
noch eingreifen, wenn das Material für ihn „denkt“? Mehr denn je
gilt, dass die Form im Medium auf Ausdruck drängt. Doch im Gegensatz zu
Aristoteles, der diesen Prozess als das Herausarbeiten der immer schon
fertigen Form aus dem Stein beschrieb, vertrauen wir stärker auf das
Medium und seine inneren Logiken von Material und Bearbeitung, die zu
starken Subsidien der „schöpferischen“ Entscheidung werden. Was
Malerei ist, können nur Maler wissen, aber selbst diese kommen oft
nicht zu dem Punkt, aus den Eigenlogiken der Malerei heraus die Bilder
zu schaffen, sondern kleben an Konzepten und antiquierten
Materialvorstellungen, um ihre vorgebliche Mittelpunktsstellung nicht zu
gefährden. Doch erst wenn der Prozess fließt, die Malerei den Maler
verdrängt, erst dann zeigen sich ihre Möglichkeiten, die den Maler
autonom machen. Wer jetzt deliriert – und van Gogh, der instantane
Prozesse zu schätzen wusste, wäre entzückt gewesen - darf
sich wenigstens auf Technik verlassen, die diesen Namen auch verdient.
So
entdeckt ein Maler wie Florian Schneider virtuelle Materialwirkungen,
die von der Simulation ausgehen, um über die Simulation
hinauszugelangen. Simulation ist in der Kunst- und Medientheorie
inzwischen ein überlasteter Begriff – wenn wir das Motto Baudrillards
ernst nehmen, dass das Reale das Reproduzierbare ist. Die Differenz von
Original und Kopie kollabiert. Die Simulation ist keineswegs eine
epistemische Errungenschaft der an Fabrikationen gewöhnten Moderne: „
(Das Zurechtmachen, das Ausdichten zum Ähnlichen, Gleichen, - derselbe
Prozess, den jeder Sinneseindruck durchmacht, ist die Entwicklung der
Vernunft!)“. Martin Heidegger hat gezeigt, dass diese Aussage
Nietzsches zur Simulation als Vernunftprozess sowohl bei Immanuel Kant
als auch bei Platon erscheint, was nicht nur diverse philosophische
Markierungen irritieren mag, sondern auch das poetische Geschäft der
Erfindung über die dichtende Vernunft wieder dem Erkenntnisprozess
anverwandelt. In einem theoretisch brauchbareren Sinne ist Simulation
eine Weltkonstruktionsweise, die sich auf Erprobtes verlässt und den
vormaligen absoluten Glauben an den Schöpfer gegen den relativen
Glauben an die Schöpfung austauscht. Bernhard J. Dotzler hat daran
erinnert, dass der Computer als „Simulator“ auf die Welt gekommen
ist und Norbert Wiener das neue Ideal einer kybernetisch geschöpften
Welt so schilderte: „Das perfekte Modell einer Katze ist natürlich
wiederum eine Katze, sei diese nun von einer anderen Katze geboren oder
in einem Labor synthetisch hergestellt worden.“ Der Reiz einer
Simulation liegt nicht in der Identität, in der materialer (!)
verpflichteten Wahrheit, in der „adaequatio rei et intellectus“, die
ausgerechnet der kopernikanisch neuorientierte Immanuel Kant wegwerfend
selbstverständlich behandelt: „Die Namenerklärung der Wahrheit, daß
sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande
sei, wird hier geschenkt, und vorausgesetzt.“ Das Geheimnis der
Simulation liegt darin, der Schöpfung, wenn sie denn eine ist, ein
Schnippchen zu schlagen, also die „Katze“ auf einem anderen Wege zu
generieren, als es von der Natur vorausgesetzt zu sein scheint. Es ist
dasselbe und doch grundverschieden – das ist das wahre Geheimnis und
die metaphysische Attraktivität der Simulation, die sich aus der
vorgegebenen Ordnung herausstellt, indem sie unerkennbar in ihr aufgeht.
Auch
Wahrnehmungskonventionen können in der Simulation der Bilder genutzt
werden, um sie als solche zu entlarven – was die schöne Paradoxie
bereit hält, die Sinne zu täuschen, um ihnen ihre Täuschungsanfälligkeit
vorzuführen. Wenn man Florian Schneiders Bilder betrachtet, mögen
nichtprofessionelle Beobachter sich an das Elend der Pigmente, der
Bindemittel, der unbefriedigten Oberflächen und das chemische Chaos
post festum erinnern. Wir kennen die Abstürze der Kunst in der nicht
beherrschten Materialität ihrer Ingredienzien, die spätere
Wahrnehmungen zum Wagnis machen. War Rembrandt wirklich so „dunkel“,
dass die Gegenstände verschwinden oder erzählt uns der Firniss eine
apokryphe materiale Kunstgeschichte, die nie vom Maler geschrieben
wurde? Dieses (relative) Elend einer nicht beherrschten Materie hat die
Moderne in ihren Atomisierungen der Materialien zu einer neuen Kunst
erhoben. Die Materialität als künstlerisches Thema beherrscht weite
Gebiete der Kunst, pointiert in der arte
povera bis hin zu konkreter Malerei und weit darüber hinaus. Schon
zuvor werden der Rahmen, die Rückseite der Bilder, die unzähligen
Texturen der Bildträger und die plastischen Oberflächeneffekte enorm
wichtig. Die Akzidenzen emanzipieren sich zum Zentrum hin. „Die
breiten Pinselstriche, in denen die Seerosen ausgeführt sind,
sagen, dass die Oberfläche eines Gemäldes atmen muss, nicht aus körperloser
Farbigkeit; dass die Farbe nicht bloß auf die Leinwandfläche
aufgetragen, sondern ihr abgewonnen werden muss.“
Clement Greenberg erkannte in Monets Seerosen bereits die Methode des
„Abstrakten Expressionismus“, den er einflussreich in den fünfziger
und sechziger Jahren in Amerika propagierte. Dem Kritiker ging es um
eine neue Sensibilität für Oberflächen und die Materialität des
Pinselstrichs, dahinter wartet schon die Pop-Art, die diese wilden
Nachkriegsstürme wieder zurücknimmt, um die Glätte als Ideal der
Warenwelt zu entdecken. Uns erscheinen diese Aufgeregtheiten und
Parteinahmen für und gegen Oberflächen eher akademisch bis kontingent.
