Smartworld:
Das Schlaraffenland im Zeitalter seiner virtuellen Reproduzierbarkeit
„Der
Mensch hat gar keine Lust am In-der-Welt-Sein. Das, wozu er Lust hat, ist
das Sich-Wohl-Befinden.“
(José
Ortega y Gasset)
I.
Die Welt im immer(ge)währenden Welcome-Modus
Pieter
Breughel d.Ä. präsentierte 1567 seinen Zeitgenossen ein Land jenseits
der Hungersnöte, die ihnen zu geläufig waren, auf diese Weise:
Schlaraffen unter Bäumen liegend, den Bauch gut gefüllt, Natur ohne
Stachel, die Welt zumindest als Faulenzer- und Fressparadies instantan
verfügbar. “Lass von Epikur dir sagen: Satter Bauch schafft
Wohlbehagen.”
Die
technologisch hochgerüstete Konsumwelt, unsere Welt der neuen
Bequemlichkeitsversprechen variiert diese Primärfantasie des saturierten
Menschen im neuen Techno-Epikureismus. Schlaraffen liegen längst
allerdings nicht mehr nebeneinander unter Bäumen, sondern sind telepräsent
und teleaktiv. Sie bewegen sich von sprechenden Haustüren bis hin zum
personalisierten Internet-Portal in einer Welt des immer währenden
Willkommens, verfügen in interaktiven Räumen über unzählige Smarttools
zur Wunscherfüllung. “Wearables”, Computer als Kleidung, sollen ihren
menschlichen Trägern nicht nur die Kommunikation erleichtern, sondern plädieren
für das schwerelose Leben im Datenraum, der den Realraum überlagert bzw.
durchdringt. Das Verschwinden sperriger Technologie aus dem Leben ist eine
Kondition, die der Allgegenwart und Aufdringlichkeit der frühen
Industrialisierung durchaus fremd ist.
II.
Die Naturbeherrschung der Erlebnisgesellschaft
In
der neuen Naturbeherrschung durch Technik, zumindest aber in ihren
Versprechungen, wird nicht weniger verfolgt als die Austreibung der Natur
zu Gunsten einer technologisch abgesicherten Verfügbarkeit von Welt. Das
gilt nicht nur für die Telematik, die aufwändige Körperbewegungen
ersetzt und paradigmatisch in jener beseelenden Werbung für ein
Internet-Modem zum Ausdruck kommt: "Smart, leicht und sexy".
Auch Freizeit- und Themenparks mit immer besonnten Kunststränden oder
kunstschneebedeckten Abfahrtspisten simulieren eine Natur, die sich ihrer
Unberechenbarkeit entwunden hat, gleichermaßen unmittelbare Funktion und
schmerzfreie Ästhetik garantiert. Der Universalismus der unmittelbaren
Bedürfnisbefriedigung in künstlichen Umwelten ist zum dominanten
Erlebnisstandard der Gesellschaft geworden.
Naturbeherrschung
ist schon in der Frühzeit durch die Rivalität des Menschen mit der Natur
geprägt.
Mit immer größeren Siegen über natürliche Unbotmäßigkeiten folgt der
Mensch dem „Prinzip Hoffnung“, das Paradies, mindestens aber seinen süßen
Vorgeschmack, schon im Diesseits Menschen verfügbar zu machen. “Naturbeherrschung
schließt Menschenbeherrschung mit ein”, warnte Max Horkheimer
und formulierte damit eine Gesellschaftskritik, die nicht nur den
Marxismus, sondern diverse technopessimistische “Leid-Motive” prägte.
Einen
geläufigen Ausdruck fand die Unterwerfung des Subjekts unter eine
schlecht oder nicht beherrschbare Technik etwa in Charlie Chaplins
“Moderne Zeiten” (1936) oder ähnlich in Jacques Tatis
antimodernistischer Anklage „Tatis herrliche Zeiten“ (Original:
Playtime, 1967). Danach wird der Mensch von seinen Maschinen, Apparaten
und ihren enttäuschten kybernetischen Versprechen erfasst. Jacques Tati
beerdigt den Fortschritt in der Metapher des Kreisverkehrs, der kein
echtes Fortkommen mehr verheißt.
