Nahm
Martin Heidegger der Philosophie die Unschuld ihrer kontemplativen
Weltabgewandtheit, ihres spekulativen Müßiggangs und dem verbunden
ihrer relativen politischen Folgenlosigkeit? Heidegger schaffte es
scheinbar mühelos, sich punktgenau mit dem Auftakt des Dritten Reichs
aus der tiefsten Lektüre der Vorsokratiker umstandslos in die
unheilvollen Gefilde der politischen Machthaber zu begeben und hier
wenigstens für kurze Zeit der Autosuggestion zu erliegen, er könnte
der Führer des Führers sein. War das ein persönlicher Irrtum des in
den zwanziger Jahren avancierten Philosophiestars, ein schicksalhafte
Verstrickung, die überschätzte Episode einer epochalen Philosophie
oder begründet das ein fundamentales Verdikt gegenüber dem gesamten
Denken Heideggers bis in die letzten Kapillaren seiner Philosophie?
Inzwischen
ist das ein altes, immer wieder ventiliertes Thema, an dem sich
zahlreiche Nach-Denker, Apologeten wie Kritiker Heideggers versucht
haben. Vertreten werden in dieser Diskussion zahlreiche Meinungen zu den
Ansteckungsgraden eines Denkens, das reklamierte, die Philosophie
fundamental neu zu erfinden, ja mehr als bloße Philosophie zu sein. Im
Grunde, und wenn man Heidegger folgt, muss der Denkende immer tief gründen,
gibt es nur griechische und deutsche, vor allem eben Heideggersche
Philosophie. Sollte dieser hohe, wenn nicht narzisstische Anspruch zu
viele Schüler geblendet haben, die nationalsozialistische Dimension
seines Denkens zu erkennen und das Werk in toto zu verwerfen?
Zwei
Auseinandersetzungen haben sich dem konflikthaltigen, in der
Philosophiegeschichte einzigartigen Thema besonders nachhaltig gewidmet:
Die Abhandlung von Victor Farias aus dem Jahre 1989, „Heidegger und
der Nationalsozialismus“ und die jetzt übersetzte, bereits seit 2005
vorliegende Untersuchung von Emmanuel Faye „Heidegger. Die Einführung
des Nationalsozialismus in die Philosophie“. Dieter Thomä resümierte
seine Lektüre dieser äußerst streitlustigen Untersuchung damals so:
„Ja, die Philosophie kann skandalös sein, und wenn sie von
Deutschland nach Paris kommt, ist sie für den Tumult gerade gut genug.
Dort kocht der Geist hoch, dort befindet sich ein philosophischer
Dampfdrucktopf, der in regelmäßigen Abständen aufgeheizt wird, um
schrille Töne von sich zu geben. Dann nämlich erhitzen sich die Gemüter
an der affaire Heidegger, also an dessen notorischem Einsatz für den
Nationalsozialismus als Rektor der Universität Freiburg i. Br. 1933/
34. Alle zwanzig Jahre wird Frankreich zum Heidegger-Land.“
Emmanuel
Faye holt mächtig gegen den deutschen Großdenker aus: Heidegger habe
sich durch seine aktive Beteiligung am Nationalsozialismus, aufgrund von
Denunziationen und Geheimgutachten, der aktiven Einführung des Führerprinzips
an den Universitäten, der Wiederaufnahme der
„nationalsozialistischsten und rassistischsten“ Schriften in die
Gesamtausgabe als Philosoph völlig diskreditiert. Seine vehementen
Attacken gegen die Vernunft ließen jede Aufrichtigkeit des Denkens
vermissen. Er habe die Universalität des Begriffs der Wahrheit verneint
und zerstört, indem er sie auf eine Blut-und Boden-These reduziert
habe. Die von Immanuel Kant
aufgeworfene Frage, was der Mensch sei, werde „rassistisch“ und
„todbringend“ beantwortet. „Die völkischen und zutiefst
rassistischen Grundsätze, die in der heideggerschen Gesamtausgabe
vermittelt werden, zielen auf die Auslöschung aller intellektuellen und
menschlichen Fortschritte ab, zu denen die Philosophie ihren Beitrag
geleistet hat. Sie sind also für das Denken der Gegenwart genauso gefährlich
wie der Nationalsozialismus dies für die leibliche Existenz der
Ermordeten war.“ Faye setzt damit in der Kritik Heideggers den
definitiven Schlusspunkt, der selbst scharfe Kritiker der deutschen
Ideologie und des verlogenen Jargons der „Eigentlichkeit“ wie
Theodor W. Adorno dadurch „überbietet“, dass er Heidegger nicht
mehr als Philosophen gelten lässt und ihn aus dem Reich der Philosophie
gänzlich verbannen will. André Glucksmann hat bereits 1977 auf solche
Versuche clairvoyant die Antwort gegeben: „Überlassen wir es den
Herren Doktoren, die das Glück haben, dieser Misere entgehen zu können,
den Beweis vorzubringen, dass es ja nur eine „deutsche Misere“ sei
und dass es statthaft sei, Heidegger wegen seiner sechs Monate währenden
Sympathie für den Nationalsozialismus zu verbrennen, und dass man über
die fünfzig Jahre hinweggehen müssen, die andere damit verbrachten,
den (nationalen) Sozialismus des Vaterlands des Archipels GULAG
willkommen zu heißen.“ Waren das sechs Monate einer vorübergehenden
Mesalliance oder ist der Nationalsozialismus das so nachhaltig
angedachte „Wesen“ dieser Philosophie? Heidegger-Schüler Herbert
Marcuse konstatierte: "Heute scheint es mir schamlos, Heideggers
Bekenntnis zum Hitlerregime als (kurzen) Fehltritt oder Irrtum abzutun:
ich glaube, dass ein Philosoph sich einen solchen 'Irrtum' nicht leisten
kann, ohne seine eigene und eigentliche Philosophie zu
desavouieren." Otto Pöggeler gegenüber erklärte der Philosoph,
der Selbstaussagen in allen Lebensphasen scheute, dass er 1933 „völlig
verblendet“ gewesen sei, was Faye ihm nicht ansatzweise abnimmt, da
jeder explizite Widerruf fehle. Sind das späte, zu späte Dementis, die
innige Verbundenheit seiner Philosophie und seiner Person mit dem
Nationalsozialismus zu leugnen?
