Augustinus,
Montaigne, Rousseau brachten es nicht auf unseren schizophrenen Klebepunkt. Sie schrieben
nur, Kleben oder Kratzen war nicht ihr Metier, Urlaub nicht ihre Sache, Bilden und Reisen
dagegen ihr grenzenloses Unternehmen. Erst der sozialstaatliche Kompromiss des
fortgeschrittenen Industriezeitalters führte zur flächendeckenden Popularität des
Urlaubs. Mit lüsternem Blick auf den tangaschwingenden Urlaubsschatten, der für
TUI-Reisen wirbt, heißt das im Touristenneudeutsch: Sie haben es sich
verdient."
Wenn es um eine Urlaubsreise ging, kam gestern noch jeder gerne mit, der es einrichten
konnte. Heute schneiden sich Traumschiffer und Rucksacktouristen, Linke und Rechte,
Inbetweenies, Punks und Penner ihr ganz persönliches Roadmovie zusammen. Die Urlaubswelt
wird in einer gigantischen Privatbibliothek, größer als es die alexandrinische je war,
archiviert, sodass ab jetzt kein Winkel der Erde, kaum ein Urlaubsaugenblick mehr
unerobert bleiben darf. Ritzten die Alten Erinnerungsmarken in Linden oder ins Fleisch der
Gastgeber, um die romantisch-schaurigen Höhepunkte ihrer Existenz festzuhalten, wird ab
heute der Camcorder zum erinnerungsträchtigsten Dokumentaristen der Urlaubseroberung. In
den Reiseerinnerungen der Camcorder wird die Fremde als Urlaubswelt unendlich beschworen.
Das stille Glück, da und dort und überall gewesen zu sein, outet sich lauter denn je.
Aus der privaten Urlaubsmemorabilie wird das konkurrenzfähige Erlebnisprodukt. Alle
schielen sie, auch auf der Überholspur, nach der Drehzahl der Anderen. Über die
alternativen Touren haben sich die Agenturen umfassend hergemacht. Ihre Angeboten sind die
Schnittmuster der Erlebnisgesellschaft, die professionellen Events mit atemberaubenden
Serpentinen, Schluchten und Schikanen, aber auch einer sanatorischen Logistik.
Der neueste Tourismus ist die zeitgenössische Berufsform des Expertenurlaubers.
Ferienmenschen sind quallenförmige Wesen an den Gestaden von Gestern. Von ihren
Cheftieren von der Kette gelassen brachen sie in unorganisierten Heerscharen auf,
verließen Heim, Heimat und Hochofen, um die Ferne massenweise zu erobern und das Glück
dieser Welt im Anderswo, allerdings auch im Ebensowiedaheim" einzulösen. Jetzt
ist überall der Undercover-Urlauber angesagt, der noch auf dem Transportband des
heimatlichen Terminals Verwendung für sein Surfbrett findet und die Gangway gegen das
Heckflossenbungee zum interkontinentalen Quickzipp eintauscht. Ich geh' kaputt, gehst Du
mit? Das ist jetzt die Devise. Wir sind die Urlauber, vor denen uns unsere Eltern immer
gewarnt haben. Für uns ist der Urlaubsspaß nichts anderes als der globale
Erlebnisernstfall schlechthin.
Argonauten und Temponauten: Vor Beginn der massentouristischen Mobilmachung galt das
Reisen als Privileg von Helden und Kaufleuten, Künstlern, Gebildeten und Heimatlosen.
Mitunter brachen ganze Völker auf, eine bessere Welt hinter dem Horizont der eigenen zu
suchen. Völkerwanderungen waren nur auf Hinreiseticket zu buchen. Wo andere Lieder
sangen, ließ man sich fröhlich nieder und machte sich mit Gewalt breit, importierte
eigene (Un)Kultur und schwängerte fremde Frauen. Mit Visionen des überirdischen Glücks
terrorisierte die Vorhut der Missionare und Weltaufklärer die Nichterlösten. Zeitweise
schien die Erde ein Tollhaus von Barbaren zu sein, die über die Sesshaften herfielen.
Schwerter gegen Pflugscharen" hieß die Parole der Eroberer und die Kämpfe
waren zumeist schnell entschieden. Jason und die Argonauten, Erik der Rote und seine
Wikinger, Kolumbus, Klaus Störtebeker, Dr. Livingstone oder Stanley waren Touristen avant
la lettre. Ihre Wege waren nicht oder schlecht kartografiert. Man traf sich selbst im
schwärzesten Afrika: Dr.Livingstone, I presume." Für diese Reisen gilt, was
Clausewitz als Kriegserfahrung benennt: Jeder Krieg ist reich an individuellen
Erscheinungen, mithin ist jeder eine unbefahrenes Meer voll Klippen, die der Geist des
Feldherrn ahnen kann, die aber sein Auge nie gesehen hat und die er nun in dunkler Nacht
umschiffen soll."
Kreuzfahrer, die den irdischen Wohnsitz unseres Heilands aus der Hand der Ungläubigen
befreien wollten, scheiterten. Aber ihr Glaubenseifer bleibt ein anregendes Beispiel
dafür, dass den Reiselustigen schon damals keine Mission zu irreal war, um nicht zu ihrer
Verwirklichung anzusetzen. So seltsam die Reisenden auch auftraten, sie waren gegenüber
den Sesshaften immer im Vorteil. So spielen sich Reisende als rasende Demiurgen auf, die
das Weltschicksal mit der Stahl packen wollten, um ihm die Gurgel zuzudrücken. Des
Heilands Predigt, Kirche und irdischen Staat zu trennen, war denen, die mit schwerer
Rüstung auf seinen Sandalenspuren reisten, nicht aufs Banner geschrieben. Richard, das
virtuelle Löwenherz, steht neben Lohengrin und Greenhorn Parsival, den glimmernden
Gralsburschen, denen bald Klingsors Goldsucher, die spanischen Konquistadoren und andere
Weltglücksträumer folgen sollten. Auf das Zeichen des Kreuzes nagelten sie die
unfreiwilligen Gastgeber fest. Geleitet vom Wanderpredigerflair der Heilserzählung und
von der Fama des Goldes verwandelten sie sich zuletzt selbst zum Mythos der ewigen
Unheilsgeschichte. Logistik des Eingemachten: Das Marschgepäck der frühen Reisenden
beinhaltete oft wenig mehr als den Traum militärischer oder wissenschaftlicher Eroberung.