Konsumistische Welten wollen alles andere als glatt sein, während der
späte Expressionismus oft kaum merklich von den amerikanischen Heroen
getrennt ist, die Clement Greenberg bewunderte. Deutlich wird in diesen
Auseinandersetzungen, das die neuere Malerei, insbesondere seit der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhundertes gegen den Illusionismus die
Materialität der Farbe und im Weiteren die Materialität als plastische
Dimension eroberte. Ist die digitale Malerei keine Rücknahme dieser
wichtigen Eroberung einer immer stärker auf ihre Materialien
reflektierenden Kunst?
Bessere
illusionäre Wirklichkeiten
Im
Digitalimperium von Florian Schneider gelten andere Regeln. Hier wird
das Auge doppelt getäuscht: Zum trompe-l’œil der Gegenstände kommt
nun noch das trompe-l’œil der Malerei, die relative Täuschung über
die Faktur selbst, die sich im Medium versteckt. Seit Zeuxis oder Parrhasios sind Täuschungsqualitäten hoch angesehen, ja
geradewegs der Ausweis künstlerischer Meisterschaft, was nichts an
Platons folgenreichen Verdikt gegen die Künstler ändert. Auf einer
Ebene zweiter Ordnung muss sich das auf die Kunst bzw. die Bilder selbst
richten. Folgt man Bazon Brock, mögen Kunstfälscher die größeren Künstler
sein, weil sie doch in vielen Winkeln der modernen Seele sitzen und ihre
Meisterschaft in der souveränen Verfügung über fremde Mittel liegt.
Das korrespondiert einem von Friedrich Nietzsche eingeleiteten
Emanzipationsprozess des Scheins gegenüber der wahren Wahrheit, der die
Kunst und die Sinne in der Rangordnung nach oben kehrt und die Wahrheit
als das bleiche Geschäft der Illusion abwertet. Für Künstler ist
diese Umwertung das bessere Geschäft als für Philosophen, die schnell
in den unendlichen Regress getrieben werden, ihren Erkenntnisgegenstand
noch anzugeben, während der Maler die Sinne nicht mehr dem Scheinen der
Idee unterordnen muss.
Täuschung
und Ent-täuschung beschreiben die reflexive und längst nicht
ausgelotete Spannung, die jedem Objekt der Kunst eignet. Reflexiv ist
solche Malerei darin, dass sie ihren eigenen Mitteln nicht mehr
ausgesetzt ist, sondern sie gleich mitschafft. Konkret technisch heißt
das: Man kann nicht nur Inkarnat simulieren, man kann auch dessen
Malweise simulieren. So wie sich der Künstler selbst erfindet, erfindet
er seine Malweisen. Bei näherem Zusehen löst die Gemeinsamkeit des
Habitus die uns geläufigen, kleinlichen Stilzuordnungen auf. Bei
Florian Schneiders Bildern vermutet der unvoreingenommen Wahrnehmende,
wenn es ihn denn geben würde (auch das eine Täuschung!), Pastell und
Öl als Malmittel, bis auf den zweiten Blick hin zahlreiche Bilder ihre
digitalen Ursprünge in den bewusst digital formatierten Hintergründen
und Accessoires verraten. Die in der digitalen Frühzeit verpixelten
Treppen weichen inzwischen sanften Stufungen, die dann dem trägen
Wahrnehmungsapparat des zu Kompromissen neigenden Menschen nicht mehr
digital, sondern analog erscheinen. Das Digitale hebt bei weiterem
Voranschreiten auch das Analoge in sich auf, was die Ressentiments gegen
die vorgebliche Künstlichkeit und Wesensentfernung des Digitalen
erledigen sollte. Simulation ist das älteste Systemprogramm der
Malerei, immer in der Hoffnung, das Wesen der Dinge, der Welt und des Göttlichen
zu streifen. Demiurgen auf allen Ebenen der Weltschöpfung sollten
zusammen halten. Der Maler, der in seiner Schöpfung die Schöpfung
simuliert, tut das erfolgreicher, wenn er die Schöpfungsbedingungen
gleich mitkonstruiert – um schließlich allein durch die Bedingungen
einer sich selbst schöpfenden Kunst deren Programm abzuschließen.
Selbst in medial ärmeren Zeiten haben Künstler versucht, technisch
avanciertere Effekte mit der Malerei zu verbinden. So haben Thomas
Gainsborough, Philipp Hackert oder Caspar David Friedrich einige Bilder
so konzipiert, dass eine künstliche Lichtquelle die Bildwerke von
hinten durchstrahlt, um die physikalischen Grenzen gemalten Lichts zu überschreiten.
1807 erfasste Edward Orme in seinem "Essay on transparent prints
and on transparency in general“ diese Tendenzen transparenter
Bildproduktionen, die dann im Zuge von Industrieproduktionen vielfältigen
Einzug in die Alltagswelten halten. Florian Schneider verwendet auch
Lichtkästen, um die Brillianz der Darstellung zu verstärken. Diese
Illuminationsmethode schafft eine „artifizielle Präsenz“ (Lambert
Wiesing), die sich nicht auf die binäre Schaltung
„Realismus/Imagination“ reduzieren lässt. Die Künstlichkeit
verleiht den Bildern eine hyperreale Gloriole, also einen technisch
generierten Heiligenschein, der die Wirklichkeit des Unwirklichen
beweisen soll. Denn immer schon insistieren Künstler auf der Realität
des Fiktionalen, was das Publikum im „als-ob“-Modus gelernt hat,
ohne sich über den Wirklichkeitsstatus im Unklaren zu befinden.