NSDAP-Mitglied
und Spiritus rector
Heidegger
bleibt die größte Provokation, die ein Denker dem Selbstverständnis
der Zunft bereitete. Denn dieses Mitglied der NSDAP war, wie schon die
immer noch wuchernde Publikationsfülle demonstriert, ein
Hardcore-Denker, dessen herausragende Persönlichkeit als Lehrer nie
bestritten wurde. Wer den auf Effekte setzenden Erregungsmodus von
Hitler-Reden kennt, wird darin keine Gemeinsamkeit zu dem philosophisch
sorgfältig bis zur Ermüdung hin entfaltenden Analysestil Heideggers
erkennen. Aber die „große Wende“, von der Heidegger spricht, schließt
die nationalsozialistische Aufbruchsstimmung mit der
radikalontologischen Metaphysikkritik kurz, was schon deshalb nicht
einfach als Wahrnehmungstäuschung klein geredet werden kann, weil ein
Philosoph, der von der Erleuchtung bis zur Lichtung alle
Erkenntnisintensitäten beschwört, schlecht Dispens erwarten kann, wenn
er den gröbsten Verwechslungen zu unterliegen scheint. Wie konnte also
ein Philosoph, der mit diesem epochalen Anspruch auftrat und auch bis
heute so wahr- und ernst genommen wird, zugleich ein Nazi sein?
Die
Philosophie war längst vor Heideggers Star-Karriere eine Disziplin der
Universitäten geworden, eine den Alltäglichkeiten und der Politik entrückte,
zumeist staubtrockene Welterschließungs- bzw. Weltverhinderungsweise,
kaum geeignet, Massen zu bewegen oder auch nur das geistige Leben anzuführen.
Heidegger markierte in der berüchtigten Rektoratsrede vom 27. Mai 1933
einen völlig anderen Anspruch, der die funktionalistische
Differenzierung der Gesellschaften jedenfalls für den
partikularistischen Anspruch der Philosophie nicht mehr gelten lassen
wollte. Das Wesen der deutschen Universität, das sich über die Epochen
mit dem großen Anfang des Wissens bei den Griechen verbünde, gelte es
zu wahren und fördern. Nun ist dieser kühne Hiatus noch keine genuine
Erfindung Heideggers, sondern eine längst von Hölderlin und Hegel
ausgegebene und von Nietzsche bespöttelte Losung. Heideggers Universität
hat aber noch andere „Qualitäten“: Mit der „vielbesungenen“
akademischen Freiheit sei jetzt Schluss. Statt dieser „unechten“
Freiheit gebe es jetzt Bindung und Dienst der deutschen Studentenschaft.
„Die erste Bindung ist die in die Volksgemeinschaft“. Arbeitsdienst,
Wehrdienst und Wissenschaft bilden nun gleichursprünglich die Trias der
Bindungen „durch das Volk an das Geschick des Staates“ in der „schärfsten
Gefährdung des Daseins inmitten der Übermacht des Seienden.“ Liest
man diesen Text auch im Übrigen, so entsteht der Eindruck, dass
Heidegger hier die gängigen Parolen und Phrasen der neuen Herrscher mit
denen seiner Philosophie zusammenrührt, weil er an den „Kairos“
glaubt, nun an der richtigen Stelle stehend einen gewaltigen
Epochenumbruch zu erleben, ja mehr, den erfolgreichen Kampf gegen die
ach so unerträgliche Bewusstlosigkeit der Moderne und alle anderen Irrtümer
der letzten Jahrtausende selbst als Denkheroe zu führen. Gerade in
dieser überzeitlichen Manie verliert Heidegger jeden Blick auf die
Geschichtlichkeit dieses fatalen universitären „joint venture“ mit
der Macht, die nicht weniger trunken von ihrer tausendjährigen Mission
schwadronierte.
Das
Bekenntnis zum Nationalsozialismus war besonders „anschlussfähig“,
weil Heidegger in zahllosen Varianten auf das „Wesen“, den
„Ursprung“ und das „Ganze“ zielte, letzteres nun dem Wortsinn
nach schon von totalitärer Eignung. Zwangsernüchterte Zeiten, die sich
nicht auf universale Welterklärungen und metaphysische Sicherheiten stützen
können und zugleich einer unheimlichen, weil eigendynamischen und
gottgleichen Technik stärker ausgeliefert scheinen als je zuvor, sind für
diesen kontraindizierten Holismus und delirierenden Ton besonders empfänglich
gewesen. Heideggers Eintauchen in die Machtgeschichte des Dritten Reichs
wird erst verständlich, wenn sie auf seine Totalitätssemantik rückbezogen
wird, ohne – und das übersieht Faye permanent – in dieser
Indienstnahme völlig aufgeht.
Hubert
L. Dreyfus konstatiert 1972 in dem immergrünen, aber sicher nicht zum
Zeitpunkt des Erscheinens von „Sein und Zeit“ 1927 phänomenologisch
fassbaren Problem „What computers can't do“, dass Heideggers
Begrifflichkeit zwischen „Zeug“ und „Bewandtniszusammenhang“
bereits die Antworten beinhalte, warum künstliche Intelligenz nicht
respektive nur unter bestimmten Umständen der Verkörperlichung möglich
sei. Solche erstaunlichen Zuständigkeiten des Daseinsspezialisten in
allen, auch tierischen und technischen Seinsfragen, die
sich dann mühelos über vorläufige naturwissenschaftliche
Erkenntnisstände hinwegsetzen, sind gegenüber der Macht und Politik
noch leichter einzunehmen, solange frei schwebenden Begrifflichkeiten
den Gesprächsraum offen halten und Allzuständigkeiten begründen.
„Das Sein“, um das es Heidegger geht, eignet sich in der Philosophie
als supralogische „carte blanche“, die zur Begründung der Begründungslosigkeit
einigermaßen bequem ausgespielt werden kann. Wer so „eigentlich“ an
die Ursprünge von Welt und Denken heranreichen will und nur die Anfänge
gelten lässt, während er in der folgenden Philosophiegeschichte
vornehmlich Verfallsformen des Denkens beobachtet, will mehr als nur
schlichte Wahrheiten verkünden. Die Rektoratsrede spricht nicht für
eine leidige Pflichtveranstaltung, der man sich im Angesicht der Macht
notgedrungen unterwirft, um wieder zum seriösen Hauptgeschäft der
Philosophie zu wechseln. Heidegger reagierte auf die neue Macht so
enthusiastisch, dass Korrespondenzen zwischen einer Philosophie, die das
Handeln so energisch betont, und einer Politik, die aktionistisch
agiert, nicht nur eine Oberflächenkonstellation beschreiben. Faye hat
gegen alle Kritiker Recht, die im Bagatellmodus der Kontamination dieses
Denkens mit der nationalsozialistischen Macht entkommen wollen bzw. die
Fluchthelfer spielen. Das ändert nichts am Befund von Jürgen Habermas
anlässlich des Erscheinens von Victor Farias Abhandlung, Heideggers
Werk habe sich „längst von seiner Person gelöst“. Heidegger wurde
am 1. Mai 1933 NSDAP-Mitglied und blieb es bis zum Ende des Kriegs, was
wenig Raum für Abkehr lässt. „Heidegger wollte den Führer führen,
bedeutete mir Jaspers einmal.“ (Willy Hochkeppel - DIE ZEIT, 06.05.1983 Nr. 19). Ist das
die Entschuldung eines in die Macht der Philosophie Verliebten, der über
das Katheder hinaus an seinem Wesen die Herrschaft genesen lassen will?