Trotz Skorbut, Giftpfeilen und anderen Verständigungsschwierigkeiten mit der
einheimischen Bevölkerung reiste man auch vor Baedekers Zeiten viel und gern. Die terra
incognita, die die alten Pergamente als Wohnort der Löwen und anderer Ungeheuer
auswiesen, war Paradies und Hölle, galt als Herausforderung und gebannte Gegend zugleich.
Doch im Laufe der Jahrhunderte kamen so viele Urlaubserfahrungen zusammen, dass die
Einzelreisenden ihre je eigenen Paradiese und Schlünde aufsuchten. Pausanias' Führer für
die feine römische Gesellschaft unter Kaiser Hadrian leitete den vorklassischen
Bildungsbürger des Weltreiches durch ein museales Griechenland. Im sechzehnten
Jahrhundert starteten die Kavalierstouren, Bildungsreisen mit handfesten
Vergnügungscharakter für Wohlbetuchte und Feinberockte. Die Kutsche gehörte zum reichen
Arsenal reisespezifischer Folterinstrumente. Noch waren weder Sterne noch Gabeln an den
Herbergen verteilt, Kakerlaken, Stechmücken und Straßenräuber waren die unangefochten
epidemischen Reisebegleiter der Ahnungslosen. Im achtzehnten Jahrhundert waren
populärwissenschaftliche Reiseberichte der große Renner. Sie erreichten auch den
immobilen Weltdenker Kant, der sie minuziös in seiner Einbildungskraft zu ausgedehnten
Geografievorlesungen, leider nur a posteriori, verarbeitete. Allein mit seinem geliehenen
Insiderwissen über die Konstruktion der Towerbridge machte der Chinese von Königsberg
manchen weit gereisten Engländer sprachlos, während die Ausführungen über die
klimatisch bedingte Wulstlippigkeit des Negerverstandes schon die Kritik der kolonialen
Vernunft vorbereitete. Leider blieb sie ungeschrieben. Fazit der transzendentalvirtuellen
Verortungen schon damals: Reisen bildet, aber dafür muss man nicht selbst unterwegs sein.
Freilich war die Umsetzung der fremden Welt in den Vorstellungskreis der Zeitgenossen das
punctum crucis: Elefanten mit Pferdebeinen und Nashörner aus der europäischen
Illusionsschmiede belebten vor dem Bio-Eden von Jurassic Park Kupferstiche wider jede
zoologische Vernunft. Als Zebra, als schwarzweißes Rebus wurde das Fremde assimiliert,
deformiert und eingeheimatet. In den grotesken Bildern der neuen Welt, die die alte
anfertigte, schmuggelte sich die europäische Geschichte ein. Der Eurozentrismus ordnete
die ganze Welt in die Fluchtperspektive seiner Kultur, zwang in ihre Bildgehege und
Wortgitter.
Reisefronten: Nicht nur Schlachten, Siege und Niederlagen markieren die zwei gekreuzten
Säbel in Geschichtsatlanten sie kennzeichnen die Orte und Sehenswürdigkeiten, Gräber
und Ruinen, an denen die ultimativen Höhepunkte einer anderen Form des Reisens
stattfanden, jene Kultstätten, wo Krieg und Urlaub miteinander Hochzeit hielten. Dabei
scheint die dem Untergang und der Zerstörung gewidmete Rationalität dem zweckfrei
wohligen Urlaubserlebnis zu widersprechen. Aber immer wieder reklamiert der Krieg die
Vaterschaft aller Dinge, so auch die Regimentsbefugnis über den Heimaturlaub nach dem
Kampfesdienst an der Arbeitsfront. Als nachhaltigste Form der Mobilmachung unterhält der
Krieg eine genealogische Sonderbeziehung zum zweckfreien Reisen, dem Kern jeder
ernsthaften Urlaubsbemühung. Der Krieg schlechthin bietet die fürchterlichste Form des
Reiseurlaubs, eines Urlaubs von den Zwängen der Kultur, eine Reise in die barbarische
Urgeschichte und den ultimativen Suspens von der Zivilisation und ihrem tagtäglichen
Disziplinierungsdruck. Dies hatte auch Toynbee im Sinn, als er die kulturzerstörerischen
Ausschweifungen des Kriegs für das Hauptmerkmal des Militarismus hielt. Konsequent
militaristische Kriege - gibt es andere? - werfen demnach auf Frieden basierende Kulturen
- gibt es solche denn überhaupt? - um ganze Zeitalter zurück. Selbst die technologischen
Entwicklungsschübe vermöge des Krieges seien nicht genuiner Verdienst von Mars, sondern
Notzucht an Eros und der Menschlichkeit des Menschen. Aufstieg und Untergang von
Weltreichen erklärten sich nicht aus Kriegsglück und militärischer Geschicklichkeit. In
nuce: Der Krieg ist der Zerstörer aller Dinge, weil Kriege keine Zwecke verfolgen,
sondern sich selbst zweckloses Endziel sind. Von Toynbee lässt sich einiges über den
Urlaub lernen. Auch er gehört nicht ins Reich der Zwecke. Urlaub ist Luxus, Zweckfreiheit
pur. Freilich versteckt sich kein Phänomen geschickter hinter Zwecken als das ohne Zweck.
Die Urlaubsfreude verbirgt sich hinter dem Arbeitsmaske und die Kriegsgeilheit hinter
Gruppenmoral und Friedensethik. Krieg und Urlaub verlängern Politik und Arbeitswelt mit
anderen Mitteln. Auf diese Weise reklamieren sie permanent Aufmerksamkeit für höhere
Zielsetzungen und Werte, die sie zugleich hintertreiben. Kein Militarist begründet seine
Apologetik des Krieges mit purer Lust an Gewalt, mit Willen zur Zerstörung oder
sardonischem Vergnügen am Leiden. Und kein Tourist mit Profigespür würde als
interesseloser Roadrunner oder ortsblinder Jetsetter in ein fremdes Land einfallen. So
gehören Krieger und Urlauber nach der Werbeformel eines britischen Automobilherstellers
einer Spezies an, die die Einheit der Differenz markiert: Air Force oder Rover.
