Glanz @
Elend: ... Entropie, Thermodynamik und Chaostheorie sind mehr
oder weniger ausdrückliche Dauerthemen ihrer narrativen
Weltdesorganisation. Schreiben Sie gegen das Chaos an oder liefern Sie
dessen Vexierbilder?
Pynchon:
Kausalität ist der Trick des Lebens, offene Wahrscheinlichkeiten zu
leugnen. In der Apotheose der Entropie feiern wir die Absetzorgien einer
beschädigten Vernunft. Wir können nicht die Rationalitätsformen
beliebig wechseln, aber wir können die angeschlagene Athene becircen, bis
ihre Metastasen aufbrechen, und der Textausschlag ihr stählernes Korsett
überwuchert. Diesen kleinen Äskulapsus der Chaos- Medizin wird sie den
Dichtern schon verzeihen. Die Dichter flicken ja ohnehin schon solange
vergeblich die Schnittstellen zwischen Welt und Werk, so daß ein
Kunstfehler mehr oder weniger nicht weiter auffällt.
G@E:
In ihrer zusammengeflickten Parallelwelt zitieren Sie auch en passant die
Schizo-Theoretiker Deleuze & Guattari. Ist die Paranoia, die
SchizoPower der postmodernen conditio humana schlechthin?
Pynchon:
Die Geburtsstunde der Paranoia schlägt, wenn die Mythen, die zum Logos
treiben, aufgesaugt werden und der Logos zu halluzinieren beginnt.
Paranoia wird zum Überlebenstraining in einer Welt, in der die Gewißheitsverluste
in der Weltbeschreibung auf die Individuen abgelastet werden. In dem
unendlichdimensionalen Raum der Quantenmechanik behauptet die Paranoia die
deterministische Position gegenüber den stochastischen Prozessen, die sie
nach dem Prinzip der Komplementarität aber zugleich auch reflektiert. So
weit - so schematisch...
G@E:
Sie sind eine narrative Maschine. In ihren Texten produzieren Sie
unentwegt Geschichten, Geschichtssplitter, Fäden, die aufgenommen und
abgebrochen werden. Sie fressen Informationen wie ein digitaler
Superscanner. Wo bleibt Ihr Widerstand gegen die Furzkühe des
Informationsterrors?
Pynchon:
Unsere babylonische Wortarchitektur hat die Spitze der Wortlosigkeit bald
erreicht. Auch wenn von den Minaretten der Satelliten perkutane Gesänge
durch den Äther heulen, hat der Muezzin die Schnauze voll – Feierabend.
Weniger die fröhliche Sphärenharmonie all das reizüberflutende Geheul
inkompatibler Geschichten beherrscht unseren alltäglichen
Gedankenkompost. Wir flößen uns Wörter wie Placebos ein, Tranquilizer für
die orale Impotenz. Fellatio corruptus. Zuletzt werden wir uns den
goldenen Schuß aus den Pilzgiften schimmelnder Äolsharfen spritzen.
G@E:
Warum schreiben Sie dann überhaupt noch?
Pynchon:
Den infiniten Differenzen, den Superfraktalen eines vollgesogenen
Mengerschwamms (Anmerkung d. Übersetzers: Der Mengerschwamm ist ein höherdimensionales
Analogon des sog. Sierpinski-Teppichs) in den wenig erschlossenen
Herzkammern der Vernunft spüren meine Texte nach. Wenn die Komplexität
der literarisch verunstalteten Welt hinter der realen zurückstände, und
das ist ihr Regelschicksal, bliebe der Text besser ungeschrieben.
Literatur, die nicht das Überbietungsrisiko eingeht, hinkt wie Quasimodo
hinter dem obskuren Objekt der Begierde hinterher.
G@E:
Ihre Kinoleidenschaft ist bekannt. Ihr letzter Roman Vineland präsentiert
ein cineastisches Totalprogramm, das von dem Death to the Pig Nihilist
Film Kollective aus Berkeley betrieben sein könnte. Sind Ihre Arbeiten
nicht Drehbücher für synästhetische Orgien im Post-Disco-Sound, die
besser verfilmt würden?
