Kein erfahrener Jäger, der sich nicht seiner Armatur, seiner Waffen, seiner Munition
vergewisserte nicht anders Grimm, der mit der rechten Hand über das Lederfutteral
gleitet, alles wohlgeordnet, die Waffe geölt auch wenn dieser Begriff eine
antiquierte Zuhandenheit des Instruments einflüstert, sagen wir besser: griffig,
jederzeit einsatzbereit, letal, wenn es darauf ankommt. Das Instrument lässt sich auf den
ersten Blick an dem Vierkant-Spannbolzen erkennen, der in der Öffnung auf der
Vorderschaftlängsseite zu sehen ist. Wird auf diesen Bolzen ein Schlüssel aufgesetzt,
bläht sich der Blasebalg mittels der Nuss, und gleichzeitig spannen sich obere und untere
Feder. Durch Druck auf den Abzug mittels einer langen Stange schnellen die gespannten
Federn hoch und pressen den Blasebalg zusammen, die Luft eintweicht in den Lauf und
treibt das Projektil hinaus. Geräusche einer beruhigenden Mechanik, die Melodie des
Gelingens. Wer triumphiert in der evolutionären Dialektik von Angriff und Verteidigung?
Schuppenpanzer gegen Reißzähne, Stahl gegen Fleisch, Fortifikationen gegen Haubitzen,
Tempo gegen Tempo, Instinkt gegen Instinkt? Eine Welt der Gewalt, aber auch der List und
Schlichen, eine Welt vieler Kräfte, in der sich Grimm geschmeidig bewegt. Die ältesten
Gene der Welterschließung programmieren diese Bewegungen, immer eigensinnig, unaufhaltsam
auf ein Ziel gerichtet. Ist nicht auch Grimm ein Getriebener, der zum Treiber, zum Jäger
wird, seinem Instinkt so hilflos ausgeliefert, wie so viele Opfer zuvor? Grimm weiß,
dass
Ziele oft unmerklich auftauchen, um wieder im Schutz der undurchdringlichen Dunkelheit zu
verschwinden. Hier entscheiden Sekunden. Welche Distanz ist bereits tödlich für die
Beute, die keine sein will? Jede Chance nutzen, treffen, nur so lange zögern, wie es
unbedingt notwendig ist, um das Projektil präzise zu platzieren. Zwischen die Augen,
Blattschuss, Achillesferse - Neuralgie endgültiger Berührungen. Wenn er damit
schoss, so traf er ohnfehlbar" aber wer besitzt schon die Windbüchse des
gelernten Jägers"? Grimm bewegte sich in dem bizarren Gestrüpp langsam voran,
beschwerlich einen geraden Weg in diesem wilden Terrain der Ablenkungen zu finden.
Widerstand des Unterholzes, Widerstand des Unbelebten. Grimm hat die Karte im Kopf.
Geographie des Erlegens, Triumph des Willens, Zeit zu sterben. Jede Begegnung in dieser
todverheißenden Topographie ist nicht minder wundersam wie jene, von einem moribunden
Dichter besungene Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem
Vivisektionstisch. Jederzeit besteht die Gefahr von Sinnestäuschungen. Hier regiert eine
höhnische Sinneswelt, die zurückschlägt und Traumgebilde wirklich werden
lässt. Hier
mögen Giraffen brennen, Uhren zerlaufen, Loplops zwitschern, eine Pfeife mag nicht
länger eine Pfeife sein, aber der Weg ist hier nicht das Ziel. Die Leere des Wartens. Nur
jetzt die Fährte nicht verlieren, keine verräterischen Geräusche machen. Grimm kennt
die Hindernisse, die List buntscheckiger Objekte, deren Spuren in Niemandsräumen
verlaufen, gut verborgen im vegetabilischen Gespinst einer wuchernden Schöpfung. Das
alles erscheint wie eine überbordende Idee, die sich keiner Grenze des Begriffs mehr
fügen will. Fast als sei das Wirkliche der Wille zur endgültigen Unvernunft, die fremden
Gesetzen gehorcht. Jetzt wittert Grimm die Nähe des Begehrten, noch undeutlich, sich
verlierend, jetzt wieder scharf. Die Kontur des abwesenden Objekts, so wirklich wie das
Grinsen der Cheshire Katze, das im Baum hängen bleibt. Oft reichen kleine Zeichen in der
üppigen Signalwelt dieses vielfarbigen Dschungels, vergebliches Mimikry der Objekte,
unfreiwillige Welt. Das Getöse wird lauter, schrille Stimmen, seltsame Schemen,
flüchtige Gestalten in geschäftigen Transiträumen zwischen tiefblauem Schatten und
schmerzendem Neon. Grimm eilt weiter, kennt diesen Ort des gefährlichen Austauschs, hat
lange lernen müssen, bis ihm jene Gesetze erfolgreicher Jagd von der unbeholfenen Kunst
der frühen Tage zur Natur wurden. Grimm atmet den synästhetischen Kosmos einer in
unzähligen Vitrinen bewegten Kleinwelt, die sich nicht vorschnell ergibt. Blitzende
Rubinaugen, die spöttisch verschwinden, um hinter Pflanzenvolants wieder zu erscheinen.
Grimm ist der Eindringling, diese Welt widersteht dem einfachen Zugriff, entzieht sich
durch Überfülle dem invasiven Blick des erfahrenen Jägers. Wo wartet der nemeische
Löwe, dem das Fell mit seinen eigenen Klauen abzuziehen wäre? Survival of the fittest?
Oder irrte Darwin gegenüber einer Welt des Jagens und Gejagtwerdens, die sich zugleich
den göttlichen Luxus einer Überfülle bizarrer Objekte leistet, die nie ihren Jäger
finden, versunken in Räumen, die nie wahrgenommen werden? Wieder Stimmen. Wessen Stimmen?
Welchen Sinnen soll Grimm trauen? Alles was wir sehen, könnte auch anders
sein", erinnerte sich Grimm gehört zu haben. Beunruhigend in einer Wirklichkeit, die
so sein soll, wie es Erfahrung vorgibt. Grimm schreitet voran, die Aussicht auf Beute
macht ihn behände, eingespielt seine Bewegungen, Glanz in den Augen. Werden Jäger und
Beute schließlich ein Objekt? Vereinigen sie sich wie ein platonisches Kugelwesen, das
die Harmonie der Welt noch in seinem Todeskampf unter Beweis stellen will? Jetzt nur nicht
zu schnell heranpirschen, die Nervosität in konzentrische Bahnen lenken, das Fieber der
tödlichen Harmonie besänftigen, schließlich sich selbst vergessen, kein Subjekt, kein
Objekt nur noch pures Ereignis. Die Erregung der Erwartung. Die Begegnung. In einer
fast logischen Sekunde: der Griff zum Halfter, der Angriff, der Zugriff, die Beute in
Fluchtstarre, kein Widerstand, kein letzter Aufstand des Objekts, zu spät, um zu fliehen.
Eingefrorene Panik. Grimm triumphiert, atemlos, die Jagd ist zu Ende, ein guter Tag....
Eine Hand gleitet mit dem Scanner über den Registrierstreifen des Objekts. Eine Stimme,
leicht verzerrt, aber noch deutlich genug, um die alles entscheidende Frage nicht zu
überhören: Zahlen Sie bar oder mit Kreditkarte?" Grimm zieht geübt die
Karte: Können Sie es als Geschenk einpacken?"
Goedart Palm
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