Das
ist nicht nur ein ironischer Gestus, sondern der Künstler greift das überlieferte
Grobraster „Sein/Schein“ an, weil er nicht länger den referenzlosen
Wahrnehmungserfahrungen fortgeschrittener Betrachter angemessen ist. Bei
der „Geburt der Lichtkästen“ bezogen Thomas Gainsborough und sein
vorübergehender Freund Philip James de Loutherbourg
die beiden medialen Pole des Bildeinsatzes externen Lichts. Während de
Loutherbourg auf den Vorschein des illusionistischen Panoramas zielte,
Bewegung und Unterhaltung massengeeignet zu machen, suchte Gainsborough
die reflexive Steigerung des Bildes durch diesen Effekt. Gainsborough
durchleuchtete ein Bild, ohne die Peinture zu verhehlen, ganz im
Gegenteil: der Auftrag und die Malweise werden durch dieses
„Reflexionswerkzeug“ gerade deutlich. Bei Schneider geht es nicht um
die veristischen Schaukästeneffekte, sondern um Intensitätseffekte des
Bildes, das für den Betrachter zu einem Bildraum des Lichtes erweitert
wird. Die Malerei des Tafelbilds steht in der Spannung von planer Oberfläche
und perspektivischer Prätention. Der Lichtkasten verspricht eine
Hinterwelt der Oberflächen, die durch eine externe Lichtquelle
beleuchtet werden.
„Hyperrealismus“
war zuvor eine Methode, der Transzendenz einer ontologischen
Zwangsbeziehung zur Wirklichkeit zu entkommen. Für Florian Schneiders
Frauenbildnisse gilt, was für alle quantenmechanisch gewitzten Katzen
gilt: Sie existieren und sie existieren nicht. Allein der Beobachter
respektive seine Beobachtung entscheiden über ihren ontologischen
Status, der in datengläubigen Gesellschaften unwichtiger wird zu
Gunsten der Materialität des Immateriellen. So werden sinnliche Ausführung
und algorithmische Anleitung eins. Platon mochte künstlerische
Simulanten bekanntlich nicht, weil sie den Schein des Scheins
herstellten, um sich noch weiter vom Wesen zu entfernen, aber
medientheoretisch betrachtet waren der Hauch der Stimme oder gar der
Text auch keine authentischeren Instrumente. Auch Fundamentalontologen
entkommen Medien nicht, was entweder die Ontologie diskreditiert oder
ihre medientheoretische Fortschreibung forciert.
Produktionsästhetische
Mediationen
Das
entwicklungsberauschte Universalmedium „Computer“ hebt die
Geschichte seiner Vorläufer in einer transmedialen Potenz auf, die
zahlreiche Medien abbilden, synthetisieren und transzendieren kann.
Insofern verdeckt die Rede vom Computer als Medium mehr als sie enthüllt,
weil das Repertoire seiner Möglichkeiten, ja mehr noch: sein
politischer, sozialer und ästhetischer Status und seine
Evolutionsbereitschaft unauslotbar erscheinen. Der Computer ist nicht
irgendeine Extension menschlicher Möglichkeiten, sondern erfasst nahezu
sämtliche Eigenschaften des Menschen und formt eine unhintergehbare
Mensch-Maschine, deren „biomechanoide“ Nachfahren schon auf dem
Sprung sind. Es ist kein Zufall, dass der Katholik McLuhan von den „extensions
of man“ sprach, gerade jener Kategorie, die Sören Kierkegaard für
Gott reservierte: „Man erinnere sich beständig daran, dass man nach
meinem Sprachgebrauch nicht in Gott oder im Guten verschlossen sein
kann, da diese Verschlossenheit eben die höchste Ausweitung
bedeutet. Je bestimmter so das Gewissen in einem Menschen entwickelt
ist, desto stärker ist er ausgeweitet, ob er sich im Übrigen
auch von der Welt abschließe.“
Ganz nebenbei ist das die maßgebliche Funktion der Religion, die
Ausweitung der Innenräume über den Nahkosmos hinaus in die
Unendlichkeit, was maßgeblich erst durch die konkrete Fantasie der
Malerei plausibel gestaltet werden konnte.
Sören
Kierkegaard optierte für eine Produktionsästhetik, die bei digitalen
Speichermedien einen besonderen Sinn macht: "Probater Rat für
Schriftsteller: Man schreibt seine eigenen Betrachtungen nachlässig
hin, man lässt sie drucken, bei den verschiedenen Korrekturen werden
einem dann nach und nach eine Menge guter Einfälle kommen. Fasst
darum Mut, ihr, die ihr euch noch nicht erkühnt habt, etwas drucken zu
lassen, auch Druckfehler sind nicht zu verachten, und mit Hilfe von Druckfehlern
witzig zu werden, darf als eine rechtschaffene Art gelten, wie man es
wird." Wenn früher Lasuren übereinander gemalt wurden, dann waren
das irreversible Prozesse, die die Perfektibiliät der Welt nur in einer
mehr oder weniger gelungenen Epiphanie suggerierten. Aber auch
Improvisationen sind mit solchen Mitteln nicht von Ordnungen, Planungen
oder Konzeptionen zu unterscheiden. Jackson Pollocks Gestus wird
entdramatisiert wie alle Formen von genialischer Selbstsetzung und
vorgeblich unwiederbringlichem Kairos. Diese Art von vermeintlichem Zufälligkeitsdiskurs,
den auch Walter Benjamin fruchtbar machte, wenn er gerade dann weiter
schrieb, wenn er längst schon zu müde war und „ausgeschrieben“
schien, ist heute im Medium des digitalen Speichers und der Myriaden von
Bifurkationen, auf die man immer wieder zurückkommen kann, noch viel
effizienter. Davon spricht auch Florian Schneider, der sich durch eine
ästhetische Landschaft bewegt, die von Jorge Luis Borges ersonnen sein
könnte, weil das „Aleph“ der Beobachtung immer neue Bildräume eröffnet.
