Schlecht unterrichteten Kreisen zufolge
hat der Belgrader Pate einen kitschtriefenden Öldruck über seinem rotem Diwan hängen:
Eine engelsgleiche, jungfräuliche Serbin reicht dem klassisch makellos
dahin gestreckten,
weil sterbenden Serbenhelden Lazar den letzten Trunk, rechtzeitig als Stärkung zum
ersehnten Aufstieg auf der Jakobsleiter, hinauf in die Gefilde der Seligen. Welch eine
Mixtur!
Wir reden nicht allein vom Wein. Amselfelder ist alles
andere als ein süffiger Jahrgang für Stadtberber. Der Mythos der Amselfeldschlacht 1389
ist mehr als ein Stock umkämpfter roter Reben, er ist durchtränkt vom Blut des
osteuropäischsten Heldentums, das je im inbrünstigen Glauben an die Fiktion einer
eigenen Großnation, ein Bollwerk des Fanatismus und eine Trutzburg der Patri-idioten
mitten im balkanischen Völkergemisch zu errichten bestrebt war! Heiliger Boden ist
hochexplosiv, vermint mit kollektivem Größenwahn und antihumaner Ignoranz. Blut und
Boden - davon verstehen wir was. Leider.
Wer heilige Erde befleckt, und sei es durch bloße
Anwesenheit, wird im historischen Quellgebiet serbischer Pracht und Herrlichkeit zur
Unperson. Wer sich an fremdem Lehm vergreift, muss mit sofortiger Exterritorialisierung
oder Exterminierung rechnen. Also ab ins Nachbarland oder gleich in die Ewigen
Jagdgründe. Die Kosovaren bedrohen den heiligen Mythos der großserbischen Nationalisten,
die in einem Atemzug behaupten, würdige Kommunisten in Geiste des
Generalamselfeldmarschalls Titos zu sein. Seinerzeit lernten wir, der Kommunismus hätte
die Rechte der Ausgebeuteten auf seine roten Fahnen geschrieben. Von Blut war nicht die
Rede. Wir lernten, der Kommunismus wäre ein internationaler Segen oder eine
internationale Gefahr - je nach teutonischem Teilstandort. Nationale Restpostenverwaltung
jedenfalls stand nicht im Parteiprogramm roter Revolutionäre. Auf die Weltrevolution ist
jedoch genau so viel Verlass wie auf Fünf-Jahres-Pläne. Die letzten Heiligen des
Kommunismus sind blutige Vorgartenbesitzer geworden, die von der Welt unbeachtet ihre
landeseigenen Leichen verscharren wollen. Um nichts in der Welt wollen sie dabei von der
Welt gestört werden.
Als der Hl. Bonifatius im christlichen Glauben die
Heideneiche fällte, ging er einen Schritt zu weit. Und so wurde er anschließend selbst
gefällt. Viel Einsatz für das bisschen Holz. Aber damit musste er rechnen, denn er war
alles andere als ein Dünnbrettbohrer. Nur durch die Axt des Zimmermanns wird man zum
kreuzwürdigen Märtyrer, zur Fleisch gewordenen Ikone des Siegeszeichens jener Bewegung,
die als Verfolgte begannen und als Verfolger reüssierten, um Jahrhundert für Jahrhundert
die allgemeine, katholisch-kommunionistische Menschenliebe durch Wort und Tat, Schrift und
Schwert, Wunder und Wunden zu verbreiten. Durch Inquisition und vatikanische
Zentralverwaltung wurde das errichtete Königreich auf Erden abgesichert. Und nun konnte
man sich in päpstlicher Gelassenheit auf dem ganzen Erdkreis vornehm zurückhalten und
beim Holocaust höflich-human darauf achten, Nazis und andere Bösewichte nicht weiter per
Protest anzustacheln, ihr Schandwerk zu überbieten. Diese Friedensbewegung war eine
unbewegliche Tontaube auf dem Dach. Zur Verzweifelung unserer wankelmütigen teutonischen
Ökopaxe lässt dagegen die NATO am aufgerissenen Himmel Südosteuropas den Adler kreisen
und hat den alten antiheidnischen Kampfgeist wiederbelebt, um die Renaissance der
christlichen Kreuzzüge mit Cruisemissiles, Stratofortress, Tomcat, Tornado und Stealth
Arrows aufzupolieren.