Oder hat sich Jaspers, der für Heideggers Fascho-Rausch Erklärungen
suchte und dem „aristokratischen Prinzip“ Erfolg wünsche (Rüdiger
Safranski), hier aus alten Sympathien motiviert verhört? Jürgen
Habermas spricht von „Professorenwahnwitz“, der in der künstlichen
Kleingesellschaft der Universität gut gedeihen mag, wenn doch hier
Dispens vom wahren Leben gewährt wird. Suchen die Eigentlichkeit, die
an recht uneigentlichen Verhältnissen leiden? Philosophenherrschaft ist
ein alter vergeblicher Traum, der aus dem unbescheidenen Anspruch der
Philosophie erwächst, die ganze Welt zu um- und begreifen. Dieser
Fehler hat Konjunktur. Philosophen wie Leo Strauss glauben an das durch
die Philosophie angeleitete „Programm der aufgeklärten Tyrannis",
was sich verallgemeinert zur neokonservativen Politikberatung, deren
inferiore Qualitäten dann in zwei Legislaturperioden Bush-Regierung
teuer bezahlt wurden. Ob „der Besitz der Gewalt das freie Urteil der
Vernunft unvermeidlich verdirbt“, wie Immanuel Kant mit einiger
Plausibilität meinte, ist dabei nicht mal entscheidend gegenüber dem
Umstand, dass Philosophen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sich nicht
als Machthaber eignen.
© Goedart Palm
Der
Philosoph als Charismatiker
Bei
Heidegger interessieren die Verbindungslinien seiner Philosophie zu
nationalsozialistischen Begrifflichkeiten nicht, um den Nachweis zu führen,
dass Heidegger Nazi gewesen ist. Das ist für jede vordergründige
Betrachtung schon deshalb einfach, weil Heidegger sich auf „pomp and
circumstances“ des Regimes einschließlich von korrektem Hitler-Gruß
und dem Absingen des Horst-Wessels-Liedes einließ, was neben seiner
etymologisierenden Sprachtümelei besonders grotesk wirkte. „Wir
entdecken nämlich, dass Heidegger zu einer Zeit, als er gar nicht mehr
dafür einstehen musste, in seinem Editionsplan ungerührt die Veröffentlichung
einiger seiner unverhüllt nationalsozialistischen und hitlertreuen
Schriften vorsah – ohne jede Einschränkung, ohne jede Reue.“
(Emmanuel Faye, Wie die Nazi-Ideologie in die Philosophie einzog, DIE
ZEIT 18.08.2005 Nr.34) Faye konstatiert: „Am Fundament von
Heideggers Werk findet man keinen philosophischen Gedanken; man
findet den völkischen Glauben an die ontologische Überlegenheit
eines Volkes und eines Stammes. Liest man daraufhin in Sein und Zeit
die Abschnitte über Tod und Geschichtlichkeit (mit ihrem Lob des
Opfers), liest man ferner die Abschnitte über die Wahl der Helden und
des authentischen Geschicks des Daseins in der Volksgemeinschaft, dann
sieht man, dass Heideggers völkischer Glaube schon 1927 am Werk war.“
Das ist hart gesagt und lässt den Begründungsaufwand für die
ultimative Heidegger-Demontage eher unverhältnismäßig erscheinen, wo
es doch vorzugswürdig gewesen wäre, den Faschismus als synthetisches
und eklektisches Konstrukt zu deuten. Der philosophische Gedanke, der
vom faschistischen Virus infiziert wird, ist das eigentliche
Provokativum. Wäre Heidegger nur Hype, nur die Inszenierung eines vor
allem solipsistisch
(Hannah Arendt) in sein „Selbst“ verliebten Philosophen, der –
wodurch eigentlich? – sein schändliches Charisma zur Verführung der
Studenten nutzt, wäre diese Geschichte schnell erzählt. Faye müsste
daher zunächst die charismatische Strahlkraft Heideggers ausloten, dem
offensichtlich nicht nur mehr oder weniger Hörer seiner Vorlesungen und
Seminare erlegen sind, sondern respektable Denker aller politischen
Provenienzen bis in die Gegenwart hinein. Heidegger ist und bleibt Kult
und die Rezeptionsgeschichte schreibt sich bis auf Weiteres fort, weil
er nicht nur ein Produkt manipulativer Selbstinszenierung ist, weil es
sich diese Denkbewegung nicht nur ideologisch leicht und bequem macht
– was nicht ausschließt, dass Heidegger seine polyinterpretable
Phraseologie streckenweise dem Nationalsozialismus bis zur Kenntlichkeit
anverwandelt oder zumindest die Etiketten umklebt. Weil Faye das weiß,
aber nicht, um keinen Preis einen denkenden Nazi rechtfertigen will, nähert
er sich dem Phänomen „Heidegger“ so wie der Vorsitzende eines
Tribunals. Gerade dieser alles im Orkus des absoluten Bösen versenkende
Duktus entschärft die wirklichen Gefahren totalitärer Denkweisen, die
als „Meme“ sehr viel lebensfähiger sein könnten als Chefdenker
oder „Gesammelte Werke“. Die abgründige Diabolisierung dieses
Chef-Denkers negiert dessen eigentliche Potenz und lässt nur noch ein
philosophasterndes Gespenst übrig, das entsprechend kommod auszutreiben
ist. Wäre Heidegger nicht der, der er ist, wäre der posthume
Exorzismus seines philosophischen Werks doch gar nicht möglich.
Jenseits dieses Paradoxes hätte Faye vielleicht sein persönliches Verhältnis
zu Heidegger dokumentieren sollen, weil sich der Text so liest, als würde
hier die Geschichte einer großen Ent-Täuschung als Schauprozess aufgeführt.
Heidegger
oder die Liebe zur Gefahr
Die
Verführung eines Philosophen, der von Gefahr und Gefährlichkeit,
Taumel und Wirbel spricht, während er philosophiert, ist nicht überraschend.
Hegel, der angeblich preußische Staatsphilosoph, beging den Jahrestag
der französischen Revolution mit einer Bouteille Rotwein.