Die
Beherrschung der Natur im Menschen selbst, die Horkheimer beobachtete,
erscheint wie eine vorgeschichtlich aufgebürdete Hypothek, die im Laufe
der menschlichen Naturaneignung abbezahlt wird, um wieder in das Paradies
des nicht vergesellschafteten, von symbolischer und realer Herrschaft erlösten
Menschen zu gelangen. Der schmerzliche Prozess der Unterdrückung der
inneren Natur, um dieses soziale Großprojekt umfassender
Naturbeherrschung zu Ende zu führen, ist ein geschichtlicher Abschnitt,
dessen Ende nicht mehr in der Auflösung von Klassengesellschaften oder
der Kollektivierung der Produktionsmittel gesehen wird. Sollten wir in
einem künstlichen Reich virtuell willfähriger Objekte von sinnloser
Arbeit, Mühsal und allen übrigen Zwängen befreit werden? Hat nicht
gerade die Anpassungsfähigkeit der Technik, ihre Geschmeidigkeit gegenüber
menschlichen Bedürfnissen, ihre ergonomische Einrichtung zu Gunsten der
menschlichen Physis sich als das mächtigste Motiv ihrer Schöpfungen
jenseits ideologischer Verfassungen erwiesen? Sind die behebbaren
Verfehlungen der Maschinen, Apparate, Gadgets nur ein notwendiges
Durchgangsstadium vollständiger Ablösung der Natur in einer durch und
durch artifiziellen Welt, die sich wie eine zweite, diesmal aber
schmerzfreie Natur mit dem Menschen verbindet? Das neue Prinzip Hoffnung läge
dann nicht mehr im Glauben an die Aufklärung des Menschen im Umgang mit
der von ihm geschaffenen Natur, sondern im Potenzial der technischen
Konstruktionen, sich immer störungsfreier in die menschlichen Lebensvollzüge
einzurichten.
Die
Versprechen der Technologie wurden bisher in der Tücke des Objekts, in
der "Rache" der Technik, in den diabolischen Katastrophen der
kleinen und großen Helfer immer wieder enttäuscht. Wäre dagegen die
echte kopernikanische Wende erst jene, die den Menschen von seinen schöpferischen
Allmachtsfantasien befreit, um ihn wirklich zum Subjekt der Technologie
werden zu lassen? Der Mensch begibt sich seines Anspruchs auf
Naturherrschaft, die ihn auf Jahrtausende immer wieder in die
unbefriedigende Dialektik von Herrschaft und Beherrschung geschickt hat
und er vertraut darauf, dass die “zweite Natur” die erste vollständig
verdrängt. Die Frage des Vernunftgebrauchs ist dann nicht länger
Angelegenheit des so fehlsamen transzendentalen Subjekts, sondern vertraut
sich den mächtigeren Agenten einer selbstläufigen Technik an: "Die
Computerrevolution besteht im wesentlichen darin, dass die Last unseres
zukünftig zu produzierenden Wissens über die Welt von den menschlichen Köpfen
auf künstliche Maschinen übergeht."
In dieser Revolution liegt noch keine Morallehre, die auf posthumane Zustände
einer darwinistischen Maschinenwelt vertraut, auch nicht auf Menschenparks
oder andere Supertechnologien, die den Menschen mit der natürlichen
Evolution austreiben. Die Verdrängung der unbotmäßigen Natur wäre
nicht länger nur ein instrumentelles Begleitprogramm des immer aufgeklärteren
Menschen, sondern das primäre Ziel der Welterschließung im Selbstvollzug
der Technik, von der José
Ortega y Gasset gesagt hat, sie sei die „Erzeugung des Überflüssigen“.
III.
Die Glücksversprechen der Virtualität
"Instantaneität"
und “Usability” sind die großen Glücksversprechen der virtuellen Frühzeit,
nachdem die ideologischen Weltentwürfe des besseren Lebens, die großen
Utopien, aber auch die kleinen Erzählungen und Dekonstruktionen so stumpf
bis nichtssagend geworden sind. Hatten Utopisten jedweder Provenienz nie
behauptet, dass der Weg zum Heil eben sei, wird heute das Versprechen der
mühelosen Welterschließung zum lauttönenden Warenzeichen von Smartlife.
