Schönheit
als Ideal und Schönheit des Ideals stehen nicht erst seit gestern unter
paradoxem Rechtfertigungszwang. In einer technologisch beschleunigten
Welt, die ihr zeitgenössisches Ideal in hypertrophen Bildwelten findet,
wurde Schönheit zu einer fragilen Kategorie. Wer das Schöne sucht, macht
sich verdächtig, einer katastrophischen Welt zu fliehen, die hässliche
Wirklichkeit zu entwirklichen. Zugleich aber imprägniert das Ideal des
Schönen unsere Trivialmythen, terrrorisiert unsere Selbstbildentwürfe,
bleibt Desiderat einer selbstberauschten Kultur, auch wenn die neue Schönheit
nicht länger in der platonischen Dreifaltigkeit des Wahren, Guten und Schönen
geborgen scheint.
Albrecht
Dürer befand nach zahlreichen
Proportionsstudien im Windschatten der italienischen Renaissance, er könne
nicht sagen, was das Schöne sei. Dürers
Frauenkörper lassen den heutigen Betrachter spöttisch beipflichten,
indes seine Zeichenkunst besaß die schöne Linie, unser ästhetischer
Spott reicht an die Apokalypse, die ästhetische Offenbarung des
Zeitgeistes, nicht heran. Nun stellt sich retrospektiv die Frage, ob dem
Schönheitssucher Dürer nicht
ein Kategorienfehler unterlief. Gehorcht die Schönheit dem Begriff oder lässt
sie sich nur in bester augustinischer Tradition zeigen, exemplarisch,
individuell, historisch, kontextuell? Dürer
folgte dem zeitgenössischen Ideal des Künstlers, die Schönheit als
Ideal zu fixieren, ihr Ewigkeit und Wiederholbarkeit beizumessen. Aber
Proportionen erwachsen nicht zur Schönheit. Allenfalls sind sie das
Skelett der Schönheit, Lehm wird erst durch den Demiurgen zum Fleisch.
Die Qualität des Schönen transzendiert die Proportion um jenes Moment,
das die idealistische Ästhetik im Nichtsagbaren, im Erhabenen, kurz im
Geheimnis ansiedelte. Wir könnten Dürers Bemühungen um das Schöne ruhen lassen, wenn unsere Schönheit
nicht länger dem Begriff, sondern der Uneinlösbarkeit des Ideals folgte.
Das
Ideal des Schönen hat in der Verschränkung mit dem Wahren gelitten.
Idealisierungen, die dem schlechten Bestehenden das philosophische Make up
verpassen wollten, opponierten just jener Wahrheit, die sie doch einlösen
wollten. Das hat schon Platon
auf Umwegen über den „Doppelschein“ der Kunst erkannt. In der Idee
des Idealen zog die Schönheit gegenüber der Wahrheit allen
idealistischen Versöhnungsversuchen zum Trotz immer den Kürzeren. Am
Anfang war der Logos, nicht die Schönheit. Schillers
Poem „Das Ideal und das Leben“ verordnete dem Leben die Maxime:
„Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben,/Werft die Angst des
Irdischen von euch,/Fliehet aus dem engen dumpfen Leben/In des Ideales
Reich!“ Aber das Schweben über den Verhältnissen verändert die
Wahrnehmung, ist nur zu dem Preis möglich, dass die Verhältnisse sich
verkleinern, bis sie schließlich im Ideal hinter der drückenden Existenz
verschwinden. Kühn behauptet Schiller:
„Und beharrlich ringend unterwerfe/Der Gedanke sich das Element./Nur dem
Ernst, den keine Mühe bleichet,/Rauscht der Wahrheit tief versteckter
Born;/Nur des Meißels schwerem Schlag erweichet/Sich des Marmors sprödes
Korn.“ Das Ideal mutiert zu einer Konstruktion des Begriffs, der sich
die Materie unterwirft, um eine Wahrheit zu schöpfen, die tief versteckt
ist. All das ist höchst unsinnlich, wie Schiller
konzediert: „Aber flüchtet aus der Sinne Schranken/In die Freiheit der
Gedanken.“ Das Ästhetische ist für den treuen Kantadepten die
Durchgangsstation vom Sinnlichen zur Erhabenheit der Vernunft. Auch wenn Schiller
die kantische Vernunfttotalität in der Sinnlichkeit vermittelt, führt
ihn doch kein Weg vom Reich des Ideals zurück in das Reich der Sinne. Schelling
geht diesen Weg zum Alltäglichen zurück, um den ganzen Menschen wieder
zu finden, da die dünne Luft des Ideals nur wenigen zugänglich sei. Hegel
schließlich hat Schellings
Totalästhetisierung der Vernunft beschieden, die Nacht zu sein, in der
„alle Kühe schwarz sind“. Hegels
Dialektik versucht gegen Schellings
„Anschauung“ die imperiale Vernunft zu retten, ohne das Sinnliche
aufzugeben. Freilich verordnet er dem „sinnlichen Scheinen der Idee“
in der Entfaltung des Geistes eine der Vernunft untergeordnete Position,
um es schließlich ganz verschwinden zu lassen. Nietzsche
schließlich schlug sich auf die Seite des Sinnlichen, ohne länger dem
Terror des philosophischen Ideals ausgesetzt zu sein.
