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Von der Jakobsleiter zum Düsenjet (Anselm Kiefer)
Zu der Ausstellung: Am Anfang - Anselm Kiefer. Werke aus dem Privatbesitz Hans Grothe
20. Juni bis 16. September 2012
Anselm Kiefers Malerei ist mächtig, groß, brutistisch, erdig, rostig... Sollen wir sie loben? Ein Problem dieser Malerei ist die allpräsente Symbolik. Als ob wir es nicht gewusst hätten, wird noch semantisch markiert, was vielleicht eine Interpretation ermittelt hätte. Kiefer hilft hier dem
Betrachter immer nach. Symbole gehören per se zum Instrumentarium der malerischen Sinnvermittlung: Eine Blume, die Liebe oder Glauben symbolisiert, eine Waage, die allegorisch die Gerechtigkeit signiert. Das ist ein Standardverfahren, das nicht zwingend dadurch desavouiert wird, dass Symbole
subjektivistisch interpretiert, modifiziert oder gar konterkariert werden. Warum aber beschleicht mich der Eindruck, dass diese Malerei ihre Symbole aufdrängt? Warum entsteht der Eindruck, dass diese Symbole aus Schwermetall sind, sich dann aber bei näherem Zusehen in Beliebigkeiten verwandeln?
Sicher führen mythengeladene Symbole zu mehr oder weniger wilden Assoziationen. Irgendwie und irgendwo quillt hier dickflüssig Geschichte in ihren zahllosen Bezügen hoch. Wenn alles wichtig wird, ist das Risiko hoch, dass nichts wichtig ist. Hier erleben wir ein altes Dilemma der Kunst. Das
Kiefersche Bilderleben zwischen Katastrophe, Untergang und Neubeginn macht einen so zufälligen wie kalkulierten Eindruck zugleich, ohne dass bereits für die Verifikation des künstlerischen Genies halten zu wollen. Hier entstehen permanent projektive Räume, in denen man von Symbolen erschlagen
wird, die selbst so massiv gestaltet sind, als müsse man ihrer schwindenden Verbindlichkeit mit den massig-massiven Formen widersprechen. Hinter dem Teutonisch-Titanischischen versteckt sich das preußisch Bürokratische. Kennen wir die Besucher irgendwelcher Ausstellungen mit ihrem "Ach, wie
schön" geht es hier (scheinbar) in die andere Richtung: "Ach, wie schrecklich, wie erhaben, wie..." Ja, wie eigentlich? Es ist ein gemalter Jargon der Eigentlichkeit. Es ist so - im mehrfachen Wortsinn - schrecklich authentisch, dass man es nicht glauben mag. Einfach gesprochen: Wir
erleben den Höhenflug einer Prätentionsmalerei, die sich so wichtig und unmittelbar nimmt, dass wir ihre offiziellen Akzeptanzen gut verstehen können.
Goedart Palm
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Pool at Night (Tribute to David Hockney)
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Von Magnet bis zu
Magenta - Spiegel Online
"Barcelona als Anziehungsmagent für Künstler"
heißt es in einer Bildunterschrift im Oktober 2007 bei
SPIEGEL ONLINE. Im Online-Journalismus drehen sich die Wörter
schneller, als es sich Gutenberg je hätte vorstellen können.
Das Medium läuft seiner eigenen Semantik weg. Die
Unsinnsproduktion allein macht Sinn, weil es sich nicht
lohnt, für immer kleinere Leserkreise noch sorgfältig zu
arbeiten. Die Verluderung des Lesers ratifiziert die
semantische Destruktion. Fehler sind normal, orthografische
Normalität ein Fall für den Duden. In diesem Sprachlabor
entsteht dann der "Anziehungsmagent", für Künstler
und Literaten zweifelsohne interessant. Seine Kraft wurde
gedoppelt, seine Farbe ahnen wir von Ferne.
Maschinenwinter mit
Bodenheizung
"Es sind bekanntlich nicht die Maschinen, die Maschinen
einstellen, sondern Menschen, die Maschinen bauen und
einsetzen. Daher ist es nicht länger hinzunehmen, daß
Maschinen die Lebensverhältnisse zunehmend verschlechtern,
obwohl sie im Ursprung dazu gedacht waren, diese zu
verbessern", heißt es im Klappentext der edition
unseld zu Dietmar Dath, Maschinenwinter. Das soll, wie es
der Untertitel verheißt, eine Streitschrift sein, die mich
schon erreicht hat in der Sedimentierung des zitierten
Klappentextes. Diese zwei Zeilen sind so entsetzlich, so
schief, so unsoziologisch, dass mir der Vormittag verhagelt
ist. Schon bin ich bereit, eine Ablasssumme zu zahlen, wenn
ich diesen Maschinenwinter überdauern darf, ohne ihn lesen
zu müssen. Vielleicht ist Daths Text ja erträglicher als
diese potenzlosen Werbezeilen, aber ich bin zu alt, um zu
riskieren, dass meine Nachtruhe durch Nachfolgesätze dieser
Qualität fundamental beschädigt werden könnte.
Edition Unseld
Die Edition Unseld wirbt in diesen Tage mit diesem Titel:
"Komplexitäten - Warum wir erst anfangen, die Welt zu
verstehen" Sandra Mitchell. Da soll wohl auch das
spezifische Motto der Edition sein, die bereits dadurch zu
verstehen gibt, dass man dem alten wie neuen Aufklärungsdiskurs
ergeben folgt. Was auch sonst,könnte man fragen. Hier dürfte
indes ein Missverständnis vorliegen, das nicht nur den
Suhrkamp-Verlag und den Versuch einer verlegerischen
Kontinuitätspolitik trifft, sondern längst die
Wissensgesellschaft annagt. Menschen haben die Welt nie
verstanden, weil "Welt" schon ein unbegreiflicher
Begriff ist und weil Menschen als Teil dieser
"Welt" auch nicht irgendwann außerhalb, gleichsam
archimedisch auf die Welt herabsehen. Ein Argument ante
hominem wiegt vielleicht aber noch schwerer als das
Zirkularitätsargument. Der Mensch ist ein bescheidener
Rechner, was wenig mit der Komplexität zu tun hat, die die
Welt und eben nicht der Mensch verarbeiten kann. Ein
gelungener Weltaufenthalt, um es pragmatischer zu
formulieren, hat nur lose Bezüge zu menschlichem
Weltverstehen. Die Parole der Zukunft, wenn man noch Parolen
ausgeben darf, könnte eher lauten: Lernt zu begreifen, dass
ihr die Welt nicht versteht. Je komplexer die Verhältnisse
werden, einschließlich der notwendigen Strategien, mit
Komplexität umzugehen, desto weniger begreift der Mensch.
Menschen können in vielen komplexen Bereichen nicht
mitdenken, sondern nur handeln, etwa in dem Ergebnisse verknüpft
oder zerlegt werden. Mit Begreifen hat das nichts zu tun.