Pynchon:
Die Bedeutung einer Dichtung liegt in ihrem Gebrauch in der Sprache. Der
Film hat sich noch nicht als Medium emanzipiert, das die erforderliche
Kontrolle über das Material sicherstellt. Nur wer die Montageherrschaft
des Autors über den Text wirklich erfahren hat, erkennt die technischen
Widerstände des Films. Noch stehen die synästhetischen Potentiale des
Films hinter der metonymischen Kraft der Sprache zurück. Noch ist der
Text der bessere Film. Die Verträge mit meinen Schauspielern werden
allesamt eingehalten. Wer sich schlecht aufführt, fliegt ‘raus.
G@E:
Ihre Arbeiten präsentieren unzählige solcher Figuren, die sich oft nur
kurz auf den Schleudersitzen der Erzählung ausruhen können. Ihre
psychologischen Charakteristika, ihre Handlungsformen, ihre
Handlungsbedeutung transformieren sich in nuce in ihren Namen: Profane,
Stencil, Squasimodo, Fergus Mixolydian, Graf Drogula. Sind Sie
praktizierender Nominalist?
Pynchon:
Namen sind Bedeutungsgaleeren. Im Irrgarten des Textes markieren sie
Subjekte auf die radikalste Weise. Jeder Name trägt die Last eines ganzen
Lebens. Transit ab ovo usque ad mala. Erst die Namen sichern der Welt die
Existenz. Der Glaubensverlust in der universalistischen Weltdeutung ist
zugleich die Geburtsstunde der Namen. So wie die Zahl der Namen Gottes
unendlich sein mag, scheint es die der Menschen auch zu sein. Darin erträumt
der Mensch seinen göttlichen Auftrag. (Lacht) Litt Joyce nicht auch an
der Rotzkrankheit des Nominalismus? Wie im Talmud der Tod eines Menschen
als der Tod einer ganzen Welt gilt, so erlösen uns die Namen von den
Dornenkränzen des Sinnterrors.
G@E:
Massakrierte und geschundene Kreaturen, Krüppel, Absinthtrinker,
Berufsentjungferer, Tyrosemiophile (Sammler französischer Käseschachteln),
Gußeisen-Feministinnen, Thanatoide (Noch-Nicht-Ganz-Tote),
Sadomasochisten und Perverse aller Art sind ihre kurzlebigen
Protagonisten. Ist in Ihrer Welt kein Platz für Menschen mit aufrechtem
Gang? Ist mens sana in copore sano ein Witz, den Pig Bodine in einer Bar
in Valetta zu Entzücken der abwesenden Vomitonettes erzählt?
Pynchon:
Wenn sich die Protagonisten nicht nur dieses Jahrhunderts in einer Bar der
Untoten einfinden würden, wen würden wir treffen? Hitler, Mussolini,
Stalin, Pol Pot, aber auf den unteren Etagen sieht es nicht anders aus.
Walter Mitty, oder soll ich Woody Allen sagen, sind allemal Perverse,
solange sie nicht ad usum delphini kredenzt werden. Meine Figuren sind
Abziehbilder, aber realer, als sie bisher wahr-genommen werden. Surreal
mag das nur jenen erscheinen, die zum Heil ihrer Selbstverfassung schon so
tief in dem offiziellen Diskurs verstrickt sind, daß sie ihre eigenen
Unheilspotentiale in einer geschlossenen Notzuchtanstalt verbergen müssen.
G@E:
Ihre Kombinatorik von Wörtern, Begriffen und Bildern schein gleichwohl
Lautreamont, der die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm
auf dem Vivisektionstisch imaginierte, zum Ahnherrn zu nehmen. Sind Sie
Postsurrealist?
Pynchon:
Der Koitus, nicht nur der literarischen Formen, sondern auch der Theorie
der Praxis, der Kunst mit dem Leben, ja des Lebens mit dem Tod, ist keine
aktuelle Tagesnachricht. Nur schreibt sich das Kamasutra der neuen
Liebestechiken rasend schnell fort, immer mehr Anschlußstellen öffnen
sich… Wer nur auf das Ideenbingo der Literatur setzt, kommt heute zu
kurz. Vom Nutzen und Nachteil der Dichtung für das Leben handelt heute
weit eher die Literatur der Bildschirme, der Videospiele, aber auch der
Telefonbücher, der Speisekarten, der Fahrpläne und anderer nouveau
romans des Alltags.
G@E:
Ist das der Grund, daß die ordinary-language bis hin zur ordinären
Sprache immer wieder in ihren Texten regiert? Welche Bedeutung hat die
Alltagssprache im Meer Ihrer Wörter?
