Solveigs
Anmerkungen zu Goedart:
Liebe
noch nicht 50Jährige,
liebe
Über-Fünfzigjährige,
lieber
Goedart,
tja,
zu der letzt genannten Gruppe der schon über 50jährigen gehörst du
jetzt auch schon. So schnell kann das gehen. Gestern Abend dachtest Du
noch, du könntest jetzt einen
gemütlichen Lebensabend auf dem Sofa antreten. Aber schon musst du
hinaus ins feindliche Leben, Dich zum Essen einladen lassen, Freunde
treffen,
Gäste
bewirten, Wein trinken, Geschenke in Empfang nehmen.
Grässlich
– diese Lebenslust!
Und
jetzt auch noch einer Rede zuhören, wo du doch viel lieber selber
redest.
Noch
dazu von einer gefürchteten Schlecht-Rednerin, wie deiner Ehefrau.
Aber
ein bisschen Würdigung, mein liebes, um nicht zu sagen geliebtes
Geburtstagskind, muss einfach sein. Auch wenn es hier noch einige
Berufenere gibt, die Dich doppelt oder sogar viermal so lang kennen, wie
ich.
Vor
allem einen, der von sich behauptet, dass er Dich besser als jeder
andere kennt. Ja – dass er eigentlich der einzige ist, der dich zu
ergründen vermag –
und
das ist Wolfgang Goedart Palm himself, der ja in seiner unnachahmlichen
Art allen möglichen zu befürchtenden Laudationes zuvor gekommen ist
mit
seiner zwischen Ernst und Ironie schwankenden Einladung zur Beweihräucherungsfeier.
Ich
begleite Dich ja erst seit ungefähr dem letzten Viertel Deines
bisherigen Lebens. Vor 12 ein halb Jahren haben wir uns kennen gelernt,
vor
12 Jahren geheiratet. Das war irgendwie ein Schock für uns beide –
hatten wir uns doch als fast Enddreißiger schon so in etwa auf das
psychosoziale Moratorium des ewigen Junggesellendaseins eingeschossen.
Trotz unserer schon damaligen beträchtlichen „Reife“ war zumindest
ich damals naiv genug zu glauben, dass wir nun doch noch in einen
„Hafen“ eingelaufen wären. Dass wir uns aber vielmehr auf eine große
Fahrt in bisweilen recht stürmischer See begeben würden, war mir noch
nicht bewusst.
Und
die Stürme werden wahrlich nicht nur von unseren drei Palmwirbeln
herbeigewedelt.
Trotzdem
sind die es, die unser Leben ganz vordringlich manövrieren.
Und
wenn wir selbst manchmal der Verführung mitfühlender
Lebens-Interpreten nachgeben und der Meinung sind, dass wir uns mal
wieder mehr um uns selbst kümmern müssen, dann will ich dem nur
entgegenhalten, dass wir beide wohl unsere Kinder nicht in die Welt
gesetzt haben, um sie möglichst frühzeitig an die öffentlich-rechtliche
Beamtenmentalität unserer Erziehungsanstalten auszuliefern.
Wie
macht man nun als Ehefrau eines Misanthropen, der nur zu gern seine
„splendid Isolation“ zur Schau trägt, diese Rede zu einer Laudatio?
Die meisten Deiner besonderen Talente, das Kreative, das Schreiben,
Denken Formulieren – darüber brauche ich eigentlich nicht viel zu
sagen, weil es zu mindest in diesem beschränkten Kreis der Öffentlichkeit,
die Dich schätzt, bekannt ist und gewürdigt wird.
Auf
alles, woran man sich als Alltag gewöhnt, verliert man ja leider die
Aufmerksamkeit. Man gewöhnt sich mit der Zeit fatalerweise an, das
herausragend Schöne und Positive einer Partnerschaft als selbstverständlich
zu nehmen, und statt dessen mit den anfangs immer übersehenen Macken,
Ecken und Kanten des anderen den Kampf aufzunehmen. Es sind also die
Selbstverständlichkeiten unseres damals so apostrophierten „Projektes
Palm/Weber“, die mal wieder benannt und gewürdigt werden sollen.
Da
will ich mal mit deiner Klugheit anfangen, aber nicht der gebildeten Bücherklugheit,
für die dich vielleicht manch einer schon bestaunt hat.
Erwähnen
will ich mal die Menschen-Klugheit, die dich auszeichnet.
Eine
umfassende, andere rasch begreifende, aber auch sich selbst sehr nüchtern
taxierende Klugheit, die sich zwar manchmal hinter einer protzigen
Selbstironie versteckt, aber in allen kritischen Fällen doch zuverlässig
funktioniert.