„Philosophie ist das Gegenteil aller Beruhigung und Versicherung…Wir
kennen das noch gar nicht – diese elementare Bereitschaft für die
innere Gefährlichkeit der Philosophie“ verkündet Heidegger in seinen
Metaphysik-Vorlesungen aus dem Wintersemester 1929/30. Ein Ordinarius in
Freiburg kann diese Gefährlichkeit nicht mit seiner Stellung belegen,
dem saturierten Bürgerstand angehörend und eine vorgezeichnete
Karriere mit den üblichen Stationen vor sich. Dass „dem heutigen
Normalmenschen und Biedermann bange“ wird im Angesicht der
Philosophie, dafür wollte er ausdrücklich einstehen. Wer vom „Kampf
um das Sein“ spricht, will in der Philosophie eine Bedeutung
vermitteln, die der Universitätsphilosophie so gänzlich fremd ist.
Theodor W. Adorno hatte im „Jargon der Eigentlichkeit“ die Gewalt
als Kern der Heideggerschen Philosophie ausgemacht, die in das Zentrum
die „Theodizee des Todes“ rückt. Wenn Faye Heidegger die
Vereinnahmung Hölderlins vorwirft, bleibt unklar, wie der nun für die
faschistische Todessehnsucht sensibilisierte Leser über die folgende,
missbrauchstaugliche Passage einfach so hinweg lesen soll, dass sie
ihren provokativen Charakter verliert und wir erleichtert aufatmen, weil
der Dichter es gar nicht so gemeint hat, wie es denn klingt: „Und
Siegesboten kommen herab: Die Schlacht/ Ist unser! Lebe droben, o
Vaterland,/ Und zähle nicht die Toten! Dir ist,/Liebes! nicht Einer zu
viel gefallen.“ Der Interpret Dieter
Wellershoff (Was war, was ist. Erinnerungen an den 2. Weltkrieg) liest
das so: „Und ich war schockiert über die Bereitschaft der
deutschen Dichter-Ikone, für das Phantasma eines siegreichen nationalen
Krieges jede beliebige Anzahl von Toten billigend in Kauf zu nehmen …
Ich glaube nicht, dass Hölderlin wusste, was er da geschrieben hat.“
Die
Liaison mit dem Nationalsozialismus riecht nach echter Gefahr und bestätigte
sich schließlich auch in den existenziellsten Bedrohungen, die auf
dieser Welt erfunden wurden. In Heideggers Fragen nach Welt,
Vereinzelung, Endlichkeit wird das besonders explizit: „Wir müssen
erst wieder rufen nach dem, der unserem Dasein einen Schrecken
einzujagen vermag.“ Solche Sätze einer Ontologie des Schreckens, die
das „uneigentliche“ Dasein aufrüttelt, belegen, welche
Anziehungskraft ein geübter Schreckensdarsteller wie Hitler für
Heidegger besitzen musste. In einer der für Faye „unerträglichsten
Stellen“ redet Heidegger von Kampf und Krieg „mit dem Ziel der völligen
Vernichtung“. Dabei wollen wir nicht diesem Lektüreeindruck
widersprechen, doch wenn solche Texte nicht nur zornesrot gelesen
werden, wird auch die verräterische Stelle über das
„Grunderfordernis, den Feind zu finden, ins Licht zu stellen oder gar
erst zu schaffen“, wahrgenommen. Freilich heißt das nicht, dass
Heidegger nicht den vorgeblich realen „Feind“ kennt, den
„asiatischen“ Feind, der die Juden mit einer für damalige
Zeitgenossen unverhohlenen Chiffre meint. Die von Heidegger zugleich
formulierte fiktionale Erschaffung des Feindes ist aber nicht nur
boshaft, sondern demonstriert ein grassierendes Leitmotiv, das sich auch
bei Carl Schmitt, dem Urheber des politisch so durch und durch
praktischen Freund-Feind-Antagonismus findet: eine unübersichtliche
Welt wird wieder überschaubar, wenn „man“ an einen eigenen Feind
glauben darf – wider jede Frontverwischung und Komplexität, die zur
Grunderfahrung (spät)moderner Gesellschaften wird.
Die
Alltäglichkeit ziviler, zudem professoraler Existenz wartet wenigstens
in den Köpfen auf ihre Transzendenz im Kampf, im Krieg, Sieg oder
Niederlage. Friedrich Nietzsche bemühte auch das „Asiatische“, um
den apollinisch-dionysischen Konflikt der Griechen besser zu verstehen.
Dieser martialische, antizivilisatorische Reflex ist ein bekanntes
Ressentiment gegen die Moderne und ihrer Differenzierungsanmutungen, das
nicht nur dem Faschismus, der Reaktion und so verdächtigen Bellizisten
wie Ernst Jünger zugeschrieben werden kann. Glucksmann hält es ohnehin
für die Façon der Meisterdenker lange vor Heidegger immer auf der „Höhe“
zu sein, eben auf dem Kommandostand der
Panzer oder politischen Befehlsgewalten, kurzum: vom „mundus
intelligibilis“ bis zur „Central Intelligence Agency“ behauptet
der Verstand seine imperialen Dimensionen.
Leiden
nicht seit je Philosophen unterschiedlichster Couleur an diesem
Selbstwiderspruch, sich hoch über alle Verhältnisse zu erheben,
geistige Führung zu reklamieren und dabei jenseits kleinster
Leserkreise und hoffnungslos zerstrittener Zirkel überhaupt nicht
wahrgenommen zu werden? Wer Ideengeschichte schreibt und die damaligen
historischen Kontexte in ihren Kraftfeldern, Schwingungen, Vermischungen
etc. zu erfassen versucht, vermag die zumindest latent kriegs- und
kampflüsterne Dimension dieser Gesellschaften allenthalben zu erkennen.
Solchen Mentalitäten ist stärker nachzuspüren, auch und gerade im
Blick auf die von Faye beschworenen Gefahren, die von einem neuen
Faschismus ausgehen könnten. Wer die moralisch zwielichtigen Übergänge
und unsauberen Schnittstellen nicht sehen will, mag sich mit
Holzschnitten auf politische Integritäten und politische Verwerfungen
berufen, jedoch die für eine Analyse des Faschismus hinreichend
bestimmten Differenzierungen verfehlen.
Emmanuel
Faye spricht von der „Gefährlichkeit“ des Heideggerschen Werkes und
das hätte der
„Angeklagte“ selbst auch als Paradigma seiner Denkbewegung eingeräumt.