Auch die Futuristen haben Erkleckliches zum Thema beizutragen: Sie waren es, die die
brandwütigen Gesten des schwachsinnigen Imperators Nero als urlaubsmüden Freizeitspaß
im Dickicht der spätcaesarischen Verwaltungswelt dechiffriert haben. Die Futuristen haben
die Kunst und die Fabrik, Beschleunigung und Muße, Durchschlagskraft und Leichtsinn,
Tropenhelm und Baedecker zu einer Hängemattenphilosophie tödlichen Leichtsinns
zusammengewirkt, in einer Ästhetik im Chefglashaus, derzufolge der Krieg primär als
Gesamtkunstwerk aus Feuer, Farben und Formen aufzuzeichnen und zu begreifen sei. Freilich
gewährt der Elfenbeinturm einen bequemeren Ausguck als die Schützengräben, in denen ein
Teil der anderen Avantgarde dezimiert wurde. Generalistische Rezeptionslüste dieser Art
setzen einen abstrakt-zynischen Sinn für eine makroskopische Ästhetik, eine Art Urlaub
von der Mikrowahrnehmung alltäglicher und moralischer Imperative voraus, eine
Freistellung der Erkenntnispotenzen, wie sie nur auf höherer Warte, oder Geringeren im
Urlaub und auf Reisen möglich ist. Und so wurde den bellizistischen Ästheten der Krieg
selbst zur höchsten Form des Urlaubs, zur Muße hinter der Panzerglaswand unter dem
Meeresspiegel, auf der Bohrinsel oder im Luftschiff in einer kakafonischen Ästhetik der
Ferne, in der die Schreie der Opfer und das Bersten der Gestade schlichtweg unhörbar
blieben.
Doch auch Bellizisten humaner Prägung entkommen der futuristischen Schizophrenie von
Krieg und Urlaub keineswegs. Für sie liefern die Leiden der Opfer die Munition für den
Feldzug gegen die Täter. Die Moral selbst sorgt für den Urlaub von der Moral und für
die freie Zeit zum Töten. So nährt sich auch der gerechte Krieg von der Lust am
mußevollen Untergang, vom totalen Urlaub von der Welt der Apokalypse. Soldaten brauchen
mehr als Argumente, politische Vorwände und herrschaftliche Attitüden wenn sie Urlaub
von der Menschlichkeit nehmen und die Lizenz zum abenteuerlichen Töten auf Zeit kriegen:
Dionysische Abenteuerlust, zivilisationsfreier Erlebnishunger und Wut aufs Weltganze toben
sich endgültig aus. Die dünne Haut der Humanität ist schnell entfernt, wenn die
Fanfaren ertönen ... und die Reisezeit bricht wieder an.
Klassischer Militärtourismus: Die großen Reisewettbewerbe inszenierten Kaiser, Könige
und Feldherren. Altterminator Alexander der Große durchpflügte den persischen
Erlebnispark, um als präpotenter Multikultikaiser mit einer Superhochzeit in Indien das
Ende der Welt anzusteuern. Als die Welt noch eine große Scheibe war, scheiterten globale
Missionen und Imperien nicht nur am Widerstand der Götter. Auf Druck der reiseunlustig
gewordenen Armee musste Big Alex umkehren. Er starb als Frühvollendeter. Hannibal
preschte mit tierischen Omnibussen, den Zentauren seiner schweren Reiterei und der Vision
einer transalpinen Hegemonie über die noch nicht tunnel- und brückenbewehrten Pässe, um
die Ewige Stadt das Fürchten zu lehren. Aber die kapitolinische Wölfin schüttelte die
Kapitulation ab. Scipio africanus d.J. brach zum todbringenden Gegentrip auf. Das
römische Reisemotto Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam" war keineswegs
umweltfreundlich und hieß übersetzt: Karthago sehen und sterben lassen. Im Vergleich zu
den Karthagern waren die Vandalen unter Geiserich die erfolgreicheren Italienurlauber. Sie
sind die Ahnherren des klassischen Massentourismus. In nur zwei Wochen demonstrierten sie
die Primärtugenden des Totalurlaubers mit Vollpension: In der Fremde hausen ohne
Ordnungszwänge und Spülpflicht, Lärm, Frust und Gestank abladen auf die Einheimischen,
die eigene Unkultur gegen fremde Einflüsse bewahren, bloß keine Fraternisierungen, um
sich bei den unfreiwilligen Gastgebern in schlechtester Erinnerung einzubrennen. So kennen
wir sie und uns.
Moderner Militärtourismus: Es war alles wohlvorbereitet. Alles lief nach Schlieffens
Plan. Reiselustige Pickelhauben setzten sich in die Reichsbahn. In vier Wochen
Frühstück in Paris" lautete das kaiserliche Reisemotto auf den Wagons. Aber nicht
Paris, sondern Beinhaus im Niemandsland an der Marne hieß die Endstation
imperialistischer Seh(n)sucht. Schützengraben haben sozialintegrative Funktion, aber die
Urlaubsstimmung verflog so schnell wie die Schrapnells. Militant unterdrückte Reiselust
eines Gefreiten mit eisernem Kreuz - das konnte nicht gut gehen. Auch als unsteter
Nachtasylant im Wiener Männerwohnheim sollte die verdrängte Reiselust als Reisewut
wiederauferstehen und vor den mobilen Geistern seiner Zeit, so dem späteren Flüchtling
aus der Wiener Berggasse nicht Halt machen. Der Grenzgänger aus Braunau tat sich
allerdings schwer, sich in die Rolle des Weltreisenden zu finden. Für ihn sollte die
ganze Erde nur aus eigenem Blut und Boden bestehen. Nicht umsonst war er glühender
Anhänger der Hohlwelttheorie. Wenn es denn nötig war, das Reisen, so nur noch in seiner
einmalig letzten Form, als Endlösung allen Reisens, als Wiederherstellung eines Reiches,
in dem es Autobahnschilder nur in einer einzigen Zunge gab, die lechzend zum Nabel der
Welt, nach Berlin zeigte. Volkswagen hätten niemals Caravans ziehen dürfen, so wie
deutsche Schäferhunde nur deutsche Blinde über die Straße geleiten dürfen. Denn ein
Volk, das seinen ihm zustehenden Raum erobert hat, weiß wo es hingehört: Die Bewegung
hat ihre endgültige Ruhe gefunden.