Hier
beginnt die Geschichte der Moderne. Es ist die Geschichte der paradoxen
Entidealisierung des Schönheitsideals. Paradox, weil weder das Ideal Schönheit
noch die Wirklichkeit des Hässlichen aufgegeben werden, sondern in
komplexer Weise zueinanderstreben und sich wieder fliehen. Marinetti zog ein Rennauto der Nike von Samothrake vor, Breton
zufolge sollte die Schönheit wie ein Beben oder gar nicht sein, Abfall
und Schrott, Inbegriff des Nichtschönen, wurden schließlich von Dada,
Pop, Arte povera zu einer Schönheit nobilitiert, die gleichermaßen Hässlichkeit
und vanitas in ihren Geltungsanspruch aufnahm, ohne an sich selbst irre zu
werden. Im Grunde finalisiert die Moderne den deutschen Idealismus, in dem
sie in ihrem säkularisierten Ideal, Schönheit und Hässlichkeit zu einer
zuvor schon von Karl Rosenkranz
ansatzweise beobachteten Ästhetik des Hässlichen vermittelt. Die Hässlichkeit
widerstreitet nicht der Schönheit, sondern wird getreu der Dialektik zu
ihrem integralen Moment. Karl Kraus
dekretierte, dass ein gut gemalter Rinnstein allemal einen schlecht
gemalten Palast ästhetisch übertrifft. Dieser archimedische Punkt
moderner Kunstbetrachtung machte klar, dass das Sujet gegenüber seiner
Formalisierung bedeutungslos ist. Gleichwohl entfaltete sich diese
Wahrheit - vorzüglich, aber unabschließbar in Walter
Benjamins Passagenarbeit - in
einem viel umfassenderen Sinne, als es das Rangverhältnis von Form und
Inhalt fasste. In einer idealistisch ernüchterten Hermeneutik, in der
Allegorie der materialistischen Neuordnung der Welt, wurde nachklassisch
gerade das idealisiert, was zuvor durch den Rost der Geschichte, in den
Rinnstein des Zeitgeistes, in die Bedeutungslosigkeit des
Nichterinnerbaren gefallen war. Das Hässliche war nicht länger nur
Negativform des Schönen, um es besser strahlen zu lassen, sondern wurde
in der Wahrnehmung einer paganen Heilsgeschichte gerettet - „ja kurz,
wenn wir die Welt aufmerksam sehn,/Ist sie zu allen Zeiten schön“ möchte
man mit Barthold Hinrich Brockes - gegen den Strich gelesen - behaupten.