Wunder dauern zwar auch in Zeiten virtueller Instantaneität etwas länger,
aber das Ende der Mühsal, der Konsum jenseits der Arbeit, die Austreibung
widriger Natur sind nun Programm. Meinte Lenin noch den Kommunismus als
"Sowjet plus Elektrifizierung" definieren zu können, um damit
wenigstens die Grundlage für ein menschengerechtes Reformdesign zu begründen,
wenn schon die Reform des Menschendesigns auf sich warten ließ, gilt
jetzt: Ergonomie statt Ideologie, Konsum statt Arbeit, Instantaneität
statt Triebaufschub, Funktion statt Zweck. Eine virtuelle Urbanität soll
alle menschlichen Versorgungswünsche, so intrauterin und uneinlösbar sie
auf den ersten Blick erscheinen mögen, unmittelbar befriedigen. In der
Standardisierung des Bequemlichkeitsniveaus werden auch die Grenzen
zwischen "Heimat" und „Fremde“ unkenntlich gemacht. Wir
richten uns nicht mehr in der Fremde ein, sondern die Fremde wird so
eingerichtet, dass sie ihre Differenz, ihre überschießenden Erfahrungs-
und Erlebnisgehalte verliert. Andy Warhol hielt McDonalds für das an
jedem Ort der Welt Schönste. Und nirgends sonst liegt das Erfolgsrezept
der Willkommenswelt in der relativen Unabänderlichkeit der stereotypen
Szenarien. So bietet dieser neokoloniale Touristenstandard selbst in
Hungerländern eine moralisch weit gehend unberührte Welterschließung,
die keine Erfahrungsbrüche und Bequemlichkeitsverluste mehr zulassen
will. Während die Gesellschaftstheorie den Verlust des Einheitsprinzips
beklagt, ist der Universalismus der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung längst
zum Erlebnisstandard der Weltgesellschaft geworden - eben des Teils dieser
Gesellschaft, die es sich leisten kann.
„Usability“
in diesem weiten Sinn eines ideologiefreien Glücks macht sich indes längst
verdächtig, den Gebrauch des Gebrauchs wegen, die Funktion der Funktion
wegen zu propagieren. Der Zweck heiligt jedenfalls nicht die Mittel, wenn
Kinder sich an den Klingeltönen ihrer Handys erfreuen, CDs mit ein paar
Hundert "Gratis-Top-Tools" an den User ausgeliefert werden. Fast
möchte man schon an die Geburt des Virus aus dem Geist des Virenscanners
glauben, wenn es nicht anlässlich des "I-love-you-Virus" von
den einschlägigen Softwareproduzenten so einmütig dementiert worden wäre.
Die Fetischisierung des Gebrauchs um des Gebrauchs willen erleben wir etwa
in der neuen SMS-Herrlichkeit. So werden die rasenden Kurzformeln von
Liebe und Alltäglichkeit ausgetauscht, ohne uns glauben zu machen, die
Kommunikation mit Hilfe dieses paramilitärischen Blitzinstruments wäre
je mehr als sekundär gegenüber der einen aufdringlichen Botschaft: Es
funktioniert!
Weniger
scheint hier aber das Medium die Botschaft zu sein als seine zweckfreie
Funktion der Beweis für die Verfügbarkeit der Welt. Auch die schon länger
grassierende Handy-Manie zielt nicht auf die kommunikativ entfesselte
Gesellschaft, die sich der vormals beschworenen Vereinzelung der Großstadtexistenzen
zu entziehen scheint, sondern auf das verzögerungslose Glück, Herr über
tausend und mehr Funktionen zu sein. Die neue Unübersichtlichkeit des
Funktionenreichtums überkommt uns aber - den Werbeversprechen gemäß -
nicht als Plage, als informationstechnologisch zu behebender Missstand,
sondern als die vorläufig letzte Transzendenz einer nicht länger
metaphysisch rückversicherten Welt.