Die Edition Unseld könnte auf dem dem falschen Gleis
liegen. Aber warum sollte das nachhaltig Lesern auffallen,
die eben begreifen möchten und sich ihre Wirklichkeit so
bereiten, wie es ihrer kognitiven Selbsteinschätzung
entspricht.
Anselm
Kiefer und der Frieden im Deutschen Buchhandel
Literatur ist im Zeitalter medientechnologisch hochgerüsteter
Gesellschaften ein fragiles Kulturressort geworden, das Mühe
hat, seinen "ontologischen" Status zu bewahren, während
es zwischen Fernsehen, Hörkassetten und dem allgegenwärtigen
Internet alte Ansprüche verteidigt, die bereits in
relativen Blütezeiten nicht eingelöst wurden. Doch noch
folgt auf die Verteidigung der Angriff: Dem starkdeutschen
Maler Anselm Kiefer wird der Friedenspreis des Deutschen
Buchhandels verliehen. Warum nun dieser Maler mit Literatur
und Frieden assoziiert werden soll, mag die Jury wissen. Uns
erscheint es so, als wäre der Medienbruch kalkuliert. Weder
auf die Literatur noch das Buch, weder auf die Malerei noch
die politische Semantik kann man sich verlassen. Verlassen
allein kann man sich auf Aufmerksamkeitsqualitäten, die in
diesen Brüchen und Erwartungsenttäuschungen liegen.
Solchen Kriterien zufolge kann man auch George W. Bush
diesen Preis verleihen, weil der unselige Irak-Krieg, wie übrigens
die meisten Kriege, zur Reflexion über den Frieden
beitragen mag. Jeder Schock, jede Irritation sind in
Aufmerksamkeitsgesellschaften geeignet, Reflexionen auszulösen.
Anselm Kiefer ist eine Variable in diesem Spiel, das kleine
Szenen milde unterhält. Den Preis hätte man auch den
Insassen von Guantanamo Bay widmen können, das hätte
allerdings Unfrieden gestiftet und so weit will nun keiner
gehen. Dieser Preis ist völlig belanglos, eine Posse für
moralische Korrektheit mit einem leicht ironisierten
Spielbein. Der Friede als echtes Anliegen kommt hier nicht
vor, weil die Selbstinszenierung des Preises dafür zu behäbig
seriös erscheint. Anselm Kiefer als Säulenheiliger des
etablierten Kunstbetriebs (gibt es einen anderen?) verleiht
dieser Honoratiorenveranstaltung auch nicht den
"kick", den der Frieden in kriegerischen Zeiten
gut brauchen könnte.
Brockhaus
Revisited
Die 21. Print-Ausgabe des Brockhaus von 2006 könnte nach jüngeren
Presseerklärungen des Verlages die letzte sein.
Nur wenige Jahre zuvor war man noch guter Dinge: Die
Brockhaus-Enzyklopädie 2000 von André Heller gestaltet und
"inszeniert" (Verlagsprospekt). Dass der Mensch
einen Brockhaus brauche, mag im Zeitalter elektronischer
Medien nicht länger einsehbar sein. Also muss er
"inszeniert" werden: Der Zirkuskünstler Heller
gestaltet eine Einbandgalerie mit 312 Originalfundstücken,
Mercedes-Silberpfeil, Tennischläger von Boris Becker und
noch viel mehr -präsentiert in dreidimensionalen
Acrylvitrinen, eingebunden in nigerianischem Ziegenleder - für
zweitausend Sammler zum Vorauszahlungspreis von 18.800 DM.
Die Idee ist so grotesk, dass sie auch den Nichtleser überzeugt.
Dieser inszenierte Vitrinen-Brockhaus ist kein armseliges
Nachschlagewerk, sondern soll nach dem Willen des Schöpfers
ein Kunstwerk sein, zumindest ist er eine Sammlung von
Trouvaillen, die auf die Karte des Wissens geklebt werden.
Wo früher der Begriff über den Gegenstand regierte,
herrscht heute das Objekt. Pure Unmittelbarkeit gegen blindwütige
Monitorisierung des Wissens. In die Geschichtsschreibung und
Wissensverzeichnung wird die Geschichte als Fetisch eingeführt.
Reliquien unserer Zeithöhepunkte, sorgsam verwahrt wie Blut
Christi, lignum crucis. Wir wohnen einer religiösen
Handlung bei, Brockhaus hebt die Monstranz, zeigt den Leib
dieses Jahrhunderts, eine Hostie, die wir essen werden, um
zu bezeugen, den Zeitgeist in uns zu haben. Ego te absolvo -
"verlieren Sie also keine Zeit" (Verlagsprospekt).
Wie sollte ich Zeit verlieren, wenn ich mir die Geschichte
selbst einverleibe?
Auch diese Rituale versagen vor der Virtualität. Wir wohnen
einem weiteren beispiellosen Akt des Kannibalismus bei...
In memoriam Peter Rühmkorf, ca. 1997 geschrieben:
Tabu I - Tagebücher 1989 - 1991
Reinbek bei Hamburg 1997
Wer dies berührt, berührt einen Mann.
Rühmkorf, der Dichter, hat sein "erstes" Tagebuch
veröffentlicht und vermutlich meint er sich selbst, wenn er
den Altersstil als eine Art von Auslaufproduktion
bezeichnet. Tagebücher ringen dem Leben post festum
Geschichte und Geschichten ab. Sie retten der Erinnerung die
vielen alltäglichen Partikel der Identität, machen das
Leben zwar nicht rund, aber nachvollziehbarer. Für Leser
sind Diarien oft eine Zumutung, da sich das konkrete Leben
in seinem stolpernden Zeitablauf als Sammelsurium der
Ereignisse darstellt. Aber gerade hier legitimiert sich
mitunter die fremde Lebensgeschichte für Leser, die auch
nicht stromlinienförmiger zu leben verstehen, die auch
immer wieder in die biographischen Irrungen und Wirrungen
eintauchen: "Und immer wieder mal die Frage nach einem
sinnvoll geführten Leben in einer wahnsinnig gewordenen
Welt."
Je älter der Verfasser, um so mehr erfahren wir über seine
Zipperlein. Auch Rühmkorf spart hier nicht mit
schmerzhaften Intimitäten, er zeigt uns seine "vita
dolorosa" zwischen den Vorboten des Endes und vorübergehender
Pein. Leiden und Literatur sind nicht nur in Deutschland
Geschwister. Gelitten haben sie alle: Lichtenberg, das Körperchen,
Nietzsche, der aussichtslose Wille zur Gesundheit, Cioran,
Schärfe aus tiefster Verbitterung, Pavese, moribund und
todesentschlossen. Rühmkorf nimmt´s auch nicht leicht,
aber spöttisch genug, um nicht fragwürdige Größe aus
teutonischer Leidensverliebtheit zu generieren. Er hält
sich poetisch vital gegenüber der selbstverschuldeteten
Verwrackung: "Vergiftet vom gestrigen Tag: Zigaretten,
Hanf, Whiskey, Campari, Bier, Wacholder." Ja, so lustig
bis körperzehrend leben die Dichter alle Tage. Rühmkorf
gelingt die ironische Selbstdistanz zu alten Abhängigkeiten
und neuen Gebrechen. Dabei geht´s ihm nicht um einen "kleineleutehaften"
Offenbarungsgestus, keinen gerontophilen
Lamentationsgegenstand, der zum geschwätzig-sprachlosen
Stoff der Talkshows avancierte. Rühmkorf zeigt seine
Pflaster und Pflästerchen, die Behelfsmäßigkeiten, aus
denen ein Leben, zumindest wenn es noch nicht zum Mythos
geworden ist, besteht.