Nun ist den Kosovaren in ihrem erdverbundenen Anliegen
mit einem verspäteten NATO-Kreuzzug nicht gedient, zu einem Zeitpunkt, wo die serbische
Blutprozession im vollen Gange, wenn nicht gar schon vollendet ist. Das reißt Löcher in
das Konzept der NATO-Bombardierer, die jetzt immer wütender draufschlagen, ohne dem
Repressor die Hände in Eisen zu schmieden. Das blutige Amselfeld der Serben ist eine
paradoxe Vernichtungszone, wie sie uns im Gegenschlag am Golf erspart blieb. Der neue
Feldzug detonativer Humanität ist der unterdrückten Minderheit zudem nur zufällig
spendiert - nicht alle Verdammten dieser Erde haben gleichen Anspruch auf humanitäre
Erstschläge. Gelegenheit bringt Hiebe. Hutu und Tutsi haben keine Option auf
Hightech-Krieg, die müssen weiter mit der Machete metzeln. Die Völkerrechtler haben sich
jetzt mit den Humanbellizisten verbündet, damit Wesley Clark nicht wie Norman Schwarzkopf
im Coitus Interruptus mit den trotzigen Widersachern vergeblich heiß läuft. Endlich ist
der alte, vom einem nichtvertriebenen Königsberger (dem allzusesshaften Kant des
"Ewigen Friedens") so vehement geächtete Präventivschlag wieder in sein
völkerrechtliches Zwangsrecht gesetzt!
Diese Strategie des NATO-Lehrbuchs will das Morden
verhindern, aber stündlich nährt sich der Verdacht, dass zuletzt nur noch pure
Vergeltung übrig bleibt. No time for "Blitzkrieg", während der
"Slobocaust" in vollem Gange tobt. Die Uhr tickt und irgendwann gibts
nichts mehr zu retten. Trotz der Schnellen Eingreiftruppe ist aus der heiligen noch keine
eilige Liga geworden. Zwar sollen diesmal die Mörder büßen, aber die wahre dritte Stufe
läge allein darin, dass die Opfer vor ihrem Ableben von einer NATO-Chirurgie der
schnellen Skalpelle profitieren. Andernfalls vergehen die Opfer als informatische Rest-
und Störgröße, an der sich die selbstläufige Auseinandersetzung zwischen panserbischer
Aggression und panamerikanisch-europäischer Strafexpedition entzündet. Jederzeit will
die technologische Kampfkraft der Medien und Raketen sich eindrucksvoll unter Beweis
stellen, aber der wird nur erbracht, wenn der Sturm aufs Amselfeld die Geschundenen aus
dem Feuer reißt.
Führer von Nationalstaaten legieren ihr Blendwerk durch
Mythen und Symbole völkischer Gemeinsamkeit. Was anders gäbe ihnen die Chance, ihren
selbstverliebten Führungsanspruch zu behaupten? Die Mottenkisten der Nationalstaaten sind
aber längst leergeräumt. Was ist schon nationale Souveränität wert, die sich auf
Völkermord spezialisiert? Gar nichts! Übrig bleibt der schäbige Bodensatz eines
begründungslosen Nationalstolzes, weil man auf nichts sonst mehr stolz sein könnte. Im
Prinzip interessiert sich aber niemand für das, was der Führer von Belgrad sagt, solange
es nicht ein "Ja" zum Geist von Rambouillet ist. Fraglos ist das kein Vertrag,
weil für Verträge Privatautonomie gilt und die Serben freiwillig, d.h.
gezwungenermaßen, den Kontrakt schließen sollten. Wenn die Tinte nicht fließt, leuchtet
weiter der NATO-Stern-von-Bethlehem über den biblischen Flüchtlingsströmen des Kosovo
auf. So zeigt es das fragwürdige Logo der TAGESTHEMEN, die den Krieg medial nachrüsten.
Aber der Passionsweg dieser Leidenden ist ungewiss, darüber retten keine mediale
Inszenierungen hinweg, die Fakten schlagen durch die Bilder. Längst ist der Exodus nicht
mehr erträglich, wenn Mütter auf der Flucht gebären, Kinder auf der Flucht vor Herodes
an Strapazen sterben und ein Elend gegen das andere eingetauscht wird. Flüchtlingshilfe?