Pynchon:
Wissen Sie, ordinary-language-people liefern das Entsetzen frei Haus –
rein netto. Hitler, selbsternannter Ordinarius des Schreckens, wollte die
Sechste Armee, die in Stalingrad bereits Verlorenen, entsetzen (Anmerkung
d. Übersetzers: Pynchon verwendet hier den deutschen Ausdruck). Verräterische
Ambiguität der Sprache, spöttisch den Gegensinn versichernd. Transitlüsterne
Untiefen öffnen sich hier. Wörter laufen über zu den Unwörtern.
Antipoden aller Sprachen vereinigt euch, würde ich sagen. Himmler war
Geflügelzüchter. Der real existierende Faschismus bezauberte mit der
schwarzen Unkunst der subliminalen Transsubstantiation. Menschenblut für
Hühnerblut. Konzentrationslager wie unsere Hühnmerfabriken. Jeder lebt
mit dem Phantasma des Anderen … oder stirbt. Eichenlaub pflastert auch
heute noch unseren Weg.
G@E:
Offensichtlich hegen Sie eine Afinität zu deutschen Leitmotiven.
Nazi-Deutschland, SS, Peenemünde, V 2, Rheinlandschaften, preußische
Offiziere, Karl Bopp … bis hin zu den Besonderheiten des sächsischen
Dialekts gründeln Ihre Texte in deutschen Blut und Boden. Welches
Faszinosum verbindet sich mit Deutschland?
Pynchon:
An deutschem Wesen wird die Welt verwesen. Wer könnte dem widerstehen?
Der deutsche Faschismus hatte eine totalistische Dimension, die nicht nur
die Weltherrschaft anstrebte, sondern sie auch mit paranoiden Technologien
ausstattete. Auf dem Grat, wo die realen Verhältnisse in den Traum
umkippen, werden Balanceakte nötig. Die Wunderwaffen sind so real wie
irreal, Konstrukte der Phantasie, die mit imaginärer Energie betrieben
wurden. Die verdinglichte Kraft, die die mechanoiden Skulpturen von Thorak
und Brecker predigten, inhalierte auch das Diszept der nekrophilen
Politik. Der Faschismus Made in Germany war die realste
Alptraumwertarbeit, die die Welt je gesehen hat.
G@E:
Nicht nur in diesem Bezug sind Ihre Welten teuflische Komödien, des
Welttheaters, Pandämonien der Vernichtung und Verdrehung. Gibt es kein
Prinzip Hoffnung, mindestens aber einen Hoffnungsschimmer in Ihrer
literarischen Wertarbeit?
Pynchon:
Allein die semantische Elektrizität spendet das Licht im Nachtrausch der
menschlichen Veranstaltungen. Die splendid isolation der literarisch
aufgehobenen Wörter mag dem als Hoffnung gelten, der, dantisch
gesprochen, alle Hoffnung fahren läßt. Ich schreibe mich in das
Kondolenzbuch der tödlichen Hochzeit von Vernunft und Sein ein. Von der
rationalistischen Sprachverseuchung und dem Textsortenfetischismus werde
ich bis auf die Blutkörperchen gereizt. Erst der Traum im
Nachtlied-Express oder die künstlichen Paradiese des Drogendiskurses
suspendieren eine kurze Zeit von der Verzweiflung über die Widerständigkeit
der Verhältnisse. Dabei hintertreibt der Wunsch sich selbst, um noch mächtiger
zu werden. Nur das ungestillte Begehren kann auf Erfüllung hoffen. Der
Wunsch schießt wie eine verrückt gewordene cruise missile über sein
Ziel hinaus. Turner delirierte im Sterben: »Mehr Licht.« Nun denn, wenn
das eye of heaven, die göttliche Reflektion, versagt, muß man es eben
mit der Lichtmaschine versuchen. Oder mit dem Schwarzgerät.
G@E:
... was immer das sein mag?
Pynchon:
Fragen Sie Leutnant Slothrop!
G@E:
Versuchen wir es anders! Ihre Arbeiten sind verschlungene Fabeln auf der
Suche nach der Decodierung von bedeutungsschwangeren Chiffren. Das Rätsel
verschafft Ihren Figuren die Gewißheit zu leben. Nach dem Ende der
humanen Erzählungen entziffern Sie wie der berühmte Detektive aus der
Baker-Street die enigmatischen Embleme auf den Elixieren des Teufels, um
wenigstens zu wissen, welcher Fusel auf der Beerdigung von Kanaan gereicht
wird. Ist die Weltkonstruktion als Fuge, Rebus oder Kreuzworträtsel nicht
eine verdeckte Durchhalteparole, um mit dem Nichts fertig zu werden?