Insofern könnte der französische Philosophieprofessor dem
(verzeihlichen) Irrtum des Insiders unterliegen, die eigene Disziplin,
denn mehr ist Philosophie im Ideenhandel der Gegenwart nicht mehr,
ernster zu nehmen als sie ist: „Philosophie ist das Allerernsteste,
aber so ernst auch wieder nicht" (Theodor W. Adorno). Das
Bramarbasieren über Gefahr und Gefährlichkeit macht aus Ontologie noch
keine Politik, wie es Faye durch das unveröffentlichte Seminar WS 1934
belegt sieht, weil diese Politik auf ihre ontologische Zurüstung sehr
gut verzichten kann. Denn wenn es sich um eine Politik der Rücksichtslosigkeit
handelt, ist es wohl kaum die Philosophie, die auf Rücksichten des
Faschismus rechnen kann. Eher ist es so, dass Heidegger nach einer
messianischen Politik schielte, die der Universitätsphilosophie gegenüber
einen uneinholbaren Vorteil zu besitzen scheint: Wie kann bloßes Denken
in Handeln umschlagen? Ja mehr: Wie kann Denken Handeln sein? Die
Philosophie wollte zum beachteten „socius“ von Weltgeist und
Weltseele avancieren, um wenigstens für eine logische Sekunde dem
institutionellen Schicksal der leeren Worte zu entrinnen. Dieser Primat
des Handelns, dem sich der Geist anzuschließen habe, war unzweifelhaft
ein zentrales Moment des Nationalsozialismus, wenn Chefideologe Alfred
Rosenberg auf Goethes Wort ”Was fruchtbar ist, allein ist wahr”
rekurriert, um hieraus das völkische „Wesen alles Organischen“ zu
spinnen. Nun könnten boshaft veranlagte Exegeten darin die faschistoide
Eignung des Goethe-Spruchs erkennen oder zumindest ein aktionistisches
Ressentiment gegen die angeblich blutleere Theorie der
„Kathederphilosophie“ daraus entwickeln, wenn man nicht -
beunruhigend genug - wüsste, dass dieser markig vitalistische
Sinnspruch auch im Pragmatismus mit einiger Prominenz erscheint.
Philosophieren heißt also auch jenseits der „Eigentlichkeit“ nicht
alles zum Brei der Denkungsarten zusammenzurühren, um damit das Denken
selbst als Handwerk der Beliebigkeit zu desavouieren, für das es
Nichtphilosophen zumeist ohnehin halten.
Also
sprach Heidegger…
Die
mythomanischen Überbietungen des real existierenden
Nationalsozialismus, wie sie sich etwa in Heinrich Himmlers
okkultistischen Fantasien und anderer „Thule“-Gesellschafter finden,
waren keine integralen Voraussetzungen der offiziellen Politik. Der
Nationalsozialismus war in seiner politischen Programmatik effizienter
als diverse rassistische Bewegungen und Lehren, weil er ein viel
direkteres Verhältnis zur Macht und ihrer medialen Verbreitung
unterhielt als Obskurantisten, die sich auf ihr jeweiliges Sekten-Dasein
beschieden. Dieses Pathos der menschenverachtenden Weltdurchdringung ist
keine Erfindung Heideggers, sondern war in Nietzsches narzisstischen
Trockenübungen zum Übermenschen-Dasein gut greifbar, wenn er
vereinsamt und halb blind durch die Bergwelten von Sils Maria stapfte
und dabei martialische, aber keinesfalls antisemitische Szenarien
projizierte. Von Hyperboreern bis hin zu blonden Bestien ging es
jederzeit um Gegenentwürfe zur eigenen Existenz, die sich allerdings
nie in völkischen Gemeinschaften, die sich später mit der
Zwangseingemeindung Nietzsches zu nobilitieren versuchten, erfüllt hätten.
Nietzsches Spießgesellen sind eine Diskursgesellschaft der Denkfiguren.
Es
ist eine illegitime Geschichtsschreibung, vor der oft gewarnt wurde und
die auf Faye zurückfällt, Ideen politisch teleologisch zu unterfüttern,
um sie in der jeweiligen Katastrophe kulminieren zu lassen und ihre
Vertreter dann „für immer ehrlos“ zu erklären. Jean-Jacques Rousseau fand in Maximilien Marie Isidore de Robespierre
einen sehr aufmerksamen und politisch äußerst effizient agierenden
Leser, was den Glauben begründen hilft, hier einen der unmittelbarsten
und fatalsten Fälle des Einflusses der Philosophie auf die Politik und
das ihr folgende Fallbeil zu erleben. Karl Marx und Friedrich
Engels kann man ohne größeren Interpretationsaufwand eine politische
Wirkungsgeschichte zuschreiben, die nicht dadurch schon entschärft
wird, weil wir ihnen zugleich attestieren, von ihren Adepten wider den
Strich gebürstet worden zu sein. Denn die bereits nicht mehr taufrische
Frage, ob nicht diese Art des Denkens die Gulags und sozialistischen
Massaker aller Art begründet hat, verflüchtigt sich auch beim zweiten
Zusehen immer noch nicht. Der Terror des Menschen gegen den Menschen,
seine wölfische Bereitschaft über den Nächsten und schon immer über
den Fernsten herzufallen, ist andererseits ein erstaunlich begründungsfreies
Verhalten, das Thomas Hobbes zu einigen, längst nicht obsoleten
Behauptungen über die Menschennatur veranlasste. Ist
Martin Heidegger wirklich der schlimmste Fall eines Denkers, der die Köpfe
infizierte und den Begriff der „Philosophenherrschaft“ auf den
ultimativen Höhepunkt des Schreckens trieb?
Die
Macht gibt seit je gefährliche Parolen aus, die nicht nur in der Gefahr
suchenden Begriffswelt der Heideggerschen Philosophie Sinn machen, weil
sie tief liegende, eroto-thanatoide Wunschebenen des Menschen
mobilisieren und für Kriegszwecke instrumentalisieren. Sie werden im
publikumswirksamen Sprachlabor Heideggers entfaltet, verändert und
„tiefer gelegt“ an die Macht zurückgegeben, so wenig Fayes
Untersuchung nun entscheidenden Aufschluss gibt, ob Heideggers
Nazifizierung für das Machtgeschäft je mehr war als die
philo-faschistische Begleitmusik eines von Theoriefeinheiten im Übrigen
unbeeindruckten Regimes. Heidegger ist nämlich nicht zum
Staatsphilosophen avanciert, wenn das denn je eine vakante Stelle
gewesen sein sollte für eine Herrschaft, die auf sinnliche und nicht
argumentative Überwältigung zielte. Rüdiger Safranski hat in seiner
biografisch sehr überzeugenden Studie „Ein Meister aus Deutschland“
nicht nur Heideggers Entfernung aus dem relativen Machtzentrum des
Rektorats dargelegt, sondern auch die Grenzen der Akzeptanz durch das
NS-Regime. Reicht das nun, wie es Faye in seinem Fazit tut, zu
konstatieren: „Denn das Denken hat die Verbrechen vorbereitet.“
Heidegger war nicht der Steigbügelhalter „seines“ Führers, dessen
„philosophische“ Vorbereitung in Wien auf das spätere
Diktatoren-Dasein längst abgeschlossen war und auf Verfeinerungen nicht
angewiesen war. Theorie für Weltherrscher war in jenen Tagen so
wohlfeil wie das Leben im Übrigen erbärmlich. In „Arische
Weltanschauung“ fantasierte Houston Stewart Chamberlain, rund zwanzig
Jahre vor „Sein und Zeit“, fundamentalistisch über eine
faschistische Zukunft: „Wie
sollen wir in diesem durchaus berechtigten, ja heiligen Kampf — dem
Kampf um das eigene Dasein — bestehen? Erstens, indem wir die
Notwendigkeit des Kampfes einsehen lernen, zweitens, indem wir uns auf
unsere Eigenart besinnen und sie dadurch vollkommen
bewusst erfassen. Ein ganzes Jahrhundert haben wir der Marotte einer
unbeschränkten Toleranz geopfert…“ Hitlers Lektüre als
Machtvorbereitung sollen unter anderem auch Texte des „Ariosophen“ Jörg Lanz von Liebenfels gewesen sein, der nicht nur das
Kampfparadigma predigte, sondern so delirierend wie zukunftsgläubig vom
überirdischen Ursprung der „arioheroischen“ Rasse zu reden wusste.