Die endlos scheinende Varietät beschreibt die Virtualität einer
avancierten Kunst, die sich potentiell alle Bilder aneignet – so wie
die Namen Gottes in der berühmten Kurzgeschichte von Arthur C. Clarke
„ The Nine Billion Names of God“. Hier erfüllt sich der Künstler
als „eine Maschine zur Erzeugung von Zufällen“
erst mit einer technischen Kraft, die jene vormalige Beschleunigung im
Fragment, im Skizzenbuch der Romantiker und schließlich selbst im
Rausch der Reproduzierbarkeit anachronistisch erscheinen lässt.
Wenn
der Maler sich wie Florian Schneider für digitale Bildkonstruktionen
entscheidet, verlässt er unwiderruflich das Einzelbild als
selbstreferentiellen Kosmos. Das Tafelbild ist weltfern, weil die Welt
nicht wie ein Fenster konstruiert ist und die Bewohner des
Fensterplatzes jederzeit belegen, dass Perspektivenwahl auch
Angstmanagement ist. Unter digitalen Bedingungen stirbt das Tafelbild
seinen zweiten Tod. Bildgewebe wuchern auf der Festplatte, dem neuen
Bildträger im emphatischen Sinne, einer virtuellen Landschaft mit vielfältigen
Verknüpfungen, Hauptwegen und Nebenwegen. Fruchtbarkeit und Metastasen
sind nicht scharf zu unterscheiden. Diese Art von Malerei kann nicht mit
filmischen Techniken verwechselt werden, die uns schon immer einer
fremden Temporallogik unterworfen haben. Vielmehr geht es um eine
sequentielle Topografie, die eine besondere Selektivität der Schöpfer
notwendig macht. Das Bild ist gegenüber dem Film ein demokratisches
Medium, weil es keine Wahrnehmungsorientierung vorschreibt und digitale
Rekonstruktionen das Ideal einer autonomen Rezeptionsästhetik erst
verwirklichen. Cum grano salis: Maler sind Demokraten, Regisseure
dagegen Tyrannen. Eigenartigerweise wurde der Film nicht in seiner
Medialität und Rezeption als das Herrschaftsmedium erkannt, dessen
Zeitregiment selbst in Aufzeichnungsmedien nur bedingt zu durchbrechen
ist.
Wenn
der Prozess der Kunst als Prozess ernst genommen wird und nicht nur, um
zweifelhafte Relikte anstatt von Werken zu präsentieren, kann man nicht
über Resultate oder Ziele reden, sondern über künstlerische
Auswahlentscheidungen, die mit neuen Medien nicht leichter zu treffen
sind, sondern eher schwerer, weil die Dichte möglicher Entscheidungen
den Bildraum so entfesselt, wie es klassisches Material nie ermöglichte.
Mit anderen Worten: Das Kontingenzpotential wächst, wenn sich der Maler
darauf einlässt, um wenigstens Regeln anzugeben, die Steuerungsgewinne
wahrscheinlich machen. Auch das vorderhand kontingente „Dripping“
eines Jackson Pollock beansprucht, Kontingenzen besser zu steuern, weil
jedenfalls irgendein selektiver Prozess - und sei es der „frame-effect“
wie etwa bei Helen Frankenthaler
- notwendig ist. Florian Schneider bewegt sich in den digitalen
Landschaften seiner Festplatte, ohne den Prozess um des Prozesses willen
zu suchen. Der Weg ist diesmal nicht bereits das Ziel, was seit einigen
Dekaden des Experiments und der angestrengten Variation ein gefährdetes
Wissen ist. Ein anderer Weg, ein späterer, alternativer Weg könnte zu
einem neuen Ziel oder ein völlig neuen Aufgabenstellung führen. Der
Maler bewegt sich heute durch die wuchernde Bibliothek seiner Bildeinfälle,
die nun fast beliebig rekombinierbar erscheinen. Irgendwann muss man
Bildprozesse stoppen. Auch die Kunst kennt das „Halteproblem“ als
kreativen Anspruch und löst es nicht allein durch den Verweis auf die
Endlichkeit der Schöpfer. Der irdische Schöpfer muss ein Bild
irgendwann abschließen und selbst wenn es Fragment bleibt, muss auch
das irgendeinen Fertigkeitsgrad besitzen, der dann die Spannung von
„Bild“ und „Fragment“ reflektiert. Die Referenz auf den
menschlichen Schöpfer, auf die sich die Kunstgeschichte oft verlässt,
löst keine Probleme, sondern entdifferenziert nur einen komplexen
Gestaltungsprozess. Maler müssen Grenzen setzen, Konturen finden, doch
gerade darin begründen sie Kontinuitäten. Digitale Medien verheißen
eine unendliche Vollkommenheit der Weltschöpfung, weil sie auch die
zuvor unbeachteten Zwischenräume der noch unbekannten Meisterwerke
entdecken können. Die uns bekannte Kunstgeschichte hat kontingente
Momente, die gerade durch die zahlreichen Versuche Formlogiken,
Epochenabfolgen, Stilentwicklungen plausibel zu konstruieren. Das Werk
des einzelnen Künstlers wird dadurch nicht ent-deckt, sondern bis zur
Erkennbarkeit generalisiert.