Na klar, Care-Pakete und Zelte - aber schon lassen die Euro-Regierenden verlauten, dass
der Flüchtlingsstrom vor den Toren unseres Wohlstands zu stoppen hat. Serben oder
Kosovaren? Das ist die Frage, die schon keine mehr ist. Europa braucht Menschen, die ihren
Nationalstolz am Eingang des paneuropäischen Multiplex-Circus abgeben. Serbisches
Reisfleisch und Amselfelder gibts ausreichend im Balkangrill.
Slobowitz will den US-Europäern verbieten, den
moralischen Zusammenhang von Recht und Unrecht, Gehorsam und Widerstand,
Staatsangehörigkeit und Provinzautonomie gradlinig zu deuten. Darin erweist er sich als
politischer Heckenschütze, der weiß, dass die Heilige Liga ein fragiler Marktplatz aus
Meinungen, Bedenken und Zaudern ist. "Time is on my side" mag Slobo
klammheimlich mit den Rolling Stones tönen, wenn er die Vorboten der Absetzbewegungen
kriegsmüder Mitgliedsstaaten vernimmt. Nun könnte die Entführung von drei GI´s aber
eine entscheidende Wende in der Kriegsentschlossenheit US-Europas bringen. Auf der
Hightech-Fassade, von der unablässig röhrenden Medienmaschine bislang stets glatt
poliert, erscheinen plötzlich malträtierte Anlitze, die ganz und gar nicht mehr zum
militärischen Reinheitsgebot postmoderner Kriegsführung passen. Das von Slobo
angekündigte Kriegsgericht für die drei Unglücklichen könnte der Infanterie den
nötigen emotionalen Boden bereiten, auch wenn das vietnamesische Albtraumszenario noch
tief in den Knochen der amerikanischen Militärmaschine sitzt. Solange die NATO hochdroben
außerhalb der Reichweite der serbischen Flak SA-6 ihre fliegenden Festungen anrücken
lässt, laufen Bombardierung und Genozid aneinander wie zwei unverstandene Sprachen
vorbei. Und die nacheilenden Botschaften der Medien entleeren sich zu hohlen Phrasen, ohne
semantische Bodenhaftung. Das provoziert den immer lauter werdenden Wunsch nach der
Infanterie: Sie soll diskursive Aufklärung und humanitäre Rettung, insgeheim auch einen
Show-down gemäß den TV-Lektionen von Rambo und Power Rangers bringen. Marschiert erst
die Infanterie in das dunkle Reich König Slobos ein, wird ihm sein Amselfelder Herzstück
entrissen. Steigt Luke Skywalker nun erzengelgleich vom Firmament, um den Serbensturm mit
Flammenwerfer und Laserschwert im Auftrag des Herrn zu strafen - oder versinkt Luke in den
serbischen Sümpfen, im Blutschlamm des Grabenkriegs? Wenn es dazu kommt - wird dann der
russische Bär wach, der schon seine Eismeerflotte auffahren lässt? Oder bläst uns zum
unguten Schluss gar das Halali zum atomaren Armageddon ins dumm gewordene Mediengesicht?
Vorerst bombt die NATO jedenfalls weiter, jetzt auch
zivile Ziele im Visier (Gibts nicht mehr genügend militärische?) - auch wenn die
Ermächtigungsgrundlage der größten Luftarmada seit dem zweiten Weltkrieg eine dünne
Eisdecke ist. Die NATO hat sich durch humanitäre Letztbegründung und ersten
osteuropäischen Erweiterungsschub zur politischen Selbstermächtigungsinstanz gemausert.
Gysi, die Friedenspfeife, hat schon Recht: Wir müssen mit ansehen, dass bestehendes
Völkerrecht und nationales Verfassungsrecht für die Neue Internationale Moral verlassen
werden: Humanitäre Erstschläge unter Verstoß gegen fremde, blutrünstige
Souveränität! Aber wen kümmert das Recht, wenn es um´s nackte Überleben geht?
Oberserbe Slobo ließ indes verkünden, er fürchte weder den Bruder Hein noch den lieben
Gott. Liegt wohl in der Familie, denn seine Eltern schieden freiwillig und von eigener
Hand aus dem Leben. Jetzt arbeitet Slobo an einem kollektiven Himmelfahrtskommando, aber
weder das Kosovo noch Serbien wollen mutter- und vaterseelenallein "sterbien".
Serben, räumt eure Öldrucke vom Amselfeld ins historische Archiv, wir leben nicht mehr
im Jahre 1389, sondern am Ende des Millenniums. Zeit zu sterben oder wach zu werden.
Goedart Palm
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