Die Alliierten sahen das freilich anders: Landser im Knobelbecher absolvierten gemäß dem
Diktum eines Tshirt-Herstellers die aufwändigste European Tour, die die Welt bis dato
erleben musste. Paris wurde diesmal im kleinen Grenzverkehr genommen. Das winterklirrende
Stalingrad machte dem teutonischen Touristengegröhle mit Feuer speienden Stalinorgeln auf
den Dampfkessel der sechsten Armee den Garaus. Bereits der Globetrotter Napoleon war von
General Winter über die eisige Beresina nach Hause gehetzt worden, um zunächst einen
Kurzurlaub auf Elba zu verbringen und schließlich als Rentner im Langzeitferienparadies
St. Helena zu retirieren. Das Unternehmen Barbarossa verwandelte sich zum Nachurlaub in
Sibirien unter touristisch barbarischen Bedingungen. Während in Russland die
Voraussetzungen geschaffen wurden, einer Pariser Metrostation den heute noch bestehenden
Kampfnamen Stalingrad zu verleihen, ergingen sich die Gebildeten unter den germanischen
Militärflaneuren in der Pariser Nationalbibliothek und auf den Champs Elysees. Die
fanatischen Chargen strangulierten derweil die Resistance. Der so fröhlich begonnene
Blitzkrieg der Panzer und Stukas gegen polnische Ulanen verkümmerte schließlich zum
Kurzeinsatz an der Kugelfront der Hausruinen ohne Haltegurte und ohne
Wiedersehensgarantie. Rommels gepanzerte Wüstenfüchse verteilten derweil Spargel in
anderen klimatischen Gegenden. Der Rommelspargel, ein ebenso kostengünstiges wie
praktisches Fluglandeverhinderungsgerät, beeinträchtigte Gegner am Reisen und Landen,
während die Panzer des deutschen Afrikakorps gen Tobruk rollten. Als ob die Zeit stehen
geblieben wäre, tragen die kettenbewehrten Stahlvehikel bis heute exotische
Raubtiernamen, die den faschistischen Hunger auf das ausgegrenzte Fremde anzeigen und den
Techno-Kannibalismus der maschinellen Dynamik beschwören. Die Ikone des Königstigers
wurde vom Leopard abgelöst, jenem abgeschotteten Reisemobil, das in seiner
zerstörerischen Präsenz die Fährnisse und Geheimnisse fremder Landschaft verspottet und
durch fortgeschrittene Destruktionstechniken ausschalten soll. Krieg ist die direkteste
und intimste Art, fremde Menschen und Länder in ihrer ursprünglichen Lebensweise und
nationalen Eigenart kennen zu lernen. Unverstellt reagieren die Eingeborenen auf Besucher,
wie auch immer gottgleich und unangreifbar diese sich mit ihren Technologien zu machen
versuchen. Kriege, Feldzüge und Völkerverständigung haben zu einem untrennbaren
Mischgewebe vielfältiger Kommunikationsfäden geführt, zu einem imprägnierten
Kampfgewebe für Berufssoldaten und Profitouristen. Die deutschamerikanische wie
deutschfranzösische Freundschaft gedeihen im Aufwind eines stabilisierten europäischen
Friedens. Im Zeichen der Waffenbrüderschaft hat der Krieg wieder die friedliche Form des
Masssentourismus angenommen. Unübertroffen ist dabei die US-amerikanische Weltreiselust.
Nach dem Überraschungsbesuch der Japaner in Pearl Harbour entwickelte Uncle Sam einen
neuartigen Fabrikreisekrieg in Fernost: A-Bomben, Planieren, Landen, Marschieren, da capo.
Harakiri und Kamikaze, die zenbewährte Art der Ferien vom Ich, blieben ohne
Überzeugungskraft: Das gelbe Kriegsfieber bedeutete keine Gefahr für den
hochimmunisierten american way of life. Das amerikanische Reiseprogramm in Fernost kennt
indes auch weniger glückliche Varianten. Charlie setzte in Vietnam den US-Kriegern derart
zu, dass zunächst einmal der Rückzug angesagt wurde, trotz der flächendeckenden
Bombardements und Entlaubungsmittel durch die fortschrittsfanatische Mondfahrer-Nation.
Dennoch hat sich das Zerstörungs- und Aufbauprogramm auch im Lande HoChiMinhs ausgezahlt.
Der Dschungel am Mekong, der große Abenteuerfluss, der schon den Kolonialwarenliteraten
Joseph Conrad ins Herz der Finsternis führte, wird nun macdonaldisiert getreu Warhol's
Spruch: Burgerpaläste sind das Schönste in jedem Land, egal welchem. Was die Glasperlen
für die Eingeborenen waren, sind heute die kleinen Plastikfiguren für die Kunden, die
Beigaben zu Chicken Mc Nuggets, den panierten Goldklumpen aus Hühnerfleisch mit Barbecue
Sauce, die uns Globetrottern den letzten unerschlossenen Winkel so heimisch und den Urlaub
so reisefieberfrei machen.