Es
ist also nicht wenig, was das neue Medium „Malerei“ leisten kann,
wenn es seine eigenen Begrenzungen reflektiert, um das Eigene zur
Geltung kommen zu lassen, auch wenn es diesmal nicht die von Joshua
Reynolds erstrebte höhere Wahrheit sein sollte. Medien formen Inhalte
nach ihren medialen Möglichkeiten und wenn sie diese nicht erkennen,
verfehlen sie ihre Botschaft. „Das Wie der Wahrheit ist gerade die
Wahrheit. Darum ist es Unwahrheit, eine Frage in einem Medium zu
beantworten, wo die Frage nicht zutage treten kann.“
Oder anders formuliert: „Medientechnik ist selbst Form, die bestimmte
Inhalte möglich und andere unmöglich/unwahrscheinlich macht. In einem
gegebenen Medium kann man keineswegs alles sagen.“
Für Marshall McLuhan war dieser Zustand für die Prägung der
Gesellschaft, der Denkweisen und Handlungsmöglichkeiten ihrer
Mitglieder verantwortlich: „Nun, jede Technologie hat gewissermaßen
ihre eigenen Grundregeln. Sie bestimmt alle möglichen Anordnungen in
anderen Bereichen. Die Wirkung der Schrift und die Fähigkeit,
Zusammenfassungen herzustellen, Daten zu sammeln und zu speichern, veränderte
viele soziale Gewohnheiten und Vorgänge schon etwa 3000 v.Chr.“
„Understanding Media“ wird gerade auch in der Medientheorie oft
falsch verstanden als eigenes Erkenntnisprogramm, während Medien nur
jenseits ihrer reinen Präsenz in ihren zahlreichen gesellschaftlichen
Bezügen verstanden werden können.
Schönheit
– ein neues Risiko
Prima
vista, also in einem riskanten, aber uns geläufigen
Wahrnehmungsverhalten, erscheinen Florian Schneiders Bilder schön, weil
ihre „Objekte“ schön sind. „Gina“ und andere Modelle sind schöne
Frauen aus dem buntem Harem von „Electric Ladyland“, der digitalen
Fortsetzung des türkischen Bades der Odalisken von Ingres. Diese
unwirkliche Schönheit ist eine Konstruktion, wie seit je Schönheit
konstruierbar erschien, als eine falsch verstandene Magie noch nicht den
Schöpfungswillen des Malers täuschte. „Schönheit/Hässlichkeit“
war über Jahrhunderte in der Malerei ein selbstverständlicher, nur der
Geschichte unterworfener Code, der dann spätestens seit Goya immense ästhetische
Probleme aufwarf. Denn die Schönheit war nicht länger der selbstverständliche
Pol, an dem sich jedes Maß messen lassen sollte. Selbst das Vertrauen
auf die Schönheit der Natur war nun vergeblich: „Claude Lorraine, on
the contrary, was convinced that taking nature as he found it seldom
produced beauty.”
Bei Oscar Wilde heißt das dann provokativ, dass die so zufällig
arrangierte Natur eben nicht mit einem veritablen Sonnenuntergang
William Turners konkurrieren kann. Und fast erstaunlich treffen sich
hier alle Stränge der Moderne in dem Glauben, dass die Konstruktion des
Kunstwerks zwingender sei als die Konstruktion der Welt, was die
Steuerung von Kontingenz zur selbstverständlichen Aufgabe des Malers
machte – bis die Malerei langsam begann, auch die Nichtordnung zu
ertragen. Die Hybris der totalen Ordnung gilt dann vor allem für die
Schönheit: Die Schönheit der Gesichter, die wir bei Florian Schneider
finden, ist unwirklich bis „widernatürlich“, wie es die Kunst seit
je schon im Namen beansprucht zu sein. Diese Frauen, die bei Schneider
in einer undefinierten, unwirklichen Atmosphäre wie Schaumgeborene
auftauchen, sind um Lichtjahre von den Modellen Lucian Freuds und
anderer schmerzhafter Realisten entfernt. Es sind nicht die gefallenen
Madonnen, die man in der Rue St. Denis antrifft, unweit des Ateliers von
Florian Schneider. Es sind unwirkliche Frauen, die den Primat des
Wirklichen in der Idealität ihres Nichtseins bestreiten. Ohne
unwirkliche Bilder könnte die Wirklichkeit nicht existieren, was nur
paradox erscheint, wenn die inneren Bilder als Gegenbilder jener Welt da
draußen verdrängt werden.
Umberto
Eco hat jüngst zwei Untersuchungen vorgelegt,
die von dieser sinnlich aufdringlichen Unterscheidung nicht lassen
wollen. Begrifflich war diese sinnliche Differenz längst nicht leicht
auflösbar. Das Hässliche war das Nichtschöne. Es ist, wie Niklas
Luhmann in seinen Untersuchungen dieses Codes feststellt, privativ
konstruiert. Das Hässliche besaß zunächst keine Eigenlogik.