1916 präsentiert er eine – offensichtlich vor Heideggers mitunter
starkdeutschem Seinsgebräu längst geläufige – Idee: Die neueste
Philosophie stünde unter dem Einfluss der im 19. Jahrhundert aufblühenden
Spezialwissenschaften. Nun gälte es, das alles zu vereinigen und auf
die „ariosophische Basis“ zurückzuführen, was nichts anderes
bezeichnete als das Plädoyer für rassistisches Einheitsdenken mit
massiven Ressentiments gegen alles „Nichtarische“.
Der
Terror des Meisterdenkers
„Der
und der Andere haben sich gegenseitig erfunden.“ (Günter Grass,
Hundejahre, zu Heidegger und Hitler) Solche Kausalitätsanmutungen
zwischen Philosophie und Politik bleiben der Dichtung vorbehalten, was
einigen unverzagten Aufklärern die Übersichtlichkeit der Verhältnisse
verhageln mag. Wer Wirkungsgeschichten mit der Option induktiver
Plausibilität, also Zukunftstauglichkeit, nachgehen will, gerät
schnell in den Begründungsregress, was die höchst kontroverse Aufnahme
von Fayes Untersuchung auch durch unverdächtige Leser dokumentiert.
Dass die deutschen Meisterdenker zuständig für Totalitarismen bis hin
zu den Konzentrationslagern sind, ist spätestens seit André Glucksmann
ein Gemeinplatz. Glucksmann argumentiert in „Les Maîtres Penseurs“
aber gerade nicht „ad hominem“, weil er die ideengeschichtlichen
Zusammenhänge und nicht lediglich ihre Repräsentationen erfassen bzw.
textualisieren will: „Das ‚Deutschland‘, Geburtstätte der
faschistischen Bewegungen, ist kein Territorium, keine Bevölkerung,
sondern ein Text und ein Verhältnis zu Texten, die lange vor Hitler
aufgestellt und weit über die alten Grenzen des Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation verbreitet wurden. Dieses Deutschland ist ganz
zeitgemäß, es hat seinen Sitz in den modernen Köpfen des modernen
Planeten, im Pentagon zu Washington ebenso wie in dem letzten Loch eines
Konzentrationslagers in den Dörfern Kambodschas.“ Diese mentalitätsgeschichtliche,
von chronologischen Vordergründigkeiten unabhängige Verkettung birgt
indes eine eigene Dialektik. Denn wenn doch „irgendwie“ alles mit
allem zusammenhängt bzw. deutsches Wesen so transgressive Züge
besitzt, wie sie Wilhelm II. nicht kühner ersonnen hätte, gerade dann
wird Schuld als Kategorie so fragil wie flüchtig. Das mögen einige Täter
als „Persilschein“ nutzen, doch vielleicht ist das der Preis,
Strukturen und Wirkungszusammenhänge zu fokussieren, um den
schrecklichen Vereinfachungen, wie sie etwa das dissoziierende
Ordnungsdenken a la Carl Schmitt präsentiert, zu entraten.
Politik
ist flexibel in ihren ideologischen Zurüstungen, das kann man bequem an
den neokonservativen Anverwandlungen der jüngsten Politik ablesen, die
zur Doktrin des amerikanischen Internationalismus zwischen Kabul und
Bagdad aufschloss. Was nicht passt, wird passend gemacht, und wehe, wenn
die Wirklichkeit sich dann noch widerständig geriert. Kriege sind
schlechter Theorie darin verwandt, ein Prokrustesbett der Wirklichkeit
zu sein. Philosophie ist nicht nur hier als Politikberater von
zweifelhafter Wirksamkeit, ungeachtet der Frage, ob das nun dem falschen
Verständnis der Herrscher oder der Philosophen geschuldet sein mag.
Hitler war, wie die luzide Untersuchung von Brigitte
Hamann „Hitlers Wien: Lehrjahre
eines Diktators“ zeigt, in seiner ideologischen Konfiguration
biegsamer als diverse Zeitgenossen, was eben die Transformation der
„Weltanschauung“ in faschistische Realpolitik einfacher macht.
Gerade bei Heidegger sind dessen eigenwillige, narzisstisch inszenierte
Semantik und Methode zugleich der Ballast für die Transformation in
Politik, die zwar Apologeten braucht, aber kaum je Hardcore-Philosophie.
Dass nun der Ideologie nach jeder „Trommler“ seinen je spezifischen
Platz im „völkischen Ganzen“ einnimmt, ändert nichts daran, dass
der Nationalsozialismus nicht auf die ideologische Rückversicherung
durch Philosophie angewiesen war. Diskussionen wie die vorliegende
leiden an ihren von allen Seiten unterstellten Wirkungsgeschichten, was
denn vollends fatal gerät, wenn die düsteren Prophezeiungen für die
Zukunft gleich mitgeliefert werden. Dass Kausalitäten und
Schuldzuweisungen nicht ausreichend Wirklichkeit beschreiben, wenn nicht
sogar Theorie eine tückische Form der Wirklichkeitsverfehlung sein könnte,
das alles hat sich in der Philosophie nicht ausreichend herum
gesprochen. Dass nun das wuchernde Gesamtwerk Heideggers als Tumor der
Zukunft den Terror in den Köpfen erneut entfachen will, ist so
plausibel wie die weiland von einigen Kunsthistorikern vertretene
Auffassung, die kitschige Fascho-Malerei im Haus der Kunst müsse auf
bis auf Weiteres verhüllt bleiben, weil sich der pigmentstarke
Faschismus gleichsam medusenhaft auf das Auge des unbedarften
Betrachters lege und ihn irreversibel in Bann schlage. Solche Kritiker
übersehen, dass man heute etwa auf „Youtube“ und anderenorts
Hitlerparodien erlebt, die eben jenes massenpsychologisch taugliche
Pathos nur ungefiltert präsentieren müssen, weil es in völlig veränderten
Rezeptionszusammenhängen bereits so grotesk wirkt wie eben der
chaplineske „Große Diktator“.