Pynchon:
Literatur ist eine Art Russisches Roulette mit nur einer leeren Kammer.
Wer abdrückt, darf auf das Schlimmste hoffen. Wer sich aber in das Haupt
der Medusa vernarrt, genießt die steingewordenen Qualen eines
hypothetischen Antlitzes. Die Macht der Sprache vermachtet zuletzt sich
selbst. Das Spiel der Wörter bleibt aber eine produktive Konstante der
Vernichtungsspirale, die sich zum globalen Schrecken der politischen,
sozialen, ökologischen, emotionalen Katastrophen hochschraubt. In der
viktimogenen Totalen ist der Schriftsteller aber nur der Protokollant der
Schmerzen, nicht das Opfer der Verhältnisse.
G@E:
Sind Sie lediglich der Protokollant der Schmerzen oder zehren Sie auch von
den Restposten der engagierten Literatur, dem j’accuse´?
Pynchon:
Wer heute noch von Betroffenheit faselt, sollte sofort liquidiert werden.
Wir sind Aussätzige, aber erzählen gleichwohl Messiaden. Der Gekreuzigte
ist eine – wie die evangelistischen Geschäftsberichte zeigen –
lukrative Metapher, aber ein Autor, der sich narzißtisch im Spiegel des
Weltschmerzes reflektiert, leidet an Hybris. Eine semantische Mitrailleuse,
die das Trommelfeuer auf die Sprachwichser richtet, ist die letzte humanitäre
Notoperation vor dem Untergang. An der Sprachfront sollte scharf
geschossen werden. Der zum Abschuß freigegebene Knochensturm läuft gegen
die Beinhäuser der sprachlos gewordenen Vernunft. Da halte ich es lieber
mit den alttestamentarischen Vögeln Hitchcocks, die nicht säen, aber
trotzdem töten.
G@E:
Ihre ornithologischen Kenntnisse haben wir schon auf dem
Papageienschmuggler Der unsichtbare Vierte bewundert, der verkaterte Primärfarbenbündel
als erzählfreudige Einschlafhilfen für Kleinkinder nach Vineland
importiert. Sehnen Sie die Wahrheit durch Ihre Manie, Alles zu erzählen,
herbei?
Pynchon:
Textzerleger, die dem Leser Wahrheit wie Hautgout ausströmende
Schuhsohlen präsentieren, mögen ihre chaplineske Ausbeute für
Hermeneutik halten. Wahrheit in Konserven ist die Speisung von
Pop-Artisten für die Gläubigen der fast-food-Tempel. Wahrheit, die im
Straflager wahrheitsfähiger Sätze einem Spießrutenlauf entgegensieht,
interessiert mich nicht. Wir brauchen keine neue Literaturtheorie, sondern
Schreibmodelle. Der Pragmatismus hat den vergeblichen Theorieanspruch der
Nützlichkeit des jeweiligen Modells für den Eigentümer geopfert. Damit
wird die Frage nach dem Gebrauchswert von Texten aufgeworfen. Es lohnt
sich danach, die Speisekarten auch auf ihre Apokryphen hin gründlich zu
studieren.
G@E:
Ihre Speisekarten quellen über davon! Prosa, Poesie, Lieder,
wissenschaftlicher Diskurs, Metapher, Metonymie, Collage, Montage – Ihre
Textsortenpromiskuität und rhetorische Fertilität haben sich von einer
geschlossenen Gattungsidee verabschiedet. Ist die Romanform, wenn es denn
je eine gab, nicht nur Ihr Vorwand, Mikrotexte zu verketten, Textkorpuskel
zu addieren? Gefallen Sie sich als Tristero-Postbote, der codierte
Telegramme verteilt, oder vielleicht als versteckter Aphoristiker, der dem
Leser Aphrodisiaka aus Hühnerspeed und Spanischer Fliege als letztes
Vademecum einträufelt?
Pynchon:
Aphorismen drehen die Wahrheit solange durch den Sprachwolf, bis sie gequält
aufschreit. Erst die lexikalischen Litaneien und die Liturgien des
Rock’n’ Roll leiten den Wärmestrom in den Text. Jenseits der
Wostkaskaden verdichtet sich die Sprachlosigkeit zum Sprachparoxysmus?