Jedes hässliche Bild verfehlt seinen Gegenstand und bestätigt darin
das Ideal der Schönheit. Selbst heute, nach diversen Emanzipationen des
Hässlichen, ist dieser idealistische Diskurs noch von großer Macht,
weil wir – um die Gegenprobe zu machen – nicht den Primat des Hässlichen
behaupten würden und tote Tiere in Formalin als Erfüllungen dieses
Ideals beschreiben würden. Vielleicht war die Maja noch schön,
ohne in die Ambiguität dieses Begriffs hineinzutreiben. Die schwarzen
Riesen könnten dieses idealische Streben nach tradierten Maßstäben
nicht mehr reklamieren. Sie sind sublim,
wenn man dem realen Schrecken des überdimensionierten Bildgegenstands
als Ziel höherer Kunstanstrengung folgt. Das Sublime, wie es Edmund
Burke als Gegenbegriff zur Schönheit formulierte, kann weniger
gegenstandsbezogenen Betrachtungsweisen wieder schön erscheinen. Der
Schrecken ist nicht weniger erhaben, was im Prinzip schon Albrecht Dürer
mit den apokalyptischen Reitern unter Beweis gestellt hatte, ohne sich
der Klassizität seiner Linien zu begeben und den grafischen Duktus
selbst so apokalyptisch werden zu lassen, wie es später bei Ludwig
Meidner geschieht.
Verfolgt
Florian Schneider nun ein abstraktes Ideal überhistorischer Schönheit?
Der Maler kann diese Entscheidung nicht allein treffen. Er kann sich–
wie im Fall Schneiders – der Geschichte stellen, die das Sehen
anleitet, um nicht vom Terror des historisch aufgeladenen Blicks zu
reden, dem wir alle unterliegen. Emanzipation gegenüber der
aufdringlichen Bildgeschichte wurde zuvor oft mit Dekonstruktion gleich
gesetzt, so wenig klar ist, was methodisch gemeint ist und wo die
Grenzen der Beliebigkeit zu ziehen wären.
Maler
und (virtuelles) Modell
„Maler
und Modell“
ist nicht nur ein übergreifendes Thema der Geschichte der Malerei, die
zwischen Künstler und Objekt in der Intimität einer offen definierten
Beziehung entsteht und einigen Spielraum für eine laszive Rezeptionsästhetik
eröffnet. Das Modell ist Anima, Muse, Gesprächspartner etc. und somit
eine Kreativitätsgarantin, so ungewiss das Wesen der Kreativität auch
im Übrigen sein mag. Picassos
berühmte Serie, der die Intimität dieser Beziehung festhalten will,
findet ihre Urszene in der Begegnung von Apelles, des Hofmalers
Alexanders des Großen, zu seinem Modell Campaspe. Campaspe war eine
Geliebte bzw. Nebenfrau von Alexander dem Großen und der Maler
verliebte sich in dieses Modell. Alexander hat Verständnis für diese
mimetische Einfühlung und verschenkte das Modell an seinen Hofmaler.
Der König entscheidet sich für das Ideal, der Maler muss mit dem
Objekt seiner Begierde vorlieb nehmen.
Analytisch hilft eine andere berühmte Anekdote weiter, das Verhältnis
von Maler und Modell zu begreifen. Der Fama nach soll Zeuxis für die
Darstellung der schönen Helena gleich fünf Frauen als Modelle
herangezogen haben. Denn das Ideal der Schönheit borgt sich die Nase
hier und den Mund dort aus,
weil doch die Natur gegenüber der Kunst unvollkommen ist.
Florian
Schneider arbeitet ohne diesen realen Pol der Vermittlung seines Ideals.
Das Modell fehlt und muss über die Vorlage der Kunstgeschichte hinaus
imaginär hergestellt werden. Der Zwischenraum zwischen dem fremden
Entwurf und dem eigenen inneren Bild wird ohne ein reales Objekt
geschlossen. Was als Mangel definiert werden kann, ist zugleich ein
Vorteil, um die imaginativen Anteile der eigenen Bilder besser
herauszuarbeiten. Die Veränderung eines Gesichts oder Körpers der
Vorlage rekurriert auf eigene Vor-Bilder, die einem Ideal-Typ
entsprechen. Schneider entfaltet sein Modell aus dem fremden Bild, ohne
diesen Ausgangspunkt und diese Spannung zum „Urbild“ zu verleugnen.
Diese Überblendungen sind in einem klassischen Sinne dialektisch, weil
sie die alte Darstellung in der eigenen Darstellung „aufhebt“.
Komplexer wird diese Beziehung dadurch, dass Schneider auch die
Besonderheiten der Reproduktionen aus dem Internet als Ausgangsmaterial
einsetzt. So lassen sich Blitzlichtreflexe auf der Leinwand der
fotografischen Vorlage in Strukturen und Texturen verwandeln. Es ist
eine in den Wachzustand überführte Hypnagogik, die sich der
assoziativen Form ergibt, ihr folgt, um sie schließlich wieder einem
gesteuerten Prozess zu unterwerfen. Der Eingriff des Zufalls in das Werk
ist kein Zufall, sondern ein produktiver Anlass, wenn die Hierarchie der
Anlässe, die sich in der Hierarchie vormaliger Gesellschaften
erschloss, kein Daseinsrecht mehr besitzt. Das ist ein genuiner Gestus
der Moderne, die verfemten Formen und Strukturen ja selbst
Darstellungsschwächen der Vorlage in ihrer Eigengesetzlichkeit zu
nutzen.
Semantisch
ist diese Malerei, soweit sie Kunstgeschichte zitiert, auf sie anspielt,
sie assoziiert: So finden sich Blumen im Haar der Frauen Schneiders, die
ihre Provenienz bei Odilon Redon nicht leugnen müssen. Es gibt Ansätze
von Blusen, die Farbvariationen präsentieren, die uns in die Rue La
Rochefoucauld Gustave Moreau führen oder wie betrachten entrückte
Gestalten, die Geschwister der Familie Balthus sein könnten.