Insofern
entfaltet sich Heideggers Philosophie auch jenseits seiner politischen
Vergangenheit, ohne die von Faye teilweise zum ersten Mal aufgezeigten
Konsonanzen zwischen seinen Themen und den nationalsozialistischen
Parolen ignorieren zu müssen. Diese unabgeschlossene Geschichte des
Ein- und Ausschlusses nationalsozialistischer Ideologeme im
Heideggerschen Denken ist selbst ein deutsches Symptom.
„Heidegger-Apologetik ist philosophischer Volkssport, nicht nur in
Deutschland.“ (Frank Madro) Nun ist Heidegger-Bashing aber mindestens
ebenso beliebt, weil es eine scheinbar so leicht zugängliche
Hintertreppe zu dieser Philosophie und ihrer allfälligen Demontage eröffnet.
Heidegger selbst hat sich seine Generalabsolution gleichfalls gut zu
Recht gelegt, etwa mit diesem Zitat von Paul
Valery: ''Wer das Denken nicht angreifen kann, greift den Denkenden
an.'' Das Rektorat hat Heidegger gegenüber Heinrich W. Petzet als
"die größte Dummheit meines Lebens" bezeichnet, was dann
aber eher für die persönliche Frustration als für ein schlechtes
Gewissen spricht.
Heideggers
„Nubbelisierung“ als exegetische Schwäche
Überheblichkeit
liegt in dem Glauben, dass die philosophische Theorie der politischen
Praxis vorgelagert sei, was das Ursprungs- und Wesensdenken, die Rede
von der ersten Philosophie und anderen „ex-ovo-Fantasmen fördert.
Solche unabschließbaren Diskurse über den Faschismus-Gehalt
Heideggerschen Denkens zeigen, dass ein Apriori diverser
Diskursteilnehmer nicht funktioniert. Der Faschismus ist kein lediglich
historisches Phänomen, auch nicht eine ideologisch geschlossene,
sezierbare Wirklichkeit, die leichte Abgrenzungsoptionen für
Gutmenschen und Antifa bietet. „Der deutsche Leser hat nun die Möglichkeit,
eine Debatte kritisch zu beurteilen, deren Ende nicht absehbar ist“,
freut sich der Matthes & Seitz Verlag – dem wir es gönnen, weil
sein Angebot doch im deutschsprachigen Raum von herausragender Qualität
ist. Doch die Frage bleibt jetzt erst recht offen, warum diese Debatte
sich nicht legen will. Wie immer bei solchen Endlos-Streitereien erfährt
man mindestens so viel über die Streitenden wie über das Thema selbst.
Es ist der projektive Gestus, der stört, die Fertigung eines höchstpersönlichen
Heideggers, der dann wie der rheinische „Nubbel“ so gnaden- wie
letztlich auch folgenlos büßen muss, um in der nächsten Saison wieder
zur Verfügung zu stehen. „Faye
verfährt durchgängig nach einem Schema, das der
Heidegger-Spezialist Theodore Kisiel einmal als „guilt
by association“ bezeichnet hat“ erläuterte Thomas Meyer
2005 zum Zeitpunkt des Erscheinens des französischen Originals in der
„Zeit“. Glucksmann kommt der Verdienst zu, die Noxen des Denkens in
ihrer fatalen Wirkung auf die Politik komplexer und daher radikaler
formuliert zu haben, als wir es nun in Heideggers Abstrafung durch Faye
erleben. Ohnehin wurden diese Vorschläge der Entsorgung Martin
Heideggers aus dem Hain der Philosophie nicht zu Ende gedacht, wenn etwa
Studenten auf den Spuren Derridas, Foucaults oder Sartres auf die
unvollständige „damnatio memoriae“ Heideggers stoßen würden, ohne
ihn noch philosophisch lesen zu dürfen. Die Freiheit von Lehre und
Forschung kann damit nicht gemeint sein.
„In
dubio contra reo“
Nun
muss man auf Fayes engagierte Darstellung des Themas hin nicht selbst in
einen kassandrischen Erregungs- oder Inquisitionsmodus verfallen, weil
diese Recherche ein lesenswerter Beitrag ist, der in vielen historischen
Feinheiten überzeugt, ohne dass die Konklusionen dadurch konsensfähig
wären oder gar zu werden versprechen. Faye versagt allein in der
relativen Obsessivität seiner Anklageschrift, weil er in diversen Begründungssträngen
dem Prinzip „in dubio contra reo“ folgt. Ein Beispiel: Georg
Jellinek (1851
- 1911) entwickelte die heute noch an deutschen Universitäten
gelehrte, rechtspositivistische „Drei Elementen Lehre“, derzufolge
die drei konstituierenden Elemente „das Staatsgebiet, das Staatsvolk
und die Staatsgewalt“ zusammenkommen müssen, um den Begriff des
Staates zu begründen: „Der Staat ist die mit ursprünglicher
Herrschermacht ausgestattete Verbandseinheit sesshafter Menschen."
„Ein Personenverband ohne räumliche Verwurzelung, etwa ein
Nomadenstamm, oder, zeitgemäßer, ein weltweit tätiges
Wirtschaftsunternehmen können ohne Rücksicht auf die Zahl der ihnen
angehörenden Menschen, ohne Rücksicht auf ihre Zwecke und auf ihre
Macht wegen des fehlenden Raumbezuges kein Staat sein“, interpretiert
das – völlig unverdächtig und wohl consensus omnium - der
Verfassungsrechtler Heintzen im Jahre 2005. Martin Heidegger spricht in
einer von Faye massiv inkriminierten Stelle das Buch von Hans Grimm
„Volk ohne Raum“ an: „Wenn wir darunter Lebensraum verstehen, so
ist damit zweifellos zuviel gesagt. Man könnte vielleicht sagen: Volk
ohne genügenden, ohne ausreichenden Lebensraum zu seiner positiven
Entfaltung. Wir müssen immer wissen, dass zum Volk in seinem
Konkretsein notwendig der Raum hinzugehört, dass es ein „Volk ohne
Raum“ im wörtlichsten Sinne gar nicht gibt.“ Hier nun schäumt Faye,
Heidegger habe Grimm noch übertroffen. Wer so wie Faye lesen will, kann
also diesem Text das „Unternehmen Barbarossa“ scheinbar mühelos
entwinden, obwohl Heidegger eine tastende Sprache mit den Termini
„vielleicht, könnte“ wählt. Insbesondere aber die von Faye
zitierte Schlussfolgerung – jedenfalls in ihrer konkret vorliegenden
Textform – wird entdiabolisiert, wenn sie auf die vorangestellte
Jellineksche Basisdefinition des Staates zurückgeführt wird. Allein
wenn Interpreten ihrer konnotativen Willfährigkeit freien Lauf lassen,
ist das spätere Eroberungsprogramm Hitlers in nuce bereits darin
enthalten. Der historische Erklärungswert reicht dann bis zur Erbsünde,
was viel Kraft und noch mehr Ignoranz voraussetzt, um diese Schuld zu
ertragen.