Vormaliges Reisebüro - Berlin Wedding (Copyright Goedart Palm)
Wären da nicht Bosnien, Kroatien, Serbien. Allesamt sind sie bisher weder am
amerikanischen Wesen genesen noch unofiziert worden. Der nationalfaschistische Altvirus
verwandelte unser Billigreiseland in ein Konzentrationslager. Bürgerkriege gehören zur
schlichtesten und schikanösesten Form der Reiseveranstaltung. Nachbars Garten ist wenig
exotisches, aber dennoch heiß begehrtes Terrain. Der Bruderkrieg hat einen neuen Typus
des Kriegstouristen geprägt, die an die unsteten Schergen des dreißigjährigen
Schlachtens zurzeit der christlichen Religionsspaltungen erinnern. Im Kampf um das
vermeintliche Großreich, im Kampf um die zivile Sesshaftigkeit und die militärische
Mobilität werden die Einheimischen zu Touristen wider Willen, die die Schneisen der
Scharfschützen zum Wasserholen um die Ecke überqueren müssen. Und Ex-Jugos fahren am
Wochenende aus Deutschland in die Kriegsgebiete, um mal eben ihren Landsleuten beim Töten
von den Hängen und beim Überfall aus nächster Nähe zu helfen. Nie waren Urlaub und
Krieg in einer solch obszönen Alltagsgrimasse, in einer lebensweltlichen Befindlichkeit
vereint in einem Europa, das sich auf Jahre Nato-gestützten freiheitlichen Frieden
beruft. Aber jetzt kann die Boulevard-Presse erleichtert aufatmen: Endlich bomben sie. Die
Tornados rollen übers Land und wir sind nach Jahrzehnten Urlaub vom Krieg wieder dabei.
Fremde Heimat: Die sonnenbrandgeschüttelten Pauschal-Terroristen sind gegenüber den
neuen Urlaubssturmstaffeln armselige Exo-Ticker, die in der assimilierten Fremde das
suchen, was sie daheim auch nicht finden. Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute
liegt so nah? Der blinde Fleck der pauschal Erlebenden wird zu einem wachsenden Schatten,
der alles Fremde so lange verdunkelt, bis es zur Kenntlichkeit pervertiert. Die
Touristenhochburgen auf Mallorca, Ibiza und Formentera, zwischen Lloret de Mar und
Torremolinos werden so zu getreuen Abbildern des heimischen Environments, geschmückt mit
Palmen und Strand, Sonne und Sand, die mit der Fototapete aus dem Baumarkt konkurrieren.
Die Erlebnisqualität liegt auf dem schmalen Grat zwischen der Reproduktion der
heimatlichen Lebenswelt und der Konstruktion des Fremden. So will der touristische
Exotismus keine unterhintergehbare Fremdheit, sondern eine Fremdheit, die uns fröhlich
zublinzelt und voraussetzungslose Verständigung verheißt. Zugang zum Fremden muss ohne
die Gefahren des Außersichseins in der unheimlichen Welt gesichert werden: Bezahlbares
Miteineiander des Fremden und Eigenen in einer bunten Borgwelt auf Zeit. Das Traumschiff
(ZDF) beschreibt letztlich eine heimische Innenwelt, die erfolgreiche Absetzbewegungen
(Wochenschau) aus dem Exotisch-Unheimlichen möglich macht. Ohnehin deformieren in der
narrativen Aufbereitung des Fernsehtraumtourismus alle Nichtweißen zu Bimbos, Kanaken und
Hottentotten. Zwar werden sie politisch korrekt nicht länger so bezeichnet, aber dazu
gestylt. Sie verzehren nicht mehr cartoongerecht Besucher im Kochtopf, keine Knochen
durchbohren ihre Nase (XOXWerbung der 50er-Jahre), die Baströcke liegen bei der
Altkleidersammlung. Aber ihre latente Dummheit, die Ausrichtung ihrer Existenz auf die
weißen Herren mit den bleichen Spinnenbeinen, die Neppmentalität schmieriger Händler,
die laszive Sinnlichkeit der schokoladenhäutigen Zimmermädchen, all das belegt einen
Kolonialismus zweiter Ordnung. Schon während unserer Fernsehpubertät unterhielt uns
Daktari mit der subtil gewordenen Überlegenheit des weißen Mannes über die
Dummgeborenen. Was beweist, dass korrekte Sprachregelungen gegenüber medialen
Darstellungen wenig ausrichten. Fröhliche Inkorrektheit ist allemal sinnlicher als
puritanische Korrektheit.
Kolonisation: Wer im Urlaubs-Bingo nicht mehr mithalten kann, lässt wie jüngst berichtet
für die Nachbarn die Rollladen runter und verbringt die vier schönsten Wochen des Jahres
im Keller seines eigenen Hauses. Es nimmt nicht Wunder, dass die von Montezuma und anderen
Feriengöttern Geschundenen an ihren Gastvölkern grausam Rache nehmen. Als getreue
Nachfahren der Konquistadoren, Missionare und roter Termitenschwärme kujonieren sie nicht
nur die fremden Mietdomestiken. Das von professionellen Animateuren entworfene
Neokolonisierungsprogramm umfasst die Besetzung fremder Baudenkmälder, die Einmüllung
exotischer Vegetationen, den kulinarischen Wildfraß der Tierwelt, die Schändung fremder
Weiber und Kinder. Diese Programmatik überschreitet längst die Gestaltungskraft und den
Vernichtungswillen des Einzelnen. Mächtige Urlaubsindustrien bilden den größten
Business-Faktor der Welt. Selbst die Medienindustrie hat trotz gewaltiger Anstrengungen,
die ökonomische Weltherrschaft anzutreten, die Touri-Branche noch nicht vom ersten Platz
verdrängen können. Und die Branche boomt. Statistiken errechnen nicht nur das Wachstum
der Weltbevölkerung, sondern auch den progressiven Wildwuchs von Hotels, Pensionen und
Herbergen, die sich alle Jahre wieder verdoppeln. Bald wird die ganze Erde ein einziges
Reise und Nachtquartier sein. Asyl go home! Wenn die touristischen Entwicklungsländer
Afrika, Asien und Südamerika auch durch die Reiseindustrie zum Abflug fertig gemacht
werden, verwandelt sich der Globus endgültig zum Transitreich pauschal fabrizierter
Urlaubslandschaften. Aber selbst da, wo das Gelände noch unwegsam ist und
Touristenunterkünfte fehlen, bahnt sich die Öko-Guerilla gnadenlos ihren Weg.