Aber das ist nicht alles, was der Dichter zu berichten weiß.
Wie sagt Rühmkorf? "Ja posthum, da könnte ich viel
erzählen!" Immerhin gelingt ihm dies zu Lebzeiten auch
schon. Zwischen Begegnungen, Reisen, Speisenkarten,
Rezepten, Lektüren, Fernsehen ("In-Ferno") hat Rühmkorf
alle Augen und Ohren voll zu tun. Ein Kessel Buntes aus
Aphorismen, Beobachtungen mit Tiefenschärfe, aber eben auch
Alltäglichkeiten bis hin zum Blumengießen - Rühmkorf
rekapituliert seine wachen Tage so fröhlich-unfröhlich und
disparat wie das Leben nun mal ist. Und späte Dichter können
alles brauchen, was im Alltagsgebrauch der Zeitgenossen oft
vorschnell auf dem Sperrmüll der persönlichen Geschichte
landet.
So hat dieser Mann zwar trotz seiner siebzig Jahre noch kein
Oeuvre, das ledergebunden im Goldschnitt Schrankwände
verzieren könnte, aber wenn weitere Tagebücher folgen, könnte
ihm selbst das noch gelingen. Sein erstes Tagebuch ist es
jedenfalls wert, in die Geschichte der wichtigen europäischen
Tagebücher eingereiht zu werden - auch wenn er für diese
Feststellung vermutlich nur gelinden Spott übrig hätte.
Aber zuletzt lacht immer die Geschichte.
<
Michel
Onfray Short Cut
"Wir brauchen keinen Gott" heißt der Bestseller
von Michel Onfray. Das klingt gegenüber Nietzsches Wort vom
Tod Gottes eher moderat. Moderat sind auch die Erkenntnisse
Onfrays. Onfray sammelt im Zeichen der klassischen Aufklärung
Fakten gegen die Weltreligionen, die nicht ganz neu, in
einigen Momenten allzu bekannt sind. Das wäre noch kein
Mangel, wenn Onfray erklären könnte, warum diese
hysterischen Irrtümer, wie er sie klassifiziert,trotz der
überbordenden Vernunfterkenntnis so erstaunlich lebensfähig
sind. Onfray ist an dieser zentralen Stelle kein Philosoph,
sondern selbst ein (erträglicher) Eiferer, der die dringend
notwendige funktionale Theorie nicht liefert, die erläutern
würde, warum Realitätsverzerrungen und - verkennungen
notwendig sind, um die Welt erfolgreich zu meistern -
einschließlich Todesliebe und Amoralität. Das kann man bei
Niklas Luhmann teilweise lernen, indes ist dort der
Abstraktionslevel mitunter ein Hindernis, die Funktionen
deutlicher zu konturieren. Onfray belässt es jedoch bei der
intuitiven Vermutung des Lesers, dass er Religionen nur in
ihrer Dysfunktionalität begreift und damit ihre Energien
mit der leicht angestaubten Kategorie "Hysterie"
verfehlt. Religionskritik ist nur möglich, wenn man die
Funktion(en) der Religion umfassend definierten kann und die
sozialen Funktionen mindestens ebenso sehr analysiert wie
die vordergründig emotionalen Wirkungen, die so für
Menschen so attraktiv machen.
Blogs
und das Ende der Demokratie
Friedrich Nietzsche meinte, noch ein Jahrhundert Leser und
der Geist selbst wird stinken. Ist es so gewesen? Meine
Prognose: Noch einige Jahre Blogs und Meinungen werden so
bedeutungslos sein, wie es die Theoretiker der
demokratischen Öffentlichkeit nie glauben dürften. Wenn
alles Meinung ist, hat Meinung keinen Wert. Eine Meinung,
die nicht wenigstens prätendieren kann, wichtig, exklusiv,
informationsdurchdrungen zu sein, ist nicht mal als
Ramschware geeignet, "gekauft" zu werden. Die große
klassische Idee der diskursiven, aufgeklärten Bürgerlichkeit
wird in den "Blogs" endgültig ruiniert. Die
Demontage der Demokratie wird in den "Blogs"
vorbereitet, während unsere wohlmeinenden Beobachter
meinen, hier wäre der Königsweg zu direkter
Volksbeteiligung vorbereitet.
Moralische
Empörung light - Beenhakker
Die polnische "Super Express" präsentiert laut
SPIEGEL online eine Fotomontage: Der Coach der polnischen
Nationalmannschaft Beenhakker präsentiert die abgetrennten
Köpfe von DFB-Kapitän Michael Ballack und Bundestrainer
Joachim Löw in seinen Händen. Okay, ist geschmacklos. Aber
wie reden denn die Fans? Jede moralische Empörung fällt
hier auf sich selbst zurück, denn Fußball war nie weit von
solchen Fantasien entfernt.
Ray
Kurzweil
Niemand kann mir sagen, dass dieser Nachname nicht das
Ergebnis einer strategischen Namensänderung ist. Der Name
ist Programm. Es ist nur noch eine kurze Weile, dann wird
diese und jene und überhaupt jede Technik da sein. Das ist
zwar vermutlich wahr, aber eine qualitative Aussage wird
daraus längst nicht.
Alice
Schwarzer, Emma und der Rest der coolen Gang
"Emma" macht an sich im drögen deutschen Blätterwald
Sinn. Die fetten Jahre sind zwar vorbei, weil der Feminismus
wohl bestimmte Allianzen und Milieus braucht, um zur rechten
Geltung zu kommen. Aber das ist längst kein Grund, ein
kleines Dorf in Gallien oder sonstwo aufzugeben. Wenn aber
Frau Schwarzer durch ihre rigide Redaktionspolitik die
milden Sympathien der Öffentlichkeit zu verscherzen droht,
ist das erstaunlich, weil man dem Feminismus respektive den
vormals so selbstbgewissen Sachwaltern der
"Emanzipation" doch immer auch strategische
Selbstreflexionen unterstellt hat. Emma und Emanzipation heißt
also jetzt, sich von Frau Schwarzer zu emanzipieren, was
deren ureigenstes Interesse sein müsste. Es sei denn, sie wäre
sich untreu geworden. Dann aber gibt es schon gar keinen
Grund, auf Rebellion zu verzichten.
"Der
Fall Telekom erschüttert die Republik"
"Der Fall Telekom erschüttert die Republik", erklärt
der SPIEGEL ONLINE am 30.05.2008 der Nation. Jeder möge
sich prüfen, ob er denn erschüttert ist. Passiert nicht
das, was wir ohnehin und nicht nur im Fall der Telekom
jederzeit vermuten? Wir leben in einer
Informationsgesellschaft, die obsessiv mit Daten umgeht.