Wenn
ein neues Menschenrecht für spätmoderne Zeiten genannt werden müsste,
dann hat das Recht auf instantane Befriedigung die größten Chancen, in
eine virtuelle Menschenrechtsverfassung aufgenommen zu werden, da es ja
hier um nichts weniger als die zukünftige Verfassung des Menschen selbst
geht. Das ist aber nicht länger der aufgeklärte Mensch des aufrechten
Gangs, sondern das technologisch rundumversorgte Wesen, das bis in die
biologischen Widrigkeiten seines Körpers das perfekte In-der-Welt-Sein
verlangt. Martin Heideggers "Sorge um sich selbst" hat sich
damit scheinbar in der technisch abgesicherten intrauterinen Glückseligkeit
endgültig erledigt.
1883
"widerlegte" Paul Lafargue das "Recht auf Arbeit" mit
seiner kleinen Abhandlung "Le droit a la Paresse" (Das Recht auf
Faulheit). Der Schwiegersohn von Karl Marx und Vorkämpfer des Marxismus
in der französischen Arbeiterbewegung konstatierte eine seltsame Sucht
der Arbeiterklasse aller Länder: Die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis
zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende
Arbeitssucht. Lafargue glaubte, dass alles individuelle und soziale Elend
einer unseligen Leidenschaft für die Arbeit entstamme. Die blinde,
wahnsinnige und menschenmörderische Arbeitssucht habe die Maschine aus
einem Befreiungsinstrument in ein Instrument zur Knechtung freier Menschen
umgewandelt. Das gleichwohl in keiner Verfassung je verankerte Recht auf
Faulheit mutiert jetzt zu dem Recht auf die verzögerungslose Verfügbarkeit
der Welt. Die Touchscreenwelt zwischen vollautomatisiertem Restaurant,
avatarieller Internetbegleitung, emotional äquilibriertem Smartheim und
biotechnisch aufgerüstetem Körper duldet keinen Aufschub.
Frustrationstoleranz wird in den Visionen der Bequemlichkeitswelt nicht länger
gewährt, obwohl bekanntlich die "körperliche" Züchtigung von
Heimrechnern noch als Überlaufventil des vor der Technik erliegenden
Nutzers gilt und sich insoweit auch der Aneignungsterminus “Personal”
Computer erklärt.
Die
vormaligen Gesten des Müßiggängers, des Dandys mit der Schildkröte,
der um die zweckfreie Wahrnehmung besorgten Flaneure des 19. Jahrhunderts
richteten sich gegen das vorgeblich menschenverachtende Tempo der frühindustriellen
Urbanität. Hier regte sich früher Widerstand des gemächlichen Körpers
gegen eine technisch beschleunigte Zeitherrschaft, die dem Menschen immer
neue Eigenzeitverluste abforderte. Die neue Bequemlichkeitswelt dagegen
setzt gerade auf eine beschleunigte Technik, um das Menschenrecht auf
Instantaneität schon morgen einzulösen. Vom Knopfdruck zum Erfolg, vom
virtuellen Reißbrett zum Realisat verliert die Welt- und
Naturbeherrschung ihren mühseligen Aneignungsmodus zu Gunsten eines
allgegenwärtigen Welcome-Modus, der während einer Lebenszeit nicht mehr
unterbrochen werden soll. Es ist kein emotionaler Platz mehr für Widerstände
der Natur, für unberührte Oberflächen, für quälend uneinlösbare Wünsche
- es sei denn, sie sind kurzfristige Ausflüge in die Natur mit der
jederzeitigen Garantie zurückzukehren. Das neue Einvernehmen mit der Welt
zielt letztlich auf die Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spannungen, die jeden
klassischen Weltbezug immer unabsehbar machten. Sensible bis servile
Benutzeroberflächen begegnen uns daher im aufdringlichen Höflichkeitsmodus
- so unerträglich erträglich wie der devote Roboter im "Bicennitential
Man". Die elektronische Freundlichkeit nimmt uns auch noch den
letzten Glauben, dass das servile Ding ein gut maskierter Widersacher des
Menschen in seinem "Lebensglück-Haus"
sein könnte.