Naturliebe, die der gnadenlosen Schaulust bei Verkehrsunfällen verwandt ist, macht die
Natur vollends zu Schanden. Umweltbewusstsein verkommt zum Unweltbewusstsein. Wälder,
Seen, Strände, Brutgebiete, Buchten und letztlich jeder authentische Flecken mit
Biotop-Charakter unterliegen dem overkill des Sightseeing. Zurück bleiben
plattgetrampelte Schlachtfelder, schwelend schwillende Müllberge, großflächige Reliefs
aus Konserven und Papier ein Pandämonium aus junk und Gestank. Das einfache Fußvolk
folgt dabei den Wegen der Reisepromis, die mit Bestsellern das Kletterprimatendasein als
das wahre Leben verkaufen. Wenn Reisedämonen wie Reinhold Messner die Unberührtheit
erklommener Winkel markiert haben, beschließen sie zugleich deren Massenentjungferung.
Der einzige wahre Friedenschluss mit der Natur wäre die Selbstbescheidung auf den eigenen
Vorgarten. Im Übrigen sollten Touristenführerscheine nur die in's Feld ziehen lassen,
die im Trockenreisekurs ihre Umweltverträglichkeit bewiesen haben. Die Lizenz zum Reisen
ist im Übrigen nur noch gegen Vorkasse für die Beseitigung der Folgekosten zu erteilen.
Mobilmachung und Landnahme: Weniger die Entfernung des Ortes als die spezifische
Eroberungsform verbürgt den Anspruch unserer Ferienbewegung. Wenn fast jeder Ort dieser
mikroskopisch klein gewordenen Welt in einigen Jetstunden erreicht werden kann, reicht die
zurückgelegte Distanz nicht aus, den entbehrungsbereiten Leistungseifer des modernen
Touristen zu belegen. Weder achtzig Tage um die Welt noch acht lässige Stunden können
die Bewunderung von Urlaubsrivalen und Daheimgebliebenen garantieren. Die Protagonisten
der neuen Mobilität erfüllen ihren dynamischen Auftrag nicht in der passiven Aneignung
des Fremden, so entlegen und widerständig es auch sein mag. Touristen mit der
Gefahrenzulage im Nike-Gehgerät tauchen nur aus dem gepachteten Wildwasser auf, um über
den Wolken ihre prosaischen Drachenträume auszufliegen. Sie beflügeln ihren
Erlebniseifer mit dem Kick aus Adrenalin, Red Bull und Gatorade. Die militärische wie
sportive Eignung dieser Spezies, die nicht mit dem einfachen Marschgepäck der
Primitivsoldateska auskommt, ist unwiderlegbar: Wagenladungen mit Hilfsgütern, Einbaum
und Kanu, ein Tross aus Surf-Brettern, nicht rostende Rüstungen aus Gummi, Plastik und
Elastizität sowie gadgets mit unerfindlichen Funktionen folgen diesen
autoflagellantistischen Superlativen aus Leistungs- und Entsagungsbereitschaft. Der Sieg
muss errungen werden. Der Ausrüstung, die zur Überrüstung wird, gilt die Liebe von
Private Paula zu seinem automatischen Sturmgewehr (Full metal jacket). Der Aktiv-Urlauber
sucht das Gebiet natürlicher Gefahren jenseits der ausgestiefelten Pfade der Blauen
Führer. Mut vor und gegen alle Dinge ist die erste Eigenschaft dieser Urlauber. So hat es
von Clausewitz für den Krieg und den Krieger festgestellt. Wenn wir die Desert-Stürmer
betrachten, die einem imaginären Feriengeneral Schwarzkopf als fünfte Kolonne folgen,
verwandeln sie sich in der flirrenden Hitze zu Urlaubskriegern, Fußblasentechnikern,
Belastungshornochsen, Wellenhengsten, Rallyerittern und anderen Geländeheroen. Sie sind
die Brüder und Schwestern der surfenden GI's in Apocalypse now, die den Geruch von Napalm
und brennenden Körpern mit dem Sieg synästhetisieren.
Menschen aller Länder im Geist des Urlaubs vereinigt entladen im existenziellen Extrem
ihre büromüden Körper zu motorischen Infarktmaschinen der tausend Schmerzen, die zu
Lüsten erstöhnt werden wollen. Urlaub ist ihnen Körperarbeit in der Fron des
Vergnügens, das keines mehr sein darf. Diese Formen des Urlaubs, der sich nicht in der
Erholung, sondern in der Rundum-Überholung der schlappen Wohlstandskörper erfüllt, sind
keinen Turnschuh weit von den ausbrennenden Stress-Jobs der sich wild gerierenden
Aufziehmännchen und -weibchen entfernt. Sie erarbeiten sich ihre freie Zeit in der Fremde
mit der Härte und Verbissenheit ihrer übers Jahr verinnerlichten Arbeitsdisziplin. Wenn
aus Touren Torturen werden, steuern die harten Jungen und Mädchen ihre verlorenen Körper
an, suchen ihre Seelen vom Schlamm einer heteronomen Welt freizukratzen, um schließlich
wenigstens für einige Sekunden den kick einer Vollexistenz zu spüren. Mobilität und
Motilität erschöpfen sich nicht in der Dynamik von Flugzeug, Eisenbahn, Jeep oder
Hochseejacht, um siegreich nach den antipodischen Örtern dieser Welt zu jagen. Die
Mobilität des Kopfes, die mentale Einrichtung in exotische Befindlichkeiten, das
survivaltraining im unwegsamen Gelände dies ist das wichtigste Instrumentarium des neuen
Urlaubertyps. Wer sich Aktiv-Urlaub auferlegt, kündet von seiner Angst, in der Welt oder
dahinter sein privates Nichts zu finden, seine wankelmütige Mitte an die Tristesse eines
ereignislosen Sonntagnachmittags zu verlieren.
Asyl: Das deutsche Asylgesetz hat die Welt mit einem gordischen Nackenschlag, d.h. in
einer juristischen Sekunde in zweifacher Weise sicherer gemacht. Die Sitzenbleiber sind
jetzt nicht nur in ihrer Heimat gut aufgehoben, wie es das Gesetz befiehlt. Das Asylrecht
ist zuvörderst unsere humanitäre Schutzmaßnahme gegen die Kinderkreuzzüge auf unseren
Straßen. Die Repratiierten sind uns dankbar, dass sie wieder sicher schlafen können,
ohne dass ihre Regierungspaläste und Strohhütten abgefackelt werden. Multikulturell
definiert sich unsere Gesellschaft über die exotischen Clowns, die als Kurzzeitgäste
verregneter Sommerfeste auf den Marktplätzen unser Fett abtanzen. Wenn aber die
javanischen Schattenfiguren, die afrikanischen Bushbabys und die Saitenspieler aus dem
wilden Kurdistan Nachbarn werden wollen, unseren Vorgarten als Abfallhalde missbrauchen
und deutsche Schäferhunde dressieren, dann ist es höchste Eisenbahn, sie von unseren
Asylbewerberhausbooten in ihre Nationalparks zurückzuschicken. Endstation Fernweh.