Verbindliche Sätze? Wer oder was soll noch verbunden werden? Wörter als
Mullbinden für die malträtierten Helden – Pixel für Pixel
mumifiziert? Die Falten im Gesicht der Literatur sind unübersehbar
geworden. Aber die Psycho-Nauten im semantischen Dümpel sollten nicht
jeder Schlammflocke hinterherhecheln, als wäre sie Teil des adamitischen
Urschlamms.
G@E:
Ihre Texte gelten als komisch. Oft genug schrecken Sie auch vor Kalauern
nicht zurück, die vielleicht Joyce als erster in die moderne Literatur
eingeführt hat. Graffitis wie Nonsens-Figuren, etwa ein Kilroy als
Schaltungsbild,oder eine mathematica maleficia mit grotesken Gleichungen
tauchen in Ihren Romanen auf. Das Groteske leitet sich etymologisch von
Grotte, mithin unterirdischen Ruinen, ab. Ihre Topographien führen immer
wieder das untergründig Groteske und die archetypischen Verliese
zusammen. Die Erdschweinhöhle oder die Krokodile in der Kanalisation mögen
dafür paradigmatisch stehen. Ist ihre pornogroteske Komik ein höllischer
Abgesang vor der Rutschpartie in den Hades?
Pynchon:
Olympisches Lachen hat seinen Preis. So zu lachen, als sei das Lachen nie
erfunden worden, das ist der Spaß. Wenn die Weisen über das Klatschen
einer Hand meditieren oder zwanzig Jahre vor einer Felswand sitzen, um
schließlich zu wissen, daß sie nichts wissen, kann uns die Zeit nicht
lang werden. Von den zenbhuddistischen koans bis zu den
Weltwirtschaftsberichten schreibt sich die Jokologie (Anmerkung d. Übersetzers:
Wissenschaft der Witze) solange als untergründige Wissenschaft fort, bis
staatlich konzessionierte Witzbolde auf den Lehrstühlen unserer Universitäten
sitzen.
G@E:
Worüber lachen Sie, wenn Sie nicht gerade schreiben?
Pynchon:
Über die Glühwürmchensatoris des Litarturbetriebs!
G@E:
Sind Sie denn erleuchtend?
Pynchon:
Der Holzweg ist das Ziel, oder soll ich sagen, das Medium ist die
Frohbotschaft. Die magischen Kanalarbeiter verheißen uns die Erleuchtung,
die wir während der nassen Träume in den New-Age-Warenhäusern
vergeblich gesucht haben. Gebannt von den Cliffhangerclips der
neobhuddistischen TV-Maniacs jagen wir jeder ultravioletten Bildschnuppe
hinterher, die verheißt, uns zu einer ultramedialen Supernova zu leiten.
Mag somit der Kannibalismus der Bilder das Erleuchtungsmodell einer
Verfallsgesellschaft sein, im Augenblick unseres eigenen Falls verliert
sich der selbstverliebte Erleuchtungsglaube an die Weltseele.
G@E:Es
hat ganz den Anschein, als verstecke sich die Weltseele im Arschloch des
degenerierten Mathematikprofessors Weed Atmans. Konstituieren Gott und die
übrigen metaphysischen Restposten Ihr absentes Prinzip, das immer wieder
beschworen werden muß? Führen Sie einen scholastischen Gottesbeweis es
absurdo?
Pynchon:
Jede Gottsuche umzirkelt sich, unendlich, immer weiter
kreisend, bis zuletzt, wenn die jüngste Nacht angebrochen ist. Solange hält
sich Gott eine Mickey Mouse, die er duch eine enge Röhre in das Herz
unserer Sprache schickt. Mickey jagt mit Quantensprüngen Schrödingers
Katze hinterher, die immer schon da ist, wo sie nicht ist. Tom und Jerry
wird jetzt als Quantendrama aufgeführt. Immerhin – wer der Weisheit den
Mäusezahn der Zeit ziehen will, muß sich auf göttliche
Wurzelbehandlungen verstehen.
G@E:
Sind Sie ein Agent der medi-zynischen Gegenaufklärung?
Pynchon:
Diesseits der Aufklärung schnappen wir im Doppelnelson der Wortwürger
nach Luft, bis uns die Augen überquellen. Das halten wir dann für ein
Existenzzeichen. Auch wenn in der Anstrengung der Wörter das
Unterschlagene gegen seinen Begriff revoltiert, gibt es erst im Jenseits
der Aufklärung die Erlösung von ihrer Dialektik. Solange versöhnen uns
die wuchernden Plastikorchideen von Hollywood mit den frühen
Filmschnitten, die uns selbstverloren in der Kindheit zugefügt wurden,
uns zu ödipalen Insektioden einer brüchigen Vernunft gemacht haben.