Diese
und dein unnachahmlicher – ich sag mal „Underground-Humor“,
vielleicht auch die Abreaktion in der Maske des ewig überforderten und
überlasteten Familienvaters, sind wahrscheinlich die heimlichen
Kraftquellen, mit denen Du dieses ganze 50 jährige Leben, und vor allem
dessen letztes Viertel doch ganz gut ausgehalten hast.
Was
ich aber – als durchaus nicht unkritische Beobachterin ein für alle
Male öffentlich sagen will, ist etwas, das früher in solchen Reden nie
vorkam, weil es eine Selbstverständlichkeit war, die es heute aber
nicht mehr ist.
Wir
sind ja mit einer Ideologie aufgewachsen, die Familienleben zum
absoluten Inbegriff des Spießertums erklärt hat.
Ausgefranste,
Haare, Bärte, Jeans und Parolen, offene Klo- und Schlafzimmertüren für
jedermann und anschließende Abtreibung waren zugleich Ausdruck von
Freiheit und Abenteuer und „die Welt, in die man eben keine Kinder
mehr setzen konnte“. Als richtiger Intellektueller genierte man sich
natürlich mit diesem Schritt in das ach so langweilige Bürgertum.
Heute
schient es mir manchmal, dass die sogenannten „Bürgerlichen“ nur
noch ein heroisches Auslaufmodell sind, weil das, was man ihm immer als
bequem-selbstverständliches Leben andichtet, in Wahrheit hundertmal
anstrengender und aufregender ist, als die Uniform der nabelbeschauenden
„Selbstverwirklichung“.
Es
sind die Standhaftigkeit, Treue und Zuverlässigkeit, mit der Du,
Goedart, zu Deiner Familie stehst, für sie kämpfst und den größten
Teil deiner Kräfte einsetzt. Es ist ein sehr gutes Gefühl, dass wir -
bei aller zunehmenden Selbständigkeit im Übrigen - hundertprozentig
auf Dich als Vater und Partner, eben als Familienvater vertrauen können.
Ich
möchte hinzufügen, dass Du bis heute mein bester und wichtigster
Ratgeber in allen eigenen und familiären Angelegenheiten geblieben
bist, weil Du neben Deiner Klugheit mit einer unbestechlichen Nüchternheit
und einer sehr großen Menschenkenntnis auf die Welt schaust.
Dankbarkeit
und Freude sind Gefühle, die dir ja offenbar irgendwie peinlich sind,
so wie es mir peinlich ist, zur Undifferenziertheit verdonnert zu sein,
indem ich dich hier und heute nur loben darf, und nicht auch ein
bisschen mäkeln.
Schon
die Fotos von unserer Hochzeit dokumentieren ja, welch böse Ahnungen da
in dir aufstiegen. Vor der Standesbeamtin machtest Du jedenfalls ein
Gesicht, als stündest du vor deinem schlimmsten Feind im Gerichtssaal
oder gar vor der Exekution aller kühnen Zukunftshoffnungen, wie freies
Künstlerdasein
oder
Poetenklause oder Apfelsinenkistenleben mit bequemen Ruhezonen im Hotel
Mama.
Aber
wir wollen dies ja letztlich nicht nach der Maske oder der „Idea“,
dem
mehr oder weniger schönen Schein, sondern nach der Tat selbst und ihrer
Reflektion bewerten, der Vita Aktiva und der vita contemplativa – wie
die Renaissance-Philosophen sagen würden. Und da bist Du Deinem einmal
gegebenen Versprechen bis heute treu geblieben.
Im
Wissen darum erlauben wir dir auch heute - hiermit höchst offiziell,
auch als Pfingstochse den ganzen heutigen Tag lang ganz griesgrämig
dreinzuschauen,
die
Strapazen solcher Feste zu beklagen, und dich dabei ganz klammheimlich
zu freuen, dass fast alle deine Freunde deiner Einladung gefolgt sind,
dich heute lang und hochleben zu lassen, den Tag zu genießen und so früh
ins Bett zu gehen,
wie du willst.
Eine
kleine Bettlektüre geben wir alle dir aber noch mit.
Es
lebe Goedart!
Der Text eines
Schubert-Liedes- lange vor Nietzsche:
Ich komme vom Gebirge her
Es dampft das Tal, es
braust das Meer
Ich wandre
Und immer fragt der
Seufzer wo
Die Sonne dünkt mich hier
so kalt
Die Blüte welk, das Leben
alt
Und was sie reden, leerer
Schall,
ich bin ein Fremdling überall...
|