Tools
mit funktionalen und ergonomischen Versprechen ersetzen jene Gesten, die
zuvor erlernt werden mussten, um den Widerstand der Objekte zu brechen,
sie geschmeidig und beherrschbar zu machen. Die gestische Verarmung von
Kindern bis hin zur Unbeweglichkeit des telemobilen Herrschers scheint es
überflüssig zu machen, noch länger ein sinnhaftes Repertoire von Gesten
zu ermitteln, die in einer Lebenszeit erarbeitet werden müssen. Ohnehin
sind die vormaligen Demarkationslinien zwischen Maschine und Mensch in so
unabsehbare Bewegung geraten, dass der Unterschied zwischen Natürlichkeit
und Künstlichkeit selbst künstlich wird.
So
sitzen inzwischen in dunklen Kinoräumen SMS-Gläubige, die blind ihre
Botschaften in winzige Manuale tippen, als müsse der Beweis geführt
werden, dass die Telefonie von der beiläufigsten Telepathie bereits
ersetzt wurde. Aber welcher Gestus, welche Beherrschungsweise besitzt in
einer rasenden Apparatekultur überhaupt noch eine erträgliche
Halbwertszeit? Vilém Flussers Plädoyer für eine Phänomenologie der
Gesten, um einen neuen Freiheitsmodus zu entwickeln, droht vergeblich zu
sein, wenn jede sinnorientierte Einrichtung ins Bestehende nur noch die
Antiquiertheit des Users anzeigt.
Gegenwärtig
sind Verluste des Körpergefühls, Systemabstürze, Abhängigkeitsgefühle
der Users allerdings weiterhin diabolische Störfaktoren der elektronisch
generierten Willkommenswelt. In der Autonomie der Knopfdruckherrschaft
wurde eine simple Dialektik eingebaut: Je mehr Beherrschungssysteme
Menschen autonom machen, je abhängiger wird der Mensch von eben diesen
Systemen und ihren Störungen. Mit dieser verstörenden Autonomie
verbindet sich die wachsende Autonomie der digitalen Zauberlehrlinge. Ihre
Eigenwilligkeit, nicht länger als Tücke des Objekts zu verharmlosen,
emanzipiert sich zusehends zur Autonomie gegenüber ihren Herrschern.
Während
wir uns im Versprechen der Softwareherrscher und Smarttoolproduzenten im
Welcome-Modus wähnen, provoziert dieser Modus längst unsere Gemächlichkeit:
Es ist so unbequem, in bequemen Verhältnissen zu leben, weil unser
Handeln permanent gefordert ist. Weniger information overload als die
immer provozierte Reaktion auf die Anmutungen der
Bequemlichkeitstechnologien wird zum Problem. In dieser Allverfügbarkeit
wird die Ansprache durch die elektronischen Helfer zum Zwangsgespräch mit
einer Technik, so human und benutzerfreundlich sie auch vordergründig
erscheint.
Schon
regt sich daher in der durch Tools und Gadgets aufgezwungenen Immobilität
der Widerstand gegen die Widerstandslosigkeit der so smart gewordenen
Umwelten. Völlige Reibungsverluste erfüllen sich zuletzt nur in der
Existenzlosigkeit. Allein Tote sind eben nicht leidend. Folgerichtig
werden die Widerstände der Natur, ihre raue Unwirtlichkeit, ihre
abweisenden Seiten inzwischen beschworen, in den neuen Extremsportarten
von "rafting" bis "free climbing" hofft der zur
Bequemlichkeit verurteilte Konsument auf die Wiederkehr der ausgetriebenen
Wildnis. Alle diese Revisionen und Beschwörungen der verdrängten Natur
sind Simulationen, die sich nicht länger in zweckhafte Lebensvollzüge
stellen: Der zweckfreie Körperpalast im Bodybuilding, die zwecklose
Geschwindigkeit im Sport. Nicht von ungefähr wirbt Wolfgang Petersens
Miniaturapokalypse "Der Sturm" mit dem Slogan: "Natur ohne
Gnade". Das zielt nicht mehr auf das romantisierende "Zurück
zur Natur" Rousseaus, auf die Geborgenheit, die die Natur spendet,
sondern auf die alte hässliche, weder durch Muskelkraft noch Technologie
zu domestizierende Natur. Nicht die kleinste Ironie liegt jedoch darin,
dass auch diese cineastischen Wildheit wesentlich virtuell generiert
wurde.