Unseren Eingeborenenstatus haben wir an die rechtmäßigen Eigentümer zurück gegeben.
Trizonesien lang vergessen und die Rosinenbomber museal eingemottet, bombardieren wir
jetzt die guten Wilden mit Care-Paketen.
Minolta: Erleben heißt für den Pauschalurlauber, Eindrücke nur auf der Grundlage der
katalogisierten Vor-Bilder zuzulassen. Die Erlebnisleistung wird zur Pointe der
Urlaubsanstrengung. Wer die Welt als Postkarte sieht, dem verwandelt sie sich schließlich
zu virtueller Schönheit. Wer sich mit der Toscana-Töpfer-Mafia, den intervölkischen
Buntschuhlern, den Haurucksackgesichtern, den Strandburgern oder den sternengeilen
Küchengenerälen durch die Sehensunwürdigkeiten der Postkartenwelt gemogelt hat und auch
vor den sieben Weltwundern nicht schwach geworden ist, weil er sie bereits im Baedeker im
besseren Licht gesehen hat, der mag sich auf den Wunsch bescheiden: Nie mehr Urlaub! In
der japanischen No-Variante des Urlaubs, der Verleugnung der zweckfreien Nichtbewegung,
wird der Imperialismus light durch's antibuddhistische Objektiv der Kameraaugen gefeiert.
Die fremde Welt ist frei nach Wittgenstein alles, was das Foto ist. Das Foto gefällt als
gewaltfreie Form des Raubs. Im Gegensatz zu den vorgeblichen Mythen einiger Urvölker
raubt es aber nicht dem Objekt, sondern den imperialen Foto-Grafen und anderen blinzelnden
Aristokraten der erzwungenen Bildwerdung die Seele. Kein Augen-Blick darf einfach sein,
sondern muss verweilen, bis die Erinnerung nur noch ein Absehen von Er-Fahrung durch das
Bild ist. In der Ferienhöhle Platons - oder ist es nur eine prädanteske Hölle? -
steigen die Bildkonservenhersteller weit in den siebten Kreis von Minolta, Kodak und Agfa,
beladen mit dem schillernden Devotionalienkitsch, der im Ursprungsland keinen
einheimischen Käufer mehr locken könnte. Ob du da oder dort gewesen bist, das geht mir
an meinem Foto-Album vorbei.
Urlaub modern: Der moderne Urlaub erscheint paradoxal als die unverhüllte Fortsetzung der
Arbeit mit anderen Mitteln. Die moderne Reiselogistik präsentiert sich nicht länger als
ein gemächlicher Bildungsspaziergang nach Syrakus, sondern verlangt nach avancierteren
Formen der Mobilität. Selten ziehen wir noch wie der um Bürgernähe heischende
Altbundespräsident Carstens aus der grauen Stadt ins grüne Feld. Das 20.Jahrhundert war
nur kurzfristig die Zeit der Wandervögel. Mussolinis martialischer Marsch auf Rom oder
Mao Tse Tungs langer Marsch wollten die Sohlensolidarität der Massen symbolträchtig
einfangen. Der Schlagrhythmus der Schuhe auf den Boden demonstriert Stärke und
Geschlossenheit der Marschierenden, aber auch die scheinegalitäre Verbundenheit der
Führer mit den Geführten. Seit es technologisch hochgezüchtete Pferdestärken gibt,
sind Märsche als Fortbewegungsform der Infanterie gleichwohl aus der Urlaubsmode
gekommen. Die Motorisierung der neuen Urlaubsmobilität lockt die Technofetischisten unter
den Reisenden mehr noch als die Ferne. Die Fortbewegung ist ihnen nicht Mittel zum Zweck,
sondern Mittel als Zweck. Wer teuerste Fortbewegungsmaschinen kauft, will sie bis in die
letzten Drehzahlen ausreizen. Aber das neue Urlaubstempo setzt noch früher ein. Schon die
Urlaubsvorbereitungen werden zum tückischen Stressfaktor wider die Vernunft der reinen
Erholung. Urlaubsmüdigkeit: Gegen militante Reiselüste helfen nur Enttäuschung, Apathie
oder Sozialhilfe. Klar: Beim zweiten Mal langweilen Panoramablicke von der Zugspitze wie
jede Fernsehwiederholung. Tagtäglich grüßt auch auf der Alm das Murmeltier.
Bergwanderungen sind für Philosophen des Immergleichen zwischen Sils Maria, Silvaplana
und St. Moritz gut. Wir kennen die frustrierende Dialektik von Bergspitze und Talfahrt zu
sehr, um uns noch aus Cafes und verdunkelten Hinterzimmern herauslocken zu lassen. Die
Meuterer von der Bounty genossen das süße Leben auf den Pitcairn-Inseln. Ihnen wuchsen
die Südfrüchte über Hängematten noch gratis. Als das britische Rückholkommando sie
aufspürte, wurden die meisten selbst wie reife, apathische Früchte von den
lustspendenden Inseln gepflückt. Das Klima hatte ihnen jeglichen Widerstand gegen die
hässliche Krone geraubt. Ihre Reiselust war total befriedigt. Gestillten Kindern gleich
ließen sie sich aus dem Land abholen, wo Milch, Honig und Sperma überreich floss.
