Zu Patricia Cornwells Vermutungen, dass
Walter Sickert der Ripper sei. Die Vorwürfe sind absurd und passen
nicht annähernd zum Täterprofil und dessen psychologischen respektive
psychopathologischen Voraussetzungen. Ob Frau Cornwells Romane auch so
wenig Rücksicht auf psychologische Wahrscheinlichkeiten legen, vermag
ich nicht zu sagen. Die Lust, einen ihrer Krimis zu lesen, ist nach
diesen wirklichkeitsunberührten Ausführungen zum Ripper, nicht
gestiegen.
Der beste Text zum Thema Ripper ist von
Robert House vorgelegt worden: Jack the
Ripper and the Case for Scotland Yard's Prime Suspect. Kein anderer
Ripperologe hat die psychologischen Dimensionen erreicht, denen House
nachspürt. Wer den Ripper kennen lernen will, sollte sich bei House
informieren. Die Karten stehen schlecht für Aaron Kosminski. Es gibt aber bei noch einige weitere Indizien, die bei House nicht auftauchen und die sich zudem der Ripper-Literatur entziehen, weil die meisten Ansätze viel zu hemdsärmelig daherkommen, ohne die psychologischen Momente genauer zu fixieren.
Das Mosaik lässt sich nur über das Thema Schizophrenie vollenden.
Vom Umgang der virtuellen Öffentlichkeit
mit Verbrechen
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Russell Edwards solved the puzzle (10.09.2014)
Nachdem ich sämtliche wichtigen Darstellungen zu den Ripper-Morden gelesen habe, ist für mich erwiesen, dass Russell Edwards definitiv die Lösung gefunden hat. Die DNA-Untersuchungen an diesem Objekt sind eindeutig. Einige Kritiker übersehen, dass das Objekt selbst für den
Fall, dass die Provenienz ungesichert wäre, eine Sensation bliebe. Wie anders sollen DNA-Spuren von Kosminski-Nachfahren und des Opfers Catharine Eddowes auf diesen Schal gelangt sein? Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Schal mit solchen Spuren findet, ist, selbst wenn man den ganzen rekonstruktiven Hintergrund,
insbesondere der verschlungenen Wege der Tradierung dieses Beweisstücks, ausblenden würde, so
gering, dass der Schal für sich betrachtet schon Beweis genug wäre.
Die "Michelmas Daisies"-Ausführungen sind genial und höchst plausibel, weil Schizophrene wie Aaron Kosminski stark dazu tendieren, semantisch-symbolische Bezüge herzustellen. Wer sich selbst für Gott hält bzw. glaubt, mit ihm
in unmittelbarer Kommunikation zu stehen, mag sich auch leicht für den heiligen Michael oder dessen Gefolgsmann halten, das "Werk des Herrn" zu vollstrecken. Doch diese Bezüge braucht es gar nicht, um diesen Sensationsfund vor alle anderen ripperologischen Erkenntnisse zu stellen.
Der Kommentar der FAZ (Gina Thomas) vom 08.09.2014 zu diesen neuen Erkenntnissen in der Ripper-Sache ist dagegen unangemessen, weil keinerlei Evaluation gegenüber den zahlreichen unsubstantiierten Beiträgen zur Ripperforschung in den letzten Jahren geleistet wird. Es ist nicht "wieder einmal" ein Ripper entlarvt worden. Edwards` Darlegung ist nach mehreren Seiten hin abgesichert. Alle alternativen
hypothetischen Kausalverläufe zur Herkunft des Schals und der Täter-DNA sind abwegig.
Im Übrigen sollte nach wie vor nicht verkannt werden, dass mehrere Vertreter von Scotland Yard ohne zu zögen, Aaron Kosminski als Täter bezeichnet haben. Melville CID Leslie Macnaghten
schrieb in seinem Memorandum über den Verdächtigen Kosminski: "He had a great hatred of women, specially of the prostitute class, & had strong homicidal tendencies: he was removed to a lunatic asylum about March 1889. There were many circumstances connected with this man which made him a strong 'suspect'."
Auch wenn das Ungenauigkeiten aufweist, ist der Kern der Aussage klar. Es muss Zeugenaussagen oder Vernehmungsprotokolle gegeben haben, die eindeutig belegen, dass sich der Hass von Kosminski gerade auf die einschlägige Opfergruppe bezog. "Homicidal tendencies" ist eine Feststellung, die Macnaghten
sicher auch nicht erfunden hat. Der Umstand, dass keine korrespondierenden Belege bisher vorgelegt wurden, spricht nicht gegen Machnaghtens Aussage. Es handelt sich hier um eine skizzierende Zusammenfassung von Ergebnissen, der höchste Bedeutung zukommt. Da nun die beiden Polizeibeamten Donald Swanson
und Robert Anderson denselben Namen nennen, muss man bereits zu sehr abgelegenen Hilfshypothesen greifen, um diese Nennung zu relativieren. Auch hier geht es um die typische Natur einer Erinnerung, die Kerninhalte angibt, aber bei Daten fehlerhaft sein mag. Diese "base-rate"-Überlegungen runden die Darlegungen von Russell Edwards ab. Zuvor war Robert House auf anderen
Wegen zu demselben Ergebnis gekommen. Die Kritiker dagegen bescheiden sich auf angebliche Namensverwechslungen: Der "John Doe" Martin Fidos ist unplausibel. Unplausibel sind auch die Unterstellungen über die angebliche Mentalität Kosminskis, die Gewaltexzesse unmöglich machen. Es bleibt bei der
Überlegung, dass Informationen und Erinnerungen in einer Bedeutungshierarchie stehen und häufig Nebenaspekte überbewertet werden, was in der Forensik eine geläufige Erscheinung ist.
Es ist im höchsten Maße
verdienstvoll, dass nach zahllosen Irrungen und Wirrungen von vielen - vor allem forensisch - völlig unzulänglichen Theoretikern nun die erste schlüssige, wissenschaftlich abgesicherte Version zu den Ripper-Taten vorliegt. Die Kritik an Russell Edwards belegt indes womöglich, dass das Rätsel
nach wie vor erhalten werden soll, weil dieser Mythos als ungelöster eine höhere Anziehungskraft besitzt als ein eindeutiger Beweis, der den Täter nicht länger zum Spekulationsobjekt macht.
Nicht nachvollziehbar bleibt, dass Scotland Yard die Originalakten des Falles nicht zur Verfügung stellt. Trevor Marriott versuchte letztinstanzlich vergeblich Akteneinsicht zu erhalten. Der Hintergrund für die Weigerung ist, dass Informanten nicht mehr Scotland Yard vertrauen
könnten, wenn ihre Identität preisgegeben würde. Vielleicht wäre die Entdeckung von Russell Edwards, an der Scotland Yard nach seiner Aussage interessiert sein soll, nun ein Anlass, die Geheimhaltungspolitik zu relativieren. Immerhin sind nach mehr als 125 Jahren Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder
Vertrauensbrüche doch eher unwahrscheinlich.
Russell Edwards solved the puzzle? Absolutely!
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