Die Viper
züngelte zum zwanzigsten Mal
International
Festival for Film, Video and New Media
in Basel vom 25.10 bis 29.10.2000
Die beste Nachricht vorweg:
Cyberspace beherbergt nicht nur Avatare und Pixel-Ichs. Die Avantgarde von Virtualien
erschien jetzt zur "Viper", dem
internationalen "Festival for Film, Video and new Media" in Basel in Echtfleisch
und -blut, nicht ohne allerdings auch die virtuellen Arsenale im Netz, auf CD, Film und
Video randvoll zu präsentieren. "Quick Times" lautete die Parole des
Schnelldurchlaufs durch die neuesten medialen Hyperprojekte. Seit 20 Jahren schlängelt
sich die Viper durchs Mediendickicht der internationalen Szene, um nach Luzern nun in
Basel ein neues Schlangennest zu finden. Im Fadenkreuz der Baseler Kunstlandschaft
präsentierte sich das Fest unter der umsichtigen Leitung von Conny Voester mit
aufgerüstetem Budget nicht nur gut organisiert, sondern hatte sich auch theoretisch
rückversichert, um den wie immer drängenden Fragen der Zeit die Fremdzeit auszutreiben.
Es stellte sich unter anderem die
alte Frage: Ist die mediale Kunst eine reale Gegenmacht gegen den allfälligen Ausverkauf
des Netzes und des Computers an die Händler des E-Commerce oder nur ein schräges,
widerspenstiges Primelchen im großen Themenpark der Bits und Bytes?
Alle Künstler, die ihrer Zeit nach-
und vordenken, bauen kleine Zeitmaschinen, drehen, wenden und schneiden die Zeit, um einen
anderen Begriff der Zeit zu geben, als nur der inhumanen Ohnmacht des "Immer
schneller" zu gehorchen. So etwa Martin Reinhart, der Zeit- und Raumachsen vertauscht
und Körper zu daliesken Schinkenplastiken oder relativitätstheoretischen
Giacometti-Körpern in Bewegung verzaubert.
Andere Zeitmaschinen, etwa jene
schnittigen Gefährte, die uns die Lottozahlen vor der Ziehung verraten, wirds jedenfalls
nicht geben. So enttäuschte Günter Nimtz, der geniale Tunnelbauer der superluminalen
Geschwindigkeit, allerdings nur das Publikum, das Sciencefiction schon je für die bessere
Wirklichkeit hielt. Das Kausalitätsgesetz stehe davor, doch immerhin versöhnlich für
die Futuristen, die es besser wissen wollen, präsentierte Nimtz zumindest Lucky Luke, der
eben schneller zieht als sein Schatten. Also doch eine Resthoffnung, die Zeit auf das
Reißbrett unserer Zeitherrschaftsfantasien zu legen?
Siegfried Zielinski, Chef der Kölner
Kunsthochschule für Medien, gab zum Abschluss des von Tom Sperlich und Johann Georg
Lischka souverän moderierten Symposiums die späte Losung heraus: Für eine Kairos-Poesie
- gegen eine Psychopathia medialis. Nun würde man sich im Dschungel der Medien, zumal der
künstlerischen Schlingpflanzen, mitunter zwar einen verlässlichen Führer à la
Krafft-Ebing wünschen, aber Zielinski meinte es anders: Gibt es zwischen Paranoia und
Melancholie einen dritten Weg des Mediengebrauchs? Wo der kleine Medienbaukasten denn
liegen möge, der uns aus der Unvernunft des Medienumgangs herausführt, sollte eine
Referenz an Jean Luc Godard erweisen. Verkürzt reklamiert der nicht mehr ganz neue
Wellenreiter des französischen Cineastenkinos: Wenn Maschinen schon Lebenszeit klauen, so
sollen sie gefälligst die Zeit wieder zurückerstatten.
Nun spenden Computer, Handy, Internet
pausen- bis atemlos zwar ständig Zeit, aber die Dialektik der Zeitökonomie ist dem
rasend stillestehenden User schmerzlich bekannt. Was die smarte Technologie hier gibt,
nimmt sie an anderer Stelle schamlos wieder zurück. Oft mit Zins und Zinseszins, wie alle
gestressten real-virtuellen Doppelexistenzen zwischen Bett und Netz bestätigen müssen.
Und Zielinskis Erinnerung an Batailles Ökonomie der Verschwendung ist zwar Musik in den
Ohren von zwangsflexibilisierten Maschinenzöglingen und Zeitnotwesen. Aber verschwendet
nicht die rasende Zeit uns?
Weder hier noch bei den meisten
Künstlern hielt man sich lange bei der bedrohlichen Frage auf, ob nicht die Maschinen
längst die narzisstischen Impulsgeber und ungeduldigen Taktmeister der Zeitläufte sind,
während Menschen mit der kleinen Illusion ihrer Zeitherrschaft vorlieb nehmen müssen. So
postulierte etwa Lisa Schmitz "Pre:Search statt Re:Search". So sei der Mensch,
sprich: Künstler, nach der Performance-Artistin nicht edel und gut, sondern "direkt
und unverschämt", solle gar laufende Bilder zu stills humanisieren. Schön. Aber
kümmert´s die Echtzeit wirklich, was ein Künstler denkt und wie er handelt? Was sagt CNN
dazu? Leiht das Netz den Künstlern noch die elektronischen Ohren?
Es war jedenfalls konsequent, dass
der New Yorker Performance-Künstler Pablo Herguera "everythingness" anbot, den
Stoff, aus dem alle Träume der kollektiven Wunschmaschine sind. Herguera feierte in
schnell fließender Verkäuferrhetorik ein fiktives Unternehmen, das eben alles und noch
viel mehr im Sortiment der Glücksvisionen besitze. Vor allem aber ist die
"Allesheit" so schnell, dass selbst das lästige Interface, die Schnittstelle
zwischen Existenz und Wunsch verschwindet. "Everythingness" ist das softe
Versprechen, selbst das Denken so schnell zu machen, dass es sich selbst überholt - pure
Instantaneität. Den Zirkel quadrierend, praktisch und gut, aber eben leider bisher nur
als Beta-Phase in der künstlerischen Fiktion erhältlich. Heguera produzierte immerhin
den Medienzynismus, der nicht nur E-Commerce und Vapour-Ware trifft, sondern den auch jene
Künstler ihrer Arbeit beimischen sollten, die immer noch an das Gute im Menschen, nein,
in den Medien glauben.
"Quick times" galt nicht
zuletzt für das Fünf-Tage-Hyperspektakel selbst, also wenig Zeit, um den virtuellen
Globus zu umrunden, wenn doch Monate erforderlich wären, einen Überblick über das
wuchernde Technokunstvirtualien zu gewinnen. So ist es nur folgerichtig, dass Gustav
Deutsch und Hanna Schimek mit "Odysee Today" den Preis für CD-Rom/Internet
erhielten, weil der virtuell Reisende hier nicht mehr nur auf künstlerische
Fremderfahrungen, Orientierungen aus zweiter Hand stößt, sondern selbst seine Reise,
seine "Odysee" (sic!) mit eigenen Erfahrungen strukturieren kann.
Aber während sich die Viper nun bis
zum nächsten Biss zurückzieht, bleibt uns noch genügend Zeit, Echtzeit,
"Ächszeit" (Peter Glaser) oder Konservenzeit, um dem künstlerischen Gift in
den medialen Nervenbahnen nachzuspüren. Es ist der Viper zu wünschen, dass sie weiterhin
die nötige Dosis Gift auch für die nächsten Jahre bereitstellt.
Nach oben Viper 21
|