Informationskrieg und
Zeitherrschaft
Dass der Krieg nicht nur über Tod und Leben
entscheidet, sondern auch die Zeit beherrschen muss wie von ihr beherrscht wird, ist
älteste Militärdialektik. Mit der informationstechnologischen Durchdringung realer und
virtueller Räume entsteht jetzt aber eine globale "no-escape-zone",
die keine Grenzen mehr kennen will. So avancierte bereits der Golfkrieg 1991 zum ersten
echten Weltkrieg, weil die vormaligen Weltkriege letztlich nach Auffassung der Militärs
doch nur Feldzüge an verstreuten Plätzen der Welt gewesen seien, während die
Echtzeitübertragung weltumspannender Satelliten den Krieg in eine Zeit gebannt habe: Die Weltzeit.
"Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge
König" meinte Heraklit von Ephesus. Auch wenn zweieinhalbtausend Jahre blutiger
Kriegsgeschichte seitdem nicht ausreichend waren, diesen Mythos endgültig auszuradieren,
haben nationalstaatliche Interessen, Militärphilosophien und Humanitätsideale
aufgeklärterer Gesellschaften den Krieg immerhin auch als einen begrenzbaren Antagonismus
des Willens begriffen. In den Szenarien zukünftiger Informationskriege, etwa in der
amerikanischen Joint Vision 2020 mit dem militärischen Ideal einer "full spectrum
dominance", wird Heraklits Wissen aber wieder aktuell. Mit der Virtualisierung des
Krieges in der Infosphäre erlischt die Unterscheidung von Krieg und Frieden, lösen sich
vormalige Schlachtfelder auf und selbst das klassische Kriegspersonal wird partiell zu
Gunsten von Datenkriegern ausgemustert.
Doch der Totalitarismus des
Infokriegs entgrenzt nicht nur zukünftige postklassische Kriege, sondern wird noch
weiterreichend auch als der Modus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Konflikte
vorgestellt. Ob diese allgegenwärtigen Kriegsgesellschaften je noch zu einer Kybern-Ethik
(Heinz von Foerster) aufschließen werden, vermögen die gegenwärtigen "Joint Visions" der Informationskrieger jedenfalls nicht
zu beantworten.
Goedart Palm
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