Die heutigen Reisenden bekommen dagegen nie genug. Beim kleinsten Anzeichen von
minderwertem Urlaub schlagen sie gnadenlos zu. Querulantenwahn beherrscht die
Reklamationen, die nach zwei Wochen Billigurlaub der letzten Minute bei den
Reiseveranstaltern hereinregnen. So gehört der Schadensersatzprozess zur eindruckvollsten
Reiseerinnerung. Paradoxal müssen die touristischen Verhältnisse sein, wenn sie nicht
zum Versicherungsanspruch gegen den Reiseversicherer werden sollen. Die Reiseversicherung
ist ein prosaischer Wechsel auf das Glück und Urlaubsabenteuer, die sich selbst da
einzustellen haben, wo die Verhältnisse marode sind. Das Abenteuerlichste am Abenteuer
ist der Glaube daran. Und der soll versicherbar sein. Perfektionismus und Müdigkeit gehen
jetzt aber eine Liasion ein. In Zukunft wird virtuell gereist. Um die Jahrtausendwende
erwartet das internet dreihundert Millionen Travellers, die aus dem Lehnstuhl Jobs suchen,
daheim Vergnügungstouren ohne lästige Realitätseinbrüche machen und aus Myriaden
Gründen von fernher in fremde Netzwerke einsteigen. Zeit, den alten Globus als
unvollkommenen Erlebnispark mitsamt seinem echten Raum-Zeit-Kontinuum einzumotten. Schon
heute bieten japanische Reiseveranstalter virtuelle Flitterwochen an, in denen Braut und
Bräutigam in digitaler Liebe durch-, ver- und ausbrennen dürfen. Denn nicht nur cybersex
ist der Trend der Lebenssüchtler, sondern cyberromantics im cyberfairytale hinter den
sieben Bergen auf den sieben Zwergen. Die Urlaubswelt ist der politisch-sozialen
Wirklichkeit so weit entfremdet, wie es der Veranstalter und die Verhältnisse zulassen.
Freilich kann der Veranstalter nicht das Hochglanzversprechen seiner Urlaubskataloge
einlösen: Mittelmeer und Ölpest muss jeder Urlauber selbst ausbaden. Den
Nationalpatriotismus der Eingeborenen stutzen die Luftlandedivisionen und Seereiseteufel
dagegen auf Urlaubers Maß zurecht. Bier und Schweiß sorgen dafür, dass der Lack abgeht.
Sie sind die heimtückischsten Schmiermittel der Eroberung. Mallorca wurde so als
siebzehntes Bundesland der deutschen Republik in relativ friedvoller Weise annektiert,
wenngleich die Briten hartnäckig eigene Kolonialansprüche ihrer Urlaubs-Hooligans
dagegen halten. Aber Premierminister Major ist trotz der hegemonialen Flüssigkeitsrekorde
der deutschen Kampftrinker kein zweites Falkland in El Arenal zuzutrauen. Ohnehin ist die
Europäische Union mit Schengener Abkommen jetzt zum Urlaubstransitparadies geworden.
Eurodisney-Resort bei Paris wurde zur gesamteuropäischen Enklave der kinderreichen
Vergnügungsflüchtlinge ohne kulturelle Eingreiftruppe.
Reis(e)fleisch mit virtueller Beilage: Das Zeitalter des weltumspannenden und zugleich
ermüdenden Tourismus hat auch geopolitisch die alten Grenzziehungen, längst vor der
Etablierung der Europäischen Union, aufgeweicht. Jeder Flecken dieser Erde hat das
Potenzial, sich mit Lichtgeschwindigkeit ins Bewusstsein der Zeitgenossen zu
katapultieren. Dem entkommt auch der Krieg nicht ungeschoren. Bürgerkriege enden nicht
mehr an den Landesgrenzen. Konflikte werden internationalisiert. Die Karadzics, Mladics
und Milosevics und die anderen Mumien aus der der nationalterroristischen Urlaubsunterwelt
wollen es nicht kapieren: Die Marterorte von Bosnien Herzegowina oder dem Kosovo sind zwar
fest eingeplante Medienhinrichtungsstätten für den Abendurlaub vor dem TV geworden. Der
telepräsente Terror der Neubarbaren provoziert aber die moralisch aufgekratzten
Fernsehzaunkönige fortwährend. Die Boulevardzeitungen stoßen Seufzer der Erleichterung
aus, dass die Nato endlich bombardiert, was im Zeichen der Inhumanität marschiert. Der
Irrtum von Alt- und Neubarbaren bestand immer darin, die Aggressionsbereitschaft und
Reiselust der Braven zu unterschätzen. Die Vernunft ist aber auch bei wehrhaften
Demokraten fest mit dem limbischen System verkoppelt. Die virtuelle Aufrüstung der
Wahrnehmung stellt auch Weltraumreisen ohne zusätzliches Budget für die Raumfahrt
sicher. Uns sollte billig sein, was die Extraterrestrier bereits mit mehr Aufwand begonnen
haben. Die Außerirdischen studierten den hitchhikersguide durch's Weltall und haben jetzt
den Planeten Erde als Urlaubsparadies entdeckt. Rundköpfige Babygesichter mit Kulleraugen
und Megahirn grinsen uns von grobkörnigen Pressefotos an. Obduktionen an tödlich
verunglückten Glibberkerlen wurden bereits durchgeführt. Ob ihr Blut rot, blau oder
grün ist, ließ sich bisher nicht feststellen. Zumindest ihr Sexhunger gilt der
Boulevard-Presse als guinessrekordverdächtig, wenn sie das klaffende Sommerloch mit
intergalaktischer Potenz befriedigen. Schade nur, dass die E.T.s nichts über ihre ferne
Heimat berichtet haben. Aber vielleicht kennen sie längst unsere imperialen Urlaubslüste
und Stanislaw Lems Sternkarte, die unseren Blauen Planeten als Heimat der
Gräselwüteriche und Ekelgeiler verzeichnet. Ihre Skepsis gegenüber unseren Wünschen
nach Gegenbesuchen dürfte uns nach Tausenden Jahren irdischer Kriegs-Reise-Urlaubsarbeit
nicht weiter verwundern. Wir würden auch mit dem touristischen Rest des Universums
fertig, wenn uns nicht ein gnädiges Schicksal den Abflug verpassen lässt.
Eins aber ist klar. Die schöne neue Urlaubswelt wird noch schöner,
als wir sie uns heute überhaupt vorstellen können: Stell Dir also vor, es ist Urlaub und
Du bist dabei.
Goedart Palm
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