Kunstgeschichte ist ein selbstreferentieller Überblendungsprozess, ex
ovo kann niemand mehr schöpfen. Die vormals eherne Differenz zwischen
Kunst und Kunstgeschichte gerät in dieser selbstbezüglichen Beziehung
in Bewegung. Der Künstler reflektiert sein Verhältnis zur
Kunstgeschichte nicht in allen Fällen so eindeutig wie Florian
Schneider, der oft auf Arbeiten zurückgreift, die nicht in der ersten
Reihe verehrungswürdiger Ikonen der Kunstgeschichte stehen. Solche
Arbeiten leisten weniger Widerstand gegen ihre Überformung, sie werden
zum „Material“, was uns in anderen Kontexten auch bekannt ist:
Mittelmäßige Literatür lässt sich
besser verfilmen als Meisterwerke.
Die
aquaristische Toilette der Venus
Das
Schöne folgt (geheimen) Ordnungen, die jede Geometrie um nicht
rationalisierbare Unregelmäßigkeiten bereichert. So gibt es
harmonische Gesetze, doch die muss man hier und dort durchbrechen, um
jene organische, also wahre Schönheit erst zu erzielen. Das ist eine
spannende Frage bei den Bildern von Florian Schneider, weil die Schönheit
auf der Ebenmäßigkeit der Züge gründet, doch digitale Irritationen
die pure Einsinnigkeit der Wahrnehmung des Schönen stören. Auf den
Bildern von Florian Schneider gibt es solche „Schönheitsflecke“, Störungen,
digitale Flecken oder „numerische Reste“, die in einer ironischen
Farbpalette liegen, die sich dem Thema „unangemessen“ nähert, um es
so und nur so möglich zu machen. Das klingt postmodern, sofern das eine
Kategorie sein sollte, weil Themen wie das Herrschaftsporträt
„Katharina, die Große“ an spöttischen Farbvaleurs gebrochen
werden. In einigen neuen Variationen über „Die Toilette der Venus“
von Giorgio Vasari wird die Methode Florian Schneiders gut
nachvollziehbar. Vasari erfindet 1558
ein Thema, das fortan zum kanonischen Bestand der abendländischen
Motivgeschichte gehört. Vasari fragt mit diesem Spiegelmotiv nach der
Abbildbarkeit des Schönen. Für Schneider wird das Bild zum Anlass,
seine Themen in der Vorlage zu finden. Vasaris Bild ist einerseits
„Rohmaterial“, was die tradierte Auseinandersetzung mit historischem
Bildmaterial – ob nun in der darauf aufbauenden Bildpraxis oder der
Exegese - provozieren muss. Andererseits geht es um ein klassisches
Thema, das ohne zahlreiche Konnotationen nicht erfasst werden kann:
Venus ist nicht weniger prominent als Maria. „Venus“ war nicht nur
die Göttin der Liebe, sondern in ihrer antikisierenden
Nachfolgefunktion rechtfertigte sie den unverhohlenen Blick auf den
weiblichen Körper, repräsentierte die andere Seite der Doppelexistenz
„Frau“, die in ihrer lustfernen Erscheinung eben von der „Immaculata“
vorgestellt wurde. Florian Schneiders Zugriff auf das Bildmotiv
verwandelt die „Venus“ Vasaris, der wir mit unserem gegenwärtigen,
sinnlich übersättigten Blick kein hohes Eros-Potential zuerkennen, in
eine Odaliske, die dem Atelier eines späteuropäischen Orientalisten
entsprungen sein könnte. Wir sehen ein Spiel mit mindestens drei
semantischen Lasuren, dem bedingt inspirierten Manierismus des Giorgio
Vasari, dem begehrlichen Orientalismus zwischen Jean-Auguste-Dominique
Ingres und Jean-Léon Gérôme. Und drittens: Die Lichtreflexe auf der
von Schneider verwendeten Darstellung verwandelt er in eine maritime
Phantasie. Hier wird das Prinzip des mutierenden Blicks besonders
deutlich. Das Material und seine akzidentiellen Effekte werden in der künstlerischen
Idiosynkrasie zu neuen Bildanlässen, die sich eigenmächtig in den
Vordergrund schieben dürfen. Die Geschmeidigkeit des Materials erweist
sich in der digitalen Unbestechlichkeit, Strukturen zu permutieren. So
verwandelt sich die untere Bildhälfte in ein Aquarium, weil die
digitale Oberfläche zu diesem Exkurs einlädt. Die drei Tiefseebewohner
sind ironische Geschöpfe, weil sie die Nichträumlichkeit des
Firnissdunkels Vasaris zu einem unruhigen Sinnhorizont von Meeresfluten
verwandeln, der die Odalisken zugleich als Nixen erscheinen lässt.
Die
Ironie im Boudoir
Das
Boudoir gehört zu den – neudeutsch gesprochen – klassischen
Feuchtgebieten der abendländischen Phantasie, in der viele Varianten
der Weiblichkeit inszeniert werden. Schneiders semantische Überblendungen
legen nahe, dass man die Kunstgeschichte neu oder umschreiben könnte,
indem man die öffentlichen und privaten Obsessionen fokussiert, die
jene Reinheitsideale, wie sie Platon oder – weniger repressiv, als es
sein Exegeten unterstellen - Kant konturieren wollen, ad absurdum führen.
Das obsessive Wohlgefallen kann mit höherem Anspruch behaupten, die
eigentlichen Anlässe der Kunst zur Weltschöpfung zu benennen als eine
um Identität und kognitive Kongruenz bemühte Kunst. Dabei geht es
nicht nur um die Emanzipation der eigenen Sinnlichkeit, sondern zugleich
darum, die vermeintlich unhintergehbaren Ideale, die in der nächsten
Epoche schon diskreditiert sind, als das historische Material zu
erweisen, das sie selbst im höchsten Anspruch geschichtsübergreifender
Werte immer bleiben.