Aber
auch Rettungsversuche und Revolten der Avantgarde verdrängten das aufgeklärte
Schöne nicht aus seiner imperialen Stellung, sondern rüsteten es gegen
einen zynischen Zeitgeist auf. Der paramilitärische Sturmlauf gegen die
Idealität des Schönen war mithin heftig, das Schöne anverwandelte sich
dem Hässlichen, aber die Kategorie des Schönen, durchbrochen von den
Schocks einer entzauberten Welt, leuchtete hinter dem Horizont künstlerischer
Verweigerungen wieder auf. Idealisierung veränderte sich zur paradoxen
Rehabilitierung des Verfemten. Das Hässliche ist die Negativform des Schönen,
es kann aber auch in einer durchdringenden Wahrnehmung den Status des Schönen
erlangen. Wichtiger als das begriffliche Vexierspiel der Schönheit wurden
aber die institutionellen Folgen, die unsere Spätmoderne noch
beherrschen. So endete die Avantgarde in einem musealen Reästhetisierungsprozess,
der Duchamps „fontaine“ oder
Schwitters Abfallcollagen
solange mit entidealisierter Schönheit auflud, bis sich der heilige
Schauder des Erhabenen in der Kunstschau wieder einstellte. Die von Danto
ermittelte Verklärung des Gewöhnlichen, die paradoxale Erhabenheit der
inaugurierten Alltäglichkeit wurde schließlich zum Prinzip postmoderner
Ästhetik erkoren - unweit neben der verstörenden Erzählung von des
„Kaisers neuen Kleidern“. Vielleicht noch folgenreicher war aber der
paradoxe Rangstreit der Kunstwerke im Museum selbst. Die Nike von
Samothrake überholte im historischen Wettrennen wie die Häsin den Igel
das futuristische Rennmobil, dem nur ein chancenloser Feuerlauf gewährt
wurde, um als Fossil einer autokannibalischen Technikgeschichte zu enden.
Die
postmoderne Ästhetik hat schließlich radikal Intensität als Modus der
Schönheit beschworen - antiplatonisch, provokativ, paradoxal, modal
sollte die Schönheit wider ihren alten philosophischen Anmutungen sein.
Aber das war nur die Konsequenz einer verwirrenden Begriffsgeschichte, um
den Frieden im Lager des gespaltenen Ideals wiederherzustellen.
Wie anders sollte sich auch die Kunst anderer Systeme erwehren, die
längst einen bunte Vielfalt ihrer traditionellen Funktionen - Magie,
Kult, Aufklärung, Wissenschaft - usurpiert hatten? Nur in dem Code „schön/nicht
schön“, später „passt/passt nicht“ reproduziert sich die Kunst Luhmann
zufolge als geschlossenes System gegenüber ihrer Umwelt. Kunst ist danach
ein Subsystem der Gesellschaft, dessen Ideale nur in ihren eigenen
Codierungen verhandelt werden können. Mit anderen Worten: Kunst ist
Kunst, weil sie Kunst ist. Diese Feststellung ist indes alles andere als
trivial, weil diese Kunst ihre eigene Begriffsgeschichte in die Kunstwerke
hineinkopiert. Sie verhandelt ihren Begriff im Werk, ohne länger als Magd
der Wahrheit zu dienen.
Auch
wenn das neue Schöne damit nicht länger jene Facette der trinitas sein
will, verliert sich sein Begriff nicht in diesen Aufklärungsgeschichten.
Wir bestreiten die Ewigkeit des Ideals, wir schreiben es subjektiv und
situationistisch zu, konturieren seine gesellschaftlichen Grenzen, aber
das tausendfach mutierte Schöne verschwand nicht wie eine vorübergehende
Spur im Sand der Geschichte. Ob nun das Ideal der Schönheit oder die Schönheit
des Ideals, unsere idealistische Tradition scheint sich allen
Anstrengungen zum Trotz nicht im interesselosen Wohlgefallen aufzulösen.
Aporetisch wurde uns, dass wir das Schöne in seiner Geltungssphäre immer
noch sehen, es wider jede Vernunft als Begriff fortführen, aber sein
Geheimnis nicht ergründen können.
Aber
was wäre, wenn das Schöne kein Geheimnis hat, sein Wesen nur Oberfläche
wäre, der Begriff des Schönen sich selbst bestreitet? Wir stoßen hier
auf das letzte Paradox der Schönheit: Wenn die Begriffsgeschichte des schönen
Scheins selbst nur Schein wäre, würde sich zuletzt die Schönheit gegen
ihren eigenen Begriff durchsetzen. Ihr Wesen als Schein würde sich als stärker
erweisen als ihr Begriff. Eine paradoxe Ästhetik, die den begriffslosen
Begriff der Schönheit entfaltet, ist noch zu schreiben - vielleicht holt
sich der Verstand aber auch nur weitere Beulen, wenn er gegen die Mauern
dieses Scheins läuft.
Goedart
Palm
C.
1998
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