Terrortexte
für das Oberseminar
Wäre
Heideggers Philosophie durch und durch faschistisch bzw.
nationalsozialistisch, und das erklärt uns Faye in durchweg redundanter
Weise, wäre die Anziehungskraft dieser Philosophie schlecht erklärt.
Wir müssten zudem glauben, dass alle jene, die sich auf Heidegger
berufen, wenigstens latent selbst vom nationalsozialistischen Virus
erfasst sind. Wir wären auch gefordert, die faschistischen Momente der
platonischen und aristotelischen Philosophie zu untersuchen und überhaupt
die aller Meisterdenker, denn diese Verbindungslinien wären kein
Einbildungsüberschuss unreifer Adepten, wenn man Fayes
Kontaminationsmethode erst einmal akzeptiert. „Die Meisterdenker
strecken vor dem Rassismus die Waffen.“ Gäben wir Glucksmann darin
Recht, wäre Philosophie in weiten Teilen politisch kopfloses Denken.
In
der vorliegenden Untersuchung wird ausgeblendet, dass Heidegger auch
nach klassischen Kriterien ein herausragender Exeget philosophischer
Texte gewesen ist, dessen Gesamtwerk nicht nur aus ideologietauglichen
Stellen besteht, die man dann mutwillig zum Nazi-Subtext
zusammenklittert. Auch ohne „furĭa francese“ wäre genug übrig
geblieben, Heidegger als schrecklichen Philosophen (zum wiederholten
Male) zu outen. Perhorreszierung ist dagegen kein Analyseersatz. Es ist
ein Ammenmärchen zu glauben, dass der faschistische Gehalt Heideggers
nun als Sprengsatz der Gesamtausgabe darauf wartet, in spätmodernen
Gesellschaften zu detonieren. Diese Kritik gegen die Herausgeber, die
auch die inkriminierten Texte edieren, ist bereits deshalb nicht
akzeptabel, weil anderenfalls die Ausgabe dem Vorwurf ausgesetzt gewesen
wäre, „ad usum delphini“ zu erscheinen. Denn gleichzeitig
kritisiert Faye, dass die Manuskripte noch immer nur von einigen
Apologeten kontrolliert würden. Wenn er als Antidot empfiehlt, die
Gesamtausgabe aus den Regalen der philosophischen Bibliotheken in die
der Geschichte des Nationalsozialismus zu verräumen, müsste ihm spätestens
hier einleuchten, wie töricht diese grollende Giftschrankpolitik ist.
Letztlich beweist die Heidegger-Rezeption, dass sich jeder seinen
eigenen kleinen oder großen Heidegger konfiguriert, ohne dass die
faschistischen Lesarten zugänglichen Passagen nun wie ein Gift mit
ewiger Haltbarkeit die Milch der frommen Denkungsart verderben.
Philosophieren lernen, und das hat Heidegger sintemal betont, wenn auch
vielleicht nicht jederzeit als Lehrstuhlinhaber praktiziert, heißt,
sich von der Hypostasierung von Gedanken freizumachen.
Zukunft
des Faschismus
Wahrscheinlich
braucht es Philosophen, um an die Gefährlichkeit der Philosophie zu
glauben. Der Faschismus war ideologisch zuallerletzt wählerisch und benötigte
nie anspruchsvolle Apologeten, die ihm theoretisch gehaltvoll zurüsteten,
was er nicht aus eigener Willkür vermocht hätte. Diese Plastizität
der Macht, die Ignoranz gegenüber der Theorie, die Wurstigkeit gegenüber
dem Anspruch auf Wahrheit sind der wahre Stein des Anstoßes, der
Philosophen, die gelernt haben, Auffassungen abzuwägen, zu begründen
und endlos hin und her zu wenden, provozieren
muss. Eine Zumutung für Philosophen sind Sprachspiele, die im Blick auf
ihre öffentliche Wirksamkeit gewählt werden und daher den klassischen
Wahrheitsanspruch nur als Zerrform ihres öffentlichen Auftretens
kennen. Heidegger und seine Kategorisierung diesseits oder jenseits des
Nationalsozialismus ist das kleinere Problem gegenüber dem unbotmäßigen
Macht-Apriori. Der von Heidegger in sein Denken aufgenommene Führer
sah, völlig im Einklang mit der Erkenntnissen der Massenpsychologie,
das Objekt seiner rhetorischen Bemühungen „weniger durch Gründe
abstrakter Vernunft bestimmt … als durch solche einer undefinierbaren,
gefühlsmäßigen Sehnsucht nach ergänzender Kraft." Auch
Heidegger glaubte, sich von Zwängen der logischen Argumentation
befreien zu können, weil es vermeintlich höhere Regeln gäbe, die sich
nicht jedem erschließen und auf Ursprünge zurückgehen, die verschüttet
und von ihm freizulegen sind. Ob das nun die wahre Über-Methode des
Denkens oder gefährlicher Mythenkleister ist, sollte die philosophische
Auseinandersetzung mit seinen Texten erweisen, die offensichtlich auch für
unverdächtige Philosophen produktiver werden, als es sich Emmanuel Faye
vorstellen will. Wie erläuterte Friedrich Nietzsche den richtigen
Umgang mit den zahllosen Zumutungen für Denker, die sich nicht
jederzeit auf das Königsberger Reinheitsgebot verlassen können: „Und
wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Gläsern
zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn,
sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.“
Goedart
Palm
Emmanuel
Faye
Heidegger.
Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie
Traversen
5
Aus
dem Französischen von Tim Trzaskalik
Mit
einem Nachwort zur deutschen Ausgabe von Emmanuel Faye
560
Seiten, geb. mit Schutzumschlag
ISBN
978-3-88221-025-5
€
39,90 / CHF 67,00
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