Florian
Schneider nähert sich dem „ewigen“ Schönen als Ideal in einer für
spätmoderne Zeitgenossen tolerablen Weise, weil es nicht länger in sämtlichen
Facetten, in seiner fatalen Überwirklichkeit ernst genommen werden
muss. Die Versuche, der Schönheit zu „Leibe“ zu rücken, ihrer
habhaft zu werden, gefährdet seit je ihre Existenz in einem
unaussprechlichen Raum. So gibt es zwar im Barock rhetorisch erregte „Blasons“
auf Körperteile, die jenseits ihres Körpers von autonomer Schönheit
sein sollen, doch hier wird die ideale Schönheit in einer
geschlossenen, harmonischen Gestalt bereits demontiert. Formuliert man
die Aufgabe der Schönheit als eine gesellschaftliche, ist mit
utopischen Entwürfen zu rechnen, die wahlweise mit Tugend- oder Schönheitsterror
einhergehen. Das Design übernimmt schließlich heute diverse Aufgaben
des Schönheitsprogramms, ohne den exegetischen Aufwand für eine
ambivalente Kategorie der Weltbetrachtung noch für notwendig zu halten.
Fordert man die Schönheit in der Malerei zurück, muss man schöne
Bilder malen, denn diese nicht reflexive Schönheit kennt keine Zeichen,
sondern ist oder ist nicht. Florian Schneiders Malerei stützt sich
nicht vorrangig auf Zeichen. Es gibt keine Bildsprache in dem Sinne
einer strukturalen Analyse, was nicht ausschließt, dass Zeichen –
etwa Kameen-Halsketten – das Bildmotiv in das Bildmotiv einführen
(auch ein „re-entry“). Florian Schneider malt Porträts, deren entrückte
bis somnambule Schönheit auf ein lustvoll entfaltetes Traditionsmotiv
des 19. Jahrhunderts, die femme fatale, verweisen, deren geheimnisvolles
Sein gerade darin liegen sollte, nicht – jedenfalls nicht für Männer
- decodierbar zu sein. Die Pikanterie dieser Darstellung lag schon immer
darin, dass Männer entscheiden, was an einer geheimnisvollen Frau
Geheimnis zu bleiben hat. Diese Botschaft ist für computergenerierte
Malerei nicht ohne weitere Ironie, weil doch der Begriff des
„Informationszeitalters“ vor allem die (Trans)Codierbarkeit aller
Zeichen impliziert. Aus Ölfarbe wird Mathematik werden Pixel werden
Wahrnehmungen. Nichts ist bloß erhaben, alles ist programmierbar.
Ironisch
sind Schneiders Bilder, wenn sie den zarten Schmelz der Malerei
reklamieren, in diesem Duktus entworfen worden und eben doch „nur“
Produkte des Rechners sind, die jederzeit anders weiterberechnet, also
„gemalt“ werden können. Dieser digitale Malkosmos belegt eindrücklich,
dass auch die Existenz eines „Meisterwerks“ nichts anderes als eine
Konvention ist, Endpunkte in einem offenen Zusammenhang zu behaupten. Wir
erinnern uns an Picassos berühmte Malsession auf einem von der Kamera
hinterrücks aufgezeichneten Glas, das für den Betrachter die zahllosen
Veränderungen während des Malprozesses vor Augen führte. Doch das Übermalen
oder das Wegwischen von Ölfarbe mit Terpentin war nicht ohne Spuren möglich,
die zwar kreativ genützt werden können, aber zugleich die Widerständigkeit
des Materials belegen, das geradewegs gemächlich reagiert, während die
Imagination von der Materialität behindert wird. Just hier liegt eines
der ältesten Probleme der Malerei, Imagination, Malduktus und
Materialität zu synchronisieren. Das war bisher nie ohne Brüche möglich,
weil die Imagination der virtuellen Hirnmaschine erheblich schneller
reagiert als die Materie. Malen ist im Gegensatz um Kriegführen eine
akzeptable Herrschaftsform, die in ihren weiteren Aufrüstung auch die
temporale Logik der Imagination neu entdecken kann. Wenn das Rechnen und
das Malen zu einem superphänomenologischen Gestus verschmelzen, wird
die Fantasie des Malers wie des Betrachters in nicht vorhersehbarer
Weise gereizt. Die Schönen auf den Bildern von Florian Schneider
bezeugen das Programm einer Schönheit, die in musealer Entrücktheit
beginnt und zu künstlichen Paradiesen führt, die jene leicht gewebten
Baudelaires in ihrer neuentechnischen Präsenz überbieten. Autonomie
heißt dann nicht länger, dass sich die Kunst über gesellschaftliche
Bedingungen hinwegsetzt, nicht einmal und gerade nicht in ihren eigenen
Formgesetzen, weil dieser Gegensatz zwischen künstlerischer Form und
Gesellschaft selbst künstlich respektive nachkonstruiert ist. Autonomie
bedeutet nun, richtige Orientierungen in einer „terra incognita“ zu
finden, was den Maler wieder mit den ältesten Problemen bildlicher
Darstellung konfrontiert - indes mit dem Unterschied, dass die
Gestaltungsherrschaft des Malers so weit reichend ist wie nie zuvor in
der Kunstgeschichte. Wie es also die alte, oft erzählte chinesische
Fabel aus der virtuellen Frühzeit will, verschwindet dann der Maler
schließlich in seinem eigenen Bild, weil Bild und Welt, Leben und Kunst
eins werden. Soweit reicht die gegenwärtig aufscheinende Immersion
nicht, noch ist die Welt der Artefakte nicht die Welt der Natur. Aber
der Vorschein einer Aufhebung des Gegensatzes wirklicher und virtueller
Welten ist nicht länger auszublenden. Die Bilder Florian Schneiders
sind ein Beitrag dazu…
Goedart
Palm
Joshua Reynolds, Seven Discourses On Art, A Discourse IV, http://www.authorama.com/seven-discourses-on-art-6.html
|