"Beobachtung" ist, wenn wir etwa der Soziologie
folgen, das Paradigma der Gesellschaft bzw. der richtigen
Erkenntnismethode schlechthin. Wir beobachten, Ihr beobachtet
uns, wir beobachten, wie ihr uns beobachtet habt, ad
infinitum. Das erschüttert niemanden, von der moralisch
inszenierten Zwangsentrüstung einmal abgesehen. Dieser
Antagonismus von informationeller Selbstbestimmung und
Datenfetischismus ist längst aus dem Lot, ohne dass diese
Tendenzen mit dem traditionellen Vokabular noch zu fassen wären.
Niemand ist entrüstet, wäre es anders, gäbe es "YouTube"
et. alii nicht.
Harald
Schmidt & Oliver Pocher
Zugegeben, Harald Schmidt hat mich nie sonderlich
interessiert, der Humor erschien mir zumeist zu kalkuliert
und wer zudem noch Gagschreiber beschäftigt, könnte selbst
ja erheblich weniger komisch sein als seine oder wessen
Witzchen. Doch Schmidt besitzt Rhetorik. Er formuliert Sätze
und glaubt an das Apriori, dass er komisch, pointiert oder
zumindest präsent sein wird. Dieses Apriori verleiht ihm
Kraft, oder auch umgekehrt. Pocher ist unsicher, von der
ersten Minute an. Konserven gelingen ihm, doch in der Show
selbst kommt er vom Image des eher unbeholfenen Lehrlings
nicht weg. Seine Witze haben die mitlaufende Frage:
"Findet ihr das komisch?" Und Pochers ehedem präpotente
und heute wenig prägnante Rhetorik lässt diese Frage nicht
rhetorisch zur Pointe aufschließen. Er weiß offensichtlich
nicht mehr, was er von sich selbst halten soll. Viel hält
er wohl nicht von sich, zumindest nicht neben Schmidt, der
doch durch einen jugendlichen Provokateur gelockt werden könnte.
Hier jedoch findet keine Begegnung statt, es erscheint nicht
einmal einstudiert, sondern hier sind zwei, die ein Programm
absolvieren und die Unsicherheit des einen beschädigt die
relative Souveränität des anderen. Erstaunlich, dass
dieses Duo seine eigene Daseinsberechtigung nicht längst
selbst bezweifelt und Konsequenzen zieht.
Das
Tao des Warren Buffet
Das Tao des Warren Buffet? Früher gab es schon Taoisten an
der Wall Street, aber der obige Titel ist schon wieder
einsatzfähig, weil das Gedächtnis der Mediengesellschaft,
so lange es von Menschen dominiert wird, extrem schlecht
ist. Witze werden wieder bartlos. Also auch dieses Tao, was
nur die eitle Nobilitierungssucht einer
Kaufmannsgesellschaft belegt, die Weisheit da verankert, wo
ihre Weisheit eben liegt - oder auch nicht. Wer Geld macht,
ist weise. Das Tao des Geldes, so banal wie ein
Ying-Yang-Symbol für einen Geldspielautomaten. Der Prozess
des Abfalls von vormals als geistig gehandelten Werten ist
viel weiter gediehen, als man sich das eingestehen wollte.
Das wäre gut zu verschmerzen, wenn nicht die Wiederkehr
dieser Werte auf der Schwundstufe ihrer Bedeutung drohte.
Reicht es nicht, Warren Buffet zu bescheinigen, dass er eine
Intuition für kapitalistische Gewinne hat? Warum muss das
ohnedies schon trivialisierte Tao nun auch noch an diese
Front der Mammonitis? Wir leben noch tief in Talmi-Welten. Möge
uns der Titel erspart bleiben: Mit dem Tao gegen semantische
Armut.
Phantasialand
- wirklicher als die Wirklichkeit
Für Jean Baudrillard ist Disneyland das reale Amerika. Zu
sagen, das Phantasialand bei Brühl sei die Realität,wäre
eine blasse postmoderne Geste. Doch etwas ist in
Baudrillards Diktum auch hier zu retten: Denn der in den
sechziger Jahren gegründete Märchenpark existiert nicht
mehr, hier geht es zuvörderst um Dynamik,
Geschwindigkeitserlebnisse, die alles in den Schatten
stellen sollen, was sonst verfügbar ist: "Als
Schatzsuchende von Talocans Sonnenstein erfährt man dessen
Macht und Stärke in einem wahren Wirbel durch die Atmosphäre."
(Werbetext Phantasialand). Es geht nicht um die abstrakte
Differenz "Wirklichkeit/Unwirklichkeit" oder
"echt/simuliert", sondern um Bewegung als Beweis für
Wirklichkeit. Wenn Deine Sinne in einen Bewegungs- und
Wahrnehmungsrausch geraten, muss diese Welt existieren. Das
ist der neue dynamische Existenzialismus, gleichermaßen
frei und identitätslos. Es wäre psychologisch müde, hier
nach latenten Todessehnsüchten zu fahnden, als ob jeder
Rausch durch sein Ende zu bestimmen wäre. Ob der Rausch
Ewigkeit will, ist nicht zu entscheiden. Es geht hier um
postmetaphysische Zustände, Transzendenz im wahrsten Sinne
des Wortes, Schweben über den Dingen. Mehr vermag Phantasie
nicht und deshalb trägt dieser Ort seinen Namen zu Recht
und jede altbackene Kulturkritik kommt hier um Längen, wenn
nicht Lichtjahre zu spät.
Zum
Paradox ästhetischer Bewertung
Nachdem die ästhetische Bewertung als normative Kategorie
abgeschafft worden war,schien diese Frage zum "arcanum"
der Ästhetik zu werden. Warum einer wusste, dass es diese
und nicht jene Kunst war, die zu achten, zu beachten sei,
war Teil einer Auguren- bzw. Geheimwissenschaft.
"Kunst" als System muss diese Frage nicht mehr
stellen. Es ist völlig gleich-gültig, welche Objekte
Kunststatus genießen, so lange gewährleistet ist, dass es
solche Objekte gibt, sie zirkulieren, also interpretiert und
verkauft etc. werden können. Wenn dieses System stabil ist,
können sich die Teilnehmer wieder ästhetische Kriterien,
die zuvor keinen Geltungsanspruch gehabt hätten, leisten.
Das ist das Paradox: Die Kunst verliert verbindliche
Werturteile, zirkuliert nur noch um sich und nun können die
vormals obsoleten Kriterien wieder eine neue alte Bedeutung
gewinnen. Die demontierte Ästhetik erlaubt wieder
privatistische Anwendungen, simple Geschmacksurteile:
"Ich mag dieses oder jenes." In dieser Wandlung
besteht selbst die Möglichkeit, dass Ästhetisierungen im
Sinne eines verfeinerten Geschmackurteils wieder zulässig
werden. In der Selbstreproduktion der Kunst, die letztlich
nur darin besteht, Kunst von Nichtkunst kriterienlos zu
bestimmmen, dürfen auch ästhetische Werte, ohne sich
exponieren zu müssen, wieder eine Geltung reklamieren.