Folgerichtig
lassen auch die Animations- und Spieleindustrien die Feindseligkeit der
Welt wieder zum Unterhaltungsprogramm werden. Auf die Austreibung der
Natur, auf den tendenziellen Verlust ihrer realen Bedrohungen antworten
nun virtuelle Monstrositäten und Höllen. In der bemühten
“Alienisierung” des Virtuellen an den allgegenwärtigen Orten des
Massakers von Quake III, Doom bis Counterstrike wird das endlos repetierte
Konsumversprechen "You are welcome" spielerisch und vor allem
schmerzfrei geleugnet, um es damit gerade als alternativenloses "In-der-Welt-bequem-Sein"
zu bestätigen.
Denn
nie wird bei den Gegenbewegungen wider Smartworld die Einrichtung in der
Welt, ihre Verbequemlichung in Zweifel gezogen. Auch der Cyberspace,
politisch, sozial, ökonomisch und moralisch gefordert, läuft Gefahr, zum
Land einer fragilen Freiheit zu werden, die auf der Schwundstufe der
freien Verfügbarkeit niedrig gehalten wird gegenüber den bürgerlich-revolutionären
Visionen, als die barbusige Freiheit noch mit einiger Anstrengung auf die
Barrikaden ging.
Heute
gilt schlaraffisch: freeware, freemail, freenet, freecall, free download. So
werden die Freewareangebote zu digitalen Ködern für User, denen die
vormaligen Differenzen von Kauf- und Tauschgesellschaft, Arbeits- und
Freizeitgesellschaft nichts mehr gelten. Ecommerce denunziert selbst den
"unit act" der Wirtschaft, die Zahlung für eine Leistung, um
die ganze Welt als Präsent des Konsumenten vorzustellen. 25
Email-Adressen als Beipack des Flatrate-Tarifs stillen aber nicht den
richtungslosen Kommunikationshunger des Users, sondern sind die Quittung für
den Schlaraffengeist, der die bequeme Funktion sucht, was immer auch sie
zu bewirken vermag.
Die
Smartphilosophie des Netzes kompensiert, was in den noch nicht virtuell
befriedeten Orten von "real life" nur über tausend Widerstände
erreichbar wäre. In Internet und „Digital Business“ entstehen fortwährend
vermeintliche Entschädigungsinstanzen für die Widrigkeiten einer realen
Entbehrungsgeschichte, der nun endlich schwerelose Existenzen folgen
sollen. "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt" - könnte
zum virtuellen Imperativ von Smartworld avancieren.
Die
Alternativität von künstlichen Umräumen ist ein altes Künstlerthema.
Ob bühnenhafte Barockgärten, Kurt Schwitters „Merzbau“, frühe
Fernseh-Environments von Nam June Paik, alle diese artifiziellen Umräume
zielten immer auf das Imaginäre, wollten den verdrängten Traum oder das
Begehren retten, die in der schnöden Ausgangswelt wegrationalisiert
wurden. Jean Baudrillard sprach noch vom funktionellen Rausch, in dem die
alltäglichen Gegenstände vom Imaginären erfasst werden. Smartworld
verwandelt sich demgegenüber in eine luxurierende Angebots- und
Befriedigungswelt, die nicht länger auf das Imaginäre nur spekuliert.
Die gewährende Natur wird unabänderlich in eine überquellende
Techniknatur verwandelt, die das Imaginäre mit dem Realen verschmelzt.
Das Objekt von Smartworld ist danach auch nicht das "objet révolté"
der Kunst, das als museales Readymade sich aus seinen Funktionszusammenhängen
befreite, sondern das polyfunktionale Instrument, das alle Glücksversprechen
dieser Erde zusammenfasst. Vielleicht bauen wir also weniger an einem
"global brain" als an einer technobuddhistischen Wunschmaschine,
die uns in den intrauterinen, aber bewusstseinsschwachen Zustand immer währenden
Wohlbefindens zurückführt.
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