G@E:
Wenn unsere neuscholastische Dogmatik auseinanderbricht, die Gläubigen
aller Länder auseinanderstreben, der Erdkreissegen unserer
Medienseelsorger zum Video-Clip verkommt, reduzieren sich Menschen danach
auf digitale Ziffern in Gottes Computer, wie wir es in Vineland lesen?
Pynchon:
Die Tanzschritte des Rock’n’ Roll und die Kerosinetüden des Bebop
haben das klerikale Mysterienspiel überholt und den Klassenkampf
marxophiler Präpotenz de-klassiert. Neue Geschwindigkeitsapostel haben
uns das Evangelium von relativer Zeit und relativem Raum gelehrt. Der
Mensch wird immer kleiner. Odysseus wird zum Incredible Shrinkung Man
Ulysses, der in seiner Tagesewigkeit nicht mehr als eine Stubenfliege in
ihrem Zeitraffer-Leben erlebt. Gott würfelt nach Einstein nicht,
vermutlich weil er noch an die schäbigen Würfelwürfe der römischen
Legionäre zurückdenken muß, die seine irdischen Habseligkeiten
aufgeteilt haben. Es sieht aber so aus, als wäre er jetzt ein
geschwindigkeitsvernarrter cyber-space-Fan, der neue digitale
Schweinereien ausheckt.
G@E:
Woran denken Sie?
Pynchon:
Nun ja, nach den Pestdramen des Mittelalters und der Franzosenkrankheit
wird AIDS kaum das letzte Wort in Sachen Sintflut für Liebestolle sein.
G@E:
Lepröser Pointillismus, katatonischer Expressionismus..., an Wortungetümen
hat es Ihnen nie gefehlt. Sie schreiben dazu in V: Je nachdem, wie man die
zur Verfügung stehenden Bausteine zusammenfügte, galt man als
intelligent oder doof. Sind Sie danach intelligent oder doof?
Pynchon:
Ein Autor, der eine Apologetik benötigt, ist ein Hanswurst. Im
Gegensatz zum Wahrheitsanspruch einer Frischhaltepackung entbehrt
Literatur der gesicherten Aussagen über Haltbarkeitsdaten. Selbstverständlich
ist es für mein Lebensfraktum relativ belanglos, ob meine Literatur jetzt
oder später oder nie gelesen wird. Wer das eigene Zentrum von fremden
Zentren kolonisieren läßt und sei es durch die Anerkennung, hat nicht
viel begriffen. Dichter, die bei Kräften sind, revitalisieren sich selbst
nach einem festgestellten Verfallsdatum. Die posthume Energie der
Literatur, nennen wir es Phoenix-Syndrom, liegt in einer Imagination, die
über den Bedeutungsgrad der Wörter hinaus in die Ewigkeit schielt. In
den Texten kriechen gleichwohl die Maden; jeder Dichter wird zuletzt in
seinem eigenen Remittendensarg begraben. Der Werbeslogan eines
Bestattungsunternehmens Warum spazieren Sie halbtot herum, wenn wir Sie
beerdigen können dürfte auch das Motto der neuen analphabetischen Leser
sein. Mit dem Ruhm beginnt der Untergang.
G@E:
Ist das der Grund, daß bis auf dieses Interview Ihre Person nicht
wirklich vorhanden ist?
Pynchon:
Nur im Exil läßt es sich wie Gott in Frankreich leben.
Schriftschausteller, die sich in das Schlangennest des Betriebs
eingenistet haben, aber nicht nur diese, verlieren die
Fluchtpunktperspektive, die allein gute Aufnahmen garantiert. Die
Deprivation, die der öffentliche Zirkus bereithält, ist wohl ein hoher
Preis für nichts. Unsere schöne neue Telekommunikation demokratisiert
das Geschwätz, aber liquidiert die Dichtung. Wenn sich diese Welt in mein
Leben einschneiden würde, wäre nicht nur meine raison d’etre, sondern
auch die meiner Spießgesellen und Weggefährten gefährdet. Im Grunde ist
die öffentliche Einsamkeit die Vorhölle, die literarische Höllen bei
weitem übertrifft.
G@E:
Mr. Pynchon, wir danken Ihnen für das Gespräch.