Eurovision
Song Contest - Ein bisschen einschlafen, ein bisschen
ausschalten
Die Vision liegt auf der Hand (Ohren zu!): Wenn dieser
Contest selbst nicht mehr die Chance hätte, als Marginalie
beachtet zu werden, könnten wir von avancierter
Medienkompetenz sprechen. Ein Musikwettbewerb, der nicht
trennscharf von einer Sportveranstaltung zu unterscheiden
ist und Musik als Inszenierungsspektakel verramscht, hat
keinen Anspruch, der zu rechtfertigen wäre. Spricht etwas
dagegen, diese Veranstaltung in den Diskussionszusammenhang
"Gewalt und Medien" einzubeziehen?
Germany's
next Topmodel - by (wie übersetzt man das?) Heidi Klum
Germany's next Topmodel. Nicht der anglophone Klang stört
uns, sondern der Umstand, dass nichts, aber auch gar nichts
mitzuteilen ist. Das Drama will nicht gelingen, weil es im
Prinzip so aufregend wie die Frage ist, wer das nächste
Schuljahr wiederholt. Das Fatum wird als beherrschbar
geschildert, wenn nur die Leistung stimmt. Das ist die älteste
Mär dieser Gesellschaft, wie unzählige Katastrophen
lehren, fundamental unrichtig. So also sollst du Schönheit
als Leistung internalisieren, was wiederum wunderbar paradox
ist. Schönheit, das ungerechte Geschenk, wird über das
Leistungsprinzip mit der Gerechtigkeit kurzgeschlossen. So
stimmen die Werte wieder überein, innere wie äußere
werden synchronisiert. Selbstverständlich ist das die
Ideologie schöner Menschen, die anders Selbstverständnisprobleme
hätten, weil ihre Leistung keine wäre. So aber steht Heidi
Klum für ein Prinzip, das weiland Fabrikherren oder
arrivierte Tellerwäscher vertreten haben. Es geht, mit
einem Wort, um einen Verlust: Den Verlust der begründungslosen,
nicht rationalisierbaren Schönheit und der Ungerechtigkeit
einer Welt, die einige schön und andere nicht sein lässt.
Heidi Klum will das vergessen machen, was das Format so bedürftig
werden lässt, dass dessen Zukunft auch ohne prophetische
Gabe erahnt werden kann.
YouTube
- Stimmen der Vergangenheit
YouTube - das Stelldichein historischer Figuren. Ist es
nicht großartig, Namen wie Adorno, Heidegger, Marcuse,
Luhmann einzugeben und schon stehen sie wieder auf?
Das
wahre Wunder der Religion
Eine Religion, die durch ihre Repräsentanten verkünden lässt,
sie wäre dialogfähig, muss als das wahre Wunder
beschrieben werden. Denn seit wann reden Götter
miteinander?
Interkulturelle
Website-Forschung
"Interkulturelle Website-Forschung" ist ein Thema
an deutschen Universitäten. Dass sich Wissenschaftsbetriebe
selbst unterhalten, soll nicht als Standardeinwand gelten.
Signifikanter erscheint uns hier der Begriff der Forschung,
dessen Fragilität mit der Flüchtigkeit seines
Untersuchungsgegenstandes wächst. Bereits der Begriff der
"Interkultur" ist schwer fassbar, eingedenk des
Umstands, dass Niklas Luhmann seinen Begriffsversuch
"Interpenetration" nach der (voreiligen?) Schöpfung
nicht mehr prominent einsetzte. Dem Begriff der
"Kultur" ist trotz des Eigensinns kultureller
Manifestationen das "Inter" eingeschrieben. Mit
einem Wort: Kultur ist promisk. Promiskuität der Kultur
kombiniert mit dem Tempo der Globalkultur lässt Interkultur
als Marginalie erscheinen. Ist die Kultur bis zur nicht
Nichterkennbarkeit beschleunigt, gilt das mehr noch für
Websites, die vielen Trends folgen. Doch schlimmer: Sind
Websites, die heute wie ein virtuelles Gegenstück der
"Immobilie" erscheinen, zukünftig noch zentrale
Orte virtueller Begegnung? Wie immer die Antwort ausfällt,
kaum kann man sich vorstellen, dass dann die interkulturelle
Website-Forschung kognitiv flankierend auftritt, wenn sich
Verhältnisse verändern, die kaum als solche beschrieben
werden können, weil sie sich nie dauerhaft
"verhalten" hätten.
Politik
und Notwendigkeit
"Warum Deutschland Gesine Schwan braucht", textet
Spiegel Online am 21.04.2008. Wer hat da noch Lust
weiterzulesen? Im Blick auf Verfassung, Staat und
Gesellschaft wäre es bereits lohnenswert, über die
Funktionen des Bundespräsidenten nachzudenken. Politische
Bedeutung in einem konkreten, angebbaren Sinne will man
keinem attestieren, was freilich gegen den allgemeinen Sinn
des Amts wenig sagt. Nur, ist bereits die Bedeutung des Amts
fragil und will man keinen Bundespräsidenten vor anderen
loben, wird die Begrifflichkeit der politischen
Notwendigkeit schal. Demokratie heißt im besten Sinne, dass
Politiker ersetzbar sind. Ob nun Herr Köhler oder Frau
Schwan, das kann uns politisch nicht allzu sehr berühren.
Jeder
dritte Deutsche mit seiner beruflichen Tätigkeit unzufrieden
Diese jüngst veröffentlichte Statistik, so sie denn
richtig sein sollte, verwundert doch. So hätte ich
angenommen, dass 90 % Prozent der arbeitenden Bevölkerung
unzufrieden sind. Denn die Traumjobs sind es meistens nur für
kurze Zeit und die Arbeit für andere mag nicht schänden,
aber es bedarf keiner Fantasie, sich Schöneres
vorzustellen. Wahrscheinlich kommt es hier, wie immer bei
Umfragen, auf die Fragetechnik an. Denn wer hätte für sich
nicht mehr in "petto" als das, was diese Welt für
ihn bereit hält. Vielleicht also muss die Frage lauten:
"Könnten Sie sich eine andere, einflussreichere
(wahlweise: höher dotierte, höher angesehenere etc.)
Position vorstellen? Da wären wir doch ein einig Volk von
Brüdern und Schwestern. Wer wäre nicht bereit, wenigstens
als Frühstücksdirektor seine Mitmenschen glücklich oder
unglücklich (Bentham zählt das Übelwollen bekanntlich
auch zu den Glücksmöglichkeiten)zu machen.
Zahnschmerzen
und Theodizee
Auch kleine, aber körpernahe Katastrophen können
Theodizee-Fragen in eben der Hartnäckigkeit aufwerfen, mit
der Schmerzen quälen. Es ist erstaunlich, dass die beste
aller möglichen Schöpfungen Zahnschmerzen kennt. Man
rationalisiere das nicht, Schmerzen sind gegenüber
Rationalisierungen absolut unempfindlich. Ein Rationalist
erfindet jedenfalls keine Schmerzen. Quod erat demonstrandum.
Kultur
als Selbstinszenierung
Kultur trägt man wie einen Orden. Man oder Frau werden
Kulturträger. Das setzt etwas Bildung voraus, aber nicht
zuviel. Fakten sind wichtig und einige ästhetisch leicht
nachvollziehbare Kategorien helfen weiter. Kultur dieser Art
schafft Verbindlichkeiten und angenehme Gespräche. Der
Causeur als Wille und Vorstellung. Diese Kultur ist sozialer
Kitt, daher nicht einfach zu verwerfen. Kultur als Krisis,
Kultur als Kampfbegriff findet sich in diesem, immer noch
hoch verbreiteten Kulturbegriff nicht. Ein Irrtum wäre es,
diese Art von Kultur, ich kenne Goethe, du kennst Goethe,
mit Identität zu verwechseln. Dekor ist längst keine
Identität. Und wahrscheinlich sind Kultur und Identität
antiquierte Begriffe, die funktional reformuliert werden müssten.
Radio
Moral Pandora
BAP ist seit je Betroffenheitslyrik. Wer leidet so
authentisch? Nun hört man, die Helden von "Radio
Pandora" wären ganz anders als die
Unterhaltungsartisten, die uns weich gespülte Musik in die
Ohren träufeln. Wenn es schon unangenehme Themen sein
sollen, dann fragt man sich vergeblich, warum die Musik von
BAP nicht unangenehmer klingt? Es ist just dieselbe
Radiomusik, die man verachtet. Anders sehen das auch die
Redaktionen nicht, die von kritischer Musik sprechen und die
von BAP inszenierte Differenz mehr oder weniger
augenzwinkernd mitmachen. Wolfgang Niedecken ist
einsatzgenau betroffen. Das sollte uns betroffen machen,
weil doch Authentizität nicht dem Taktstock folgt. Stellt
euch vor, Radio Bremen überträgt und einer, vielleicht
Niedecken, würde sagen, ich bin gerade nicht betroffen.
Warum der Musikcode mit dem Moralcode verbunden wird, mag
gute Gründe haben, nicht zuletzt ist es der Grund, zunächst
problemlos den Gutmenschen zugerechnet zu werden. Es ist
moralisch, moralisch zu sein. Das erspart ethische
Reflexionen und beim Singen kommt es doch ohnehin zuvörderst
auf das "Gefühl" an. Warum aber Moral, wenn es
doch Gefühl ist? Letzte Hypothese: Radio Pandora et alii
sind totale Gleichschaltungen von Moral, Musik und Gefühl.
Und das das soll wahrhaftig sein?
Nachrichten,
verstreut
Wäre gegenüber der Presse zu moralisieren, lautet der
Hauptvorwurf, dass die Welt auch da gleich gemacht wird, wo
sie es nicht ist und nie sein dürfte. Doch hier regiert das
alte Dilemma des Gleichheitsgrundsatzes. Sind politische
Nachrichten wirklich wichtiger als Sportnachrichten? Wo
finden wir einen übergeordneten Wert oder eine
unhintergehbare Funktion, die hier Prioritäten gebietet?
Vielleicht bilden allein Medien die Wahrheit des Gleich-Gültigen
ab und alle Kritik bestätigt nur dieses Prinzip. Prioritäten
sind gerade im Nachrichtengeschäft ein seltsamer Fetisch,
als ob diese Nachricht wichtiger als jene wäre. Prioritäten
mag der Leser bilden...
Blografie
am Ende der Galaxis
Die Entdeckung einer Textlandschaft, die noch nicht
vermarktet, verlegt und vermessen ist. An der Peripherie
eine unendliche Architektur, für die noch kein Name
existiert. Die meisten Blogs sind Kioske mit
durchschnittlicher Handelsware.
Von
der Propaganda zur Wirklichkeit und wieder zurück
"Sowohl Chinas KP als auch Exil-Tibeter füttern die
Diskussion mit ihren Argumenten - SPIEGEL ONLINE zeigt, was
Propaganda und was Wirklichkeit ist", schreibt eben
dieser. Wie immer haben wir keine Probleme mit dem Paradox,
denn wenn man die Propaganda doch entlarvt, ist sie
vielleicht keine mehr. Und wer weiß, was Wirklichkeit ist,
das ist ohnehin ein Gott. Conclusio: Dieser Anspruch
bestreitet sich selbst, weil er den Umgang mit dem Paradox
ausschließt und somit selbst zu der Propaganda gehören könnte,
die er austreiben wollte. Redlicher wäre es zu sagen: Wir
wissen nicht, was wahr ist, aber wir haben eine starke
Vermutung in diese oder jene Richtung. Daraus allerdings
schlägt man keine Schlagzeilen.
Klaus
Kinski Revisited
Man kann Klaus Kinski indivualpsychologisch betrachten,
irgendwo auf der Grenze vom Choleriker zum Maniac. "So
sind Künstler eben." Nimmt man ihn als den
personifizierten Widerwillen gegen die eingerichtete und
gehegte Kultur wahr, wird er zu einem Typus, den wir alle
von uns kennen. Villon und die Surrealisten sind dann keine
zufälligen Assoziationen mehr, zum wenigsten Breton, der
diesen unbändigen Hass gut kannte. Kinski ist ein
antisozialer Gestus, der weiterhin seine Daseinsberechtigung
besitzt, so töricht die Details sind, mit denen er
diskursive Zuhörer schnell langweilen kann.
Der
Untergang
Marzipan ist mein Untergang (Helmut Kohl) - Zur Differenz
von Untergangstypen autoritärer und liberaler Staatsformen
Verbreiterhaftung
Darüber hat die virtuelle Mediengesellschaft noch einige
Zeit zu grübeln: Hält man intransigent an einem
Wirklichkeits- und Wahrheitsbegriff fest, der zu verteidigen
ist, zum höheren Gedeihen gesellschaftlichen Friedens? Oder
geht es hier um den Hasen und den Igel? Also kann jeder
Unfug, den ich verbreite, gegen mich gekehrt werden? Hier
fehlen längst noch, auch und gerade in der Rechtsprechung,
notwendige Unterscheidungen. Indirekte Diffamierungen, im
Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit segelnd, sollte man
ausschließen können. Journalisten sind aber keine mit
allen Mitteln ausgestattete Wahrheitsagenturen. Nicht jede
Aussage, die vermittelt wird, kann auf ihren Aussagegehalt
überprüft werden. Die beste Lösung bestünde darin,
Grenzen nach unten zu setzen. Weitreichende Aussagen, die
geeignet sind, die Integrität eines Dritten nachhaltig zu
schädigen, sollten vor der Publikation geprüft werden. Das
beantwortet aber längst nicht die Frage nach Art und Umfang
der Haftung. Wenn Journalisten im Milieu der Strafandrohung
arbeiten müssen, dürfte der Berufsstand demnächst
aussterben.
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Transzen
Dental Philosophie.
Screamin'
Jay Hawkins: „Ladies and gentlemen, most people record songs about love,
heartbreak, loneliness, being broke... Nobody's actually went out and
recorded a song about real pain. The band and I have just returned
from the General Hospital where we caught a man in the right position…”
Dieses Lied handelt vom konkreten
Leiden. Wie buchstabiert man Leiden? Eine Geschichte des Denkens könnte
von der Transzendenz handeln. Metaphysik heißt schmerzloser Zustand, was
jenen sinnenfernen Denkern nie recht auffiel. Wer transzendentale
Bedingungen festlegt, will schmerzfrei werden, über den Verhältnissen
schweben. Sollte Philosophie unter sinnlichen Bedingungen zustande
gekommen sind, die wir als Leser zu schnell ausblenden? Nietzsche schrieb
praktisch immer unter Schmerzen. So hat er selbst die Farben danach ausgewählt,
ob sie beruhigen oder weh tun. Zarathustra wählt grün, weil rot oder
gelb den Kopfschmerz wahrscheinlicher macht. Schmerzen als Denkanlass.
Schmerzvermeidung als Motiv. Also soll man nicht nur unter Schmerzen gebären,
sondern auch denken. Wer wüsste, dass er immer schmerzfrei wäre, könnte
nicht denken – freilich ist es ein Paradox, denn wer weiß, was
Schmerzen sind, muss selbst welche gehabt haben (Vgl. Wittgenstein). Unser
Fazit: die großen idealistischen Systeme sind Schmerzvermeidungssysteme.
Die Idee kennt keine Schmerzen, sodass Menschen sich in ihr vom realen
Leiden erholen. Mit einem Wort: Transzen Dental Philosophie. |
Interkulturelle
Website-Forschung
"Interkulturelle Website-Forschung" ist ein Thema an deutschen Universitäten. Dass sich Wissenschaftsbetriebe selbst unterhalten, soll nicht als Standardeinwand gelten. Signifikanter erscheint uns hier der Begriff der Forschung, dessen Fragilität mit der Flüchtigkeit seines Untersuchungsgegenstandes wächst. Bereits der Begriff der "Interkultur" ist schwer fassbar, eingedenk des Umstands, dass Niklas Luhmann seinen Begriffsversuch "Interpenetration" nach der (voreiligen?) Schöpfung nicht mehr prominent einsetzte. Dem Begriff der "Kultur" ist trotz des Eigensinns kultureller Manifestationen das "Inter" eingeschrieben. Mit einem Wort: Kultur ist promisk. Promiskuität der Kultur kombiniert mit dem Tempo der Globalkultur lässt Interkultur als Marginalie erscheinen. Ist die Kultur bis zur nicht Nichterkennbarkeit beschleunigt, gilt das mehr noch für Websites, die vielen Trends folgen. Doch schlimmer: Sind Websites, die heute wie ein virtuelles Gegenstück der "Immobilie" erscheinen, zukünftig noch zentrale Orte virtueller Begegnung? Wie immer die Antwort ausfällt, kaum kann man sich vorstellen, dass dann die interkulturelle Website-Forschung kognitiv flankierend auftritt, wenn sich Verhältnisse verändern, die kaum als solche beschrieben werden können, weil sie sich nie dauerhaft "verhalten" hätten. |
Kultur
als Selbstinszenierung
Kultur trägt man wie einen Orden. Man oder Frau werden
Kulturträger. Das setzt etwas Bildung voraus, aber nicht zuviel. Fakten
sind wichtig und einige ästhetisch leicht nachvollziehbare Kategorien
helfen weiter. Kultur dieser Art schafft Verbindlichkeiten und angenehme
Gespräche. Der Causeur als Wille und Vorstellung. Diese Kultur ist
sozialer Kitt, daher nicht einfach zu verwerfen. Kultur als Krisis, Kultur
als Kampfbegriff findet sich in diesem, immer noch hoch verbreiteten
Kulturbegriff nicht. Ein Irrtum wäre es, diese Art von Kultur, ich kenne
Goethe, du kennst Goethe, mit Identität zu verwechseln. Dekor ist längst
keine Identität. Und wahrscheinlich sind Kultur und Identität
antiquierte Begriffe, die funktional reformuliert werden müssten. |
Politik
und Notwendigkeit
"Warum Deutschland Gesine Schwan braucht",
textet Spiegel Online am 21.04.2008. Wer hat da noch Lust weiterzulesen?
Im Blick auf Verfassung, Staat und Gesellschaft wäre es bereits
lohnenswert, über die Funktionen des Bundespräsidenten nachzudenken.
Politische Bedeutung in einem konkreten, angebbaren Sinne will man keinem
attestieren, was freilich gegen den allgemeinen Sinn des Amts wenig sagt.
Nur, ist bereits die Bedeutung des Amts fragil und will man keinen
Bundespräsidenten vor anderen loben, wird die Begrifflichkeit der
politischen Notwendigkeit schal. Demokratie heißt im besten Sinne, dass
Politiker ersetzbar sind. Ob nun Herr Köhler oder Frau Schwan, das kann
uns politisch nicht allzu sehr berühren. |
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Früher
begann der Tag mit einer Fehlermeldung
Zitat: "Windows konnte vorübergehend nicht vom
Festplattenlaufwerk lesen. Bei diesem Problem handelt es sich um einen häufig
auftretenden Fehler, daher ist es nicht möglich, den genauen Grund für
das Problem aus dem Fehlerbericht zu ermitteln. In den meisten Fällen
handelt es sich hierbei um ein vorübergehendes Problem, das ignoriert
werden kann."
Die erstaunlichste Wendung im Umgang mit neuen, neuesten Medien ist doch
die: Wir ignorieren "vorübergehende" Probleme, da wir wissen,
dass wir zu wenig wissen, um jedes Problem zu erkennen. Hätte früher ein
Automechaniker gesagt "Das Auto hat einen Fehler. Aber solange es nur
selten ausfällt, würde ich den Fehler ignorieren", hätten wir
diese Aussage für ein Zeichen seiner Inkompetenz angesehen. Heute leben
wir in einem Meer von Fehlern, die wir wie "moderaten"
Hautausschlag ignorieren. Diese Medienwelt ist also imperfekt, was Leibniz
zum Überdenken seiner seit je kühnen bis unhaltbaren These veranlassen
sollte. Es ist die fragilste aller möglichen Welten. Goedart Palm |
Zettelkasten
Bald verschwinden die Festplatten und Zettelkästen: Das
Netz ist eine globale Festplatte. Meister dieses Systems werden die
Verweisungskünstler sein, die kleinen menschlichen Servoeinheiten, die
die Zwischenräume bespielen. Das Prinzip der freien Assoziation wird zu
einem fatalen Beziehungsgeflecht, dem kein Teilnehmer mehr entrinnen kann. |
Zum
Code "Monster/Mensch"
"Der dünne Lack der Zivilisation" textet der
Spiegel zu der Horror-Story des Josef Fritzl. Diese Metapher verfehlt die
Geschichte des kleinbürgerlichen Verließ-Herrn. Letztlich geht es um ein
Herrschaftsmodell, das die Familienbande so wörtlich nimmt, wie es die
Semantik verheißt. Diese Kellerfantasie gibt es in zahlreichen
harmloseren Varianten der Abschottung der Kleinwelt gegen die große Welt
da draußen. Kleinbürgerlichkeit heißt, die Welt auszuschließen, um
wenigstens die Herrschaft über die Familie zu sichern. "In vain",
wie es nicht nur die unselige Geschichte des Joself Fritzl demonstriert.
Das Zivilisationsargument muss umgekehrt werden: Zivilisation heißt
Herrschaft auszuüben, Inhumanität respektive Grausamkeit sind ihre
"natürlichsten" Ingredienzen. Also kein Lack, sondern die
Zivilisation selbst. |
Die
Antiquiertheit der Anne Will
Und sie diskutierten und sie diskutierten und sie
diskutierten. Auch über die Zukunft der Talkshow von Anne Will. Diese
Talks (so to speak) sind ziemlich langweilig aus zwei Gründen: 1. Die
Themen sind schlecht ausgewählt, das ließe sich brisanter und selektiver
behandeln. 2. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Politik im
Konzept dieser Sendung nicht reflektiert wird. So entsteht ein dröger
Ernst, der das Politik-Spiel so inszeniert, wie es im seriösen Selbstbild
erscheinen will. Das interessiert aber keinen und dieses Wissen um das
Desinteresse des Publikums sollte sich in den Redaktionen verbreitet
haben. Politikinformation muss mindestens untergründig davon künden,
dass es hier um Parodien geht. Wenn das nicht kommuniziert wird, hat man
keine Zukunft.
Goedart Palm, der sicher nicht mehr einschaltet. |
Nike
Wagner und die Geschichtskeulen (22.04.2008)
Lehrstück: Wie reagiert jemand, der sich übergangen fühlt,
obwohl er/sie so wichtig für den Weltenlauf und vor allem Bayreuth ist?
Zitat Nike Wagner - SZ, April 2008: "Und hier sind Gefahren: dass
Bayreuth mal wieder verdammt synchron mit dem Zeitgeist ist, der die Künste
auch anderswo gängelt, sie mehr und mehr an die große Konsensmaschine
ausliefert, die irgendwo zwischen Medien, Markt und Gesellschaft
funktioniert."
Nota bene: Ich bin anders, die sind zeitgeistig. Was hat denn Frau Nike
Wagner in Weimar gemacht?
Und weiter: "Es geht mir um die Sache Bayreuths." Dazu Robert
Gernhardts Gedichtzeile vergleichen: "der Sache wegen". Wann hätte
je einer anders geredet?
Finale Nike Wagner: "Lernen wir nichts aus der Geschichte?" Die
finale Keule: Wären Leute wie ich da, wo sie hingehören, wäre alles
anders. Noch schöner als irreale Sozialutopien sind Privatutopien, die
einen einzigen Fluchtpunkt haben: Das in seiner Eitelkeit gekränkte Ich.
Aber ich doch nicht....der Sache wegen! |
Gefasel für die Generation Granufink
So der Titel von Reinhard Mohr nach Talkrunde Anne Will: Warum um alles
in der Welt guckt er sich diese Talkshow überhaupt noch an? So aber müssen
wir glauben, dass es sich hier um den üblichen Parasitismus handelt (07.04.2008).
|
Goethe
"Ich weiß
nicht, ob man unbedingt in seinem Leben einen Goethe gelesen haben
muss", sagte die stellvertretende Vorsitzende des Börsenvereins des
Deutschen Buchhandels, Viola Taube, nach FR-online 21.04.2008. Diese
Bemerkung ist töricht, wenn Lesen, von Gebrauchsanweisungen abgesehen,
ist überflüssig. Doch die Notwendigkeit des Überflüssigen zu
artikulieren müsste das Geschäft des Börsenvereins sein. So aber hat
man den Eindruck, dass hier die Anbiederung an die Analphabeten, welchen
Grades auch immer, eine traurige Form der Selbstverleugnung ist.
|
"Die
Deutsche Bank billigt keinerlei Erwachsenen-Vergnügungen und wird solche
Ausgaben nicht ersetzen." (Spiegel-Online, April 2008). Gnadenlose
Mitarbeiterpolitik, knallhart und prinzipientreu. |
Immer
fasziniert hat mich das Verschwinden des Kaufhauskönigs Horten, der sein
Riesenunternehmen verkaufte, um 1970 herum in die Schweiz zog und dort auf
einem riesigen Tisch zahlreiche Manager mit Dutzenden von Telefonen
verschaltete, um nur noch Geldgeschäfte zu machen. Das war eine
Virtualisierung vor der Zeit, in einer Zeit, in der Menschen noch mit
merkantil(istisch)en Strukturen auf die ökonomischen Werte blickten.
Heute denkt die Mehrheit bereits virtuell... |
Manfred Lütz "Gott - Eine kleine Geschichte des Größten".
Wenn ich Zeit hätte, würde ich ausführen, warum mir diese Art
insinuierender Apologetik unerträglich ist. Von größter Klarheit
dagegen: "Der Gotteswahn" von Richard Dawkins, basta. |
Die
Nachrichten der Agenturen
werden immer schlampiger formuliert. Die Demontage der Sprachkultur lässt
sich nicht mit Altvater-Reden aufhalten. Vorschlag zur Güte: Wir
genießen es. |
Literatur
im Netz hat sich bescheiden zurückgezogen, nachdem man
glaubte, unendliche Speicher und völlige Vernetzung würden hier
Freiräume schaffen, die alles überbieten, was Literatur je möglich
gemacht hat. Ausgeblendet wurde dabei, dass das Netz Literatur ist, ohne
dazu erst ernannt zu werden. |
"Buffett"
- Vorschlag der Rechtschreibprüfung von "word":
Bussfett. Jetzt weiß ich, dass KI keine Chimäre ist (15.11.2007). |
Fußballvereine
belegen, dass Identifikationen auch dann möglich sind, wenn es keine
Identität gibt. Denn wo soll auf Vereinsebene die Identität bei diesen
eilig zusammen gekauften Heroen liegen? Die großen Vereine existieren
ohne Essenz. Wenn das aber störungsfrei für die Fans möglich ist, ist
zu vermuten, dass Identitäten fast beliebig behauptet werden
können. |
Sind
Festplatten öffentliche Räume? Hier fehlt noch ein Essay, der sich
durch dieses abgegriffene Begriffspaar "öffentlich/privat"
nicht zu sehr irritieren lässt. Also bewegen wir uns mit dieser Frage
schon im Paradox. |
Die Wirklichkeit ist eine Prätention,
wenn sie jenseits positiver Eigenschaften eines Erkenntnisvorgangs